Superfood Blunzn
Kommt nach Chia und Quinoa die Blutwurst in Mode?
Seit einigen Jahren kommen Lebensmitteln mit dem Begriff "Superfood" in Mode. Mit diesem Begriff soll ausgedrückt werden, dass ein Nahrungsmittel Inhaltsstoffe wie Mineralstoffe und Vitamine erhält, die nicht in jedem Produkt reichlich vorkommen. Als Superfood wurde zum Beispiel der vorher in den USA und Europa kaum bekannte südamerikanische Getreideersatz Quinoa und die vorher nur in Mexiko verwendeten Chia-Körner verkauft. Quinoa enthält unter anderem Proteine, ungesättigten Fettsäuren,Vitamin B2, Magnesium, Kalium, Zink und Eisen, Magnesium und Mangan; Chia Vitamin A, Niacin, Thiamin, Riboflavin, Folsäure, Kalzium, Phosphor, Kalium, Zink und Kupfer. All diese Inhaltsstoffe kann man sich zwar auch über andere - kostengünstigere - Lebensmittel zuführen, aber diese bringen keinen Distinktionsgewinn (vgl. Essen als Distinktionsinstrument).
Nun hat man ein Lebensmittel als Superfood entdeckt, das zwar nicht in den USA, aber doch in fast allen anderen Gegenden der Welt (außer dem islamischen Raum) früher recht verbreitet war und dann in Vergessenheit geriet: Die Blutwurst, die in verschiedenen Zubereitungsweisen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern Bestandteil der traditionellen Küche ist: In England heißt das Gericht Black Pudding, in Frankreich Boudin Noir, in Italien Sanguinaccio, in Rumänien Ssângerete, in Spanien Morcilla, in Finnland Mustamakkara, in Russland Krovyanaya Kolbasa, in China Hóng Dòufǔ (wörtlich übersetzt: "Roter Tofu"), in Thailand Sai Krok Lueat, in Korea Soondae und in Ostafrika Mutura.
In Altbayern und Österreich heißt sie Blunzn - ein Begriff, der auch spöttisch auf sehr übergewichtige Frauen übertragen wird, was sich nicht nur durch die pralle Form der Würste, sondern auch mit dem hohen Speckanteil erklären lässt. Dieser hohe Fettanteil gilt den Ernährungsmodeaposteln als Vorzug, geht er doch mit einem niedrigen Anteil der aktuell verdammten Kohlehydrate einher. Zum "Superfood" wird die Blunzn aber nicht dadurch, sondern durch ihre 6,4 Milligramm Eisen pro 100 Gramm Wurst und die ebenfalls hohen Anteile an Proteinen, Kalium, Magnesium, Kalzium und Zink.
Ob sich das neue "Superfood" durchsetzen wird, ist eine interessante Frage: Einerseits lassen sich die wissenschaftlich wenig untermauerten Vorteile ihrer Vorgänger (verlängert das Leben, schützt vor Krebs et cetera) ebenso leicht auf sie übertragen wie auf ihre modischen Vorgänger. Obwohl es ernährungswissenschaftlich betrachtet natürlich blanker Unsinn ist, ein einziges Nahrungsmittel ohne Kontext als "gesund" herauszustellen: Einseitige Ernährung ist immer eher riskant, wie aus Vitamin-A-Überdosierung entstandene Leberschäden und andere erst spät entdeckte Folgen zeigen.
Dass die Blutwurst ein altes bäuerlich-proletarisches Lebensmittel ist, muss ihrer Erhebung zur Mode ebenfalls nicht entgegenstehen. Die Dynamik der Distinktion führt oft dazu, dass eine Avantgarde der oberen Klassen von unteren Klassen abgelegte und vorher explizit unmodische Inhalte aufnimmt, wie der französische Sozialphilosoph Pierre Bourdieu in seinem 1979 erschienenen Hauptwerk Die feinen Unterschiede darlegt. Und nachdem es Chia- und Quinoa-Produkte mittlerweile sogar in Supermärkten gibt, wird es für die Distionktionsavantgarde höchste Zeit, etwas neues zu finden, um sich wieder wirksam abzugrenzen.
"Eigenblunzn" und Grünkohl-Smoothies
Andererseits fehlt der Blutwurst ein neuer Name. Der "Gemeine Bocksdorn", hätte sich wahrscheinlich auch nicht als Superfood durchgesetzt, wenn man ihn nicht zur exotischen "Goji-Beere" gemacht hätte. Und Blutwurst ist - anders als Quinoa oder Chia - nicht mit der schon länger andauernden Meta-Mode Veganismus kompatibel. Es sei denn, man macht es wie die Mitglieder der österreichischen Künstlergruppe Monochrom, die sich bei ihrer "Aktion Eigenblunzn" Blut abzapfen und daraus Blutwurst kochen ließen, die sie anschließend selbst öffentlich verspeisten.
Ein anderer neuer und gleichzeitig alter Superfood-Anwärter ist der in Norddeutschland recht verbreitete aber in Süddeutschland schwer erhältliche Grünkohl: Er wird neuerdings nicht nur gekocht und als Wurstbeilage gegessen, sondern auch als "Smoothie" getrunken enthält neben den Vitaminen A, D und B6 auch viel Eisen, Kalzium und Magnesium. Dass er auch Vitamin B12 enthält, wie beispielsweise der ORF berichtete, ist dagegen ein Mythos: Diesen Stoff, an dem es Veganern häufig mangelt, enthalten lediglich tierische Produkte und Nahrungsergänzungsmittel.
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