Superhelden vs Superschurken?

Matrix 4: Resurrections. Copyright 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. and Village Roadshow Films (BVI) Limited

Streaming und Ausbeutung, der Wert geistigen Eigentums – der Streit zwischen Warner Bros. und den Matrix-Machern

Vergangene Woche verklagte Village Roadshow, die Produktionsfirma von "Matrix: Resurrections", das Hollywood-Studio Warner Bros., mit dem sie eine mehr als zwei Jahrzehnte währende lukrative Partnerschaft verbindet, auf Vertragsbruch. Anfang dieser Woche hat Warner Bros. zurückgeschlagen.

Village Roadshow hat nach eigenen Angaben insgesamt etwa 4,5 Milliarden Dollar in seine Partnerschaft mit Warner Bros., Tochterfirma von WarnerMedia, investiert und viele Hits mitfinanziert, darunter "Joker" und die "Matrix"-Reihe.

Was sich zunächst nach dem üblichen Streit zwischen zwei dickköpfigen Kontrahenten anhört, die sich nicht einigen können, wer den größeren Teil vom eh nicht kleinen Kuchen abbekommt, erweist sich bei näherem Hinsehen jedoch als komplexere Problematik.

Erhebliche Auswirkungen von Streaming

Kern der Klage ist, dass Warner Bros. Village Roadshow weder konsultiert noch benachrichtigt hat, bevor sie sich entschieden haben, "The Matrix Resurrections" zeitgleich auf HBO Max zu zeigen.

Das Argument, dass diese zeitgleiche Verwertung pandemiebedingt war, lässt Village Roadshow nicht gelten und verweist darauf, dass andere Filme, die während der Pandemie veröffentlicht wurden, an den Kinokassen gut abschnitten, darunter "Spider-Man: No Way Home", der im Gegensatz zu "The Matrix Resurrections" bei Kinostart nicht ebenfalls auf einer Streaming-Plattform veröffentlicht wurde.

Laut Wall Street Journal könnten die Bestrebungen der großen Medienunternehmen, den eigenen Streaming-Diensten Vorrang vor anderen Plattformen einzuräumen, möglicherweise erhebliche finanzielle Auswirkungen für Schauspieler, Produzenten und Finanzpartner haben, da der Vorstoß in Richtung Streaming zwangsläufig auf deren Kosten ginge.

Vor rund einem halben Jahr schreckte ein ähnlicher Fall die Branche auf. Nachdem Scarlett Johansson im Juli 2021 artig ihre Promotionstour für "Black Widow" beendet hatte, verklagte sie Disney, die den Film aufgrund der Pandemie gleichzeitig in den Kinos und auf Disney+ zeigten, mit der Begründung, dies würde ihr vertraglich zugesicherte Einnahmen vorenthalten.

Copyright Disney

Die Superhelden-Darstellerin wurde für diesen furchtlosen Angriff auf einen sehr viel mächtigeren Gegenspieler von vielen ihrer Kollegen gelobt; die erwartete Flut ähnlicher Klagen blieb bisher jedoch aus. Im September gaben Disney und die Schauspielerin eine Einigung über eine ungenannte Summe bekannt.

Streaming hat im Verlauf der letzten Jahre die Arbeits- und Vorgehensweise der Studios in vielerlei Hinsicht verändert; da sie ihre Bemühungen weiter verstärkt auf den Online-Markt konzentrieren, fallen dem nicht nur alte Praktiken zum Opfer, sondern manchmal eben auch alte Partner.

"Die Strategie von WB hat nicht nur dafür gesorgt, dass 'The Matrix Resurrections' an den Kinokassen ein Flop werden würde, sondern auch der gesamten 'Matrix'-Franchise schweren Schaden zugefügt", heißt es in der Klage. "Es besteht kein Zweifel daran, dass die miserablen Einspielergebnisse von 'The Matrix Resurrections' an den Kinokassen den Wert dieses Franchise verwässern." (Variety).

Vorwurf: Untergraben des Wertes geistigen Eigentums

Die Vorgehensweise des Studios bezeichnen die Kläger als "die absichtlichen und konsequent koordinierten Bemühungen von WB, den erheblichen Wert des geistigen Eigentums von Village Roadshow zu untergraben". Das Ziel, insbesondere angesichts der fortschreitenden Konsolidierung Hollywoods durch Fusionen und Übernahmen, scheint darin zu bestehen, einen Major Player von der Beteiligung an den Streaming-Gewinnen auszuschließen (IGN).

Ausschnitt Filmplakat Matrix 4: Resurrections. Copyright 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. and Village Roadshow Films (BVI) Limited

Der vierte Teil der "Matrix"-Reihe Film hat bisher weniger als 150 Millionen Dollar an den Kinokassen eingespielt und bleibt damit weit hinter den Erwartungen zurück. Aufgrund der schlechten Einspielergebnisse sieht sich die Produktionsfirma nicht in der Lage, die vertraglich vereinbarte Zahlung an Warner Bros. einzuhalten. Wodurch das Unternehmen Gefahr läuft, seine Rechte an dem Film zu verlieren.

Der von Warner Bros. auf Ende 2021 vorgezogene Starttermin ist ein weiteres Argument in der Anklageschrift von Roadshow:

"WBs einziger Zweck für die Vorverlegung des Erscheinungstermins war es, die dringend benötigte 'Wave of Year-End' von HBO-Max-Premium-Abonnements zu generieren, wohl wissend, dass es ein Blockbuster sein würde. Und wohl wissend, dass dies die Einnahmen des Films an den Kinokassen dezimieren und Village Roadshow jeglicher wirtschaftlicher Vorteile berauben würde, die damit allein WB vorbehalten bleiben würden." (Channelnews)

Studios wie Warner Bros. arbeiten für ihre Filme und Serien mit einer Reihe von Produktionsfirmen zusammen. Als Mitfinanzierer verbleibt der Produzent zum Großteil der Urheberrechtsinhaber an diesen Produkten (aufgrund des Konzepts der "Corporate Authorship" besitzen die einzelnen Urheber wie Autoren und Regisseure kein Urheberrecht). Das bedeutet, dass Fortsetzungen oder andere sich daraus ergebende Stoffe ("Other Derivative Property") in der Regel der Genehmigung des Produzenten bedürfen.

Diese "Derivatives" hatten schon zuvor zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den nun erbitterten Kontrahenten geführt. Der neue Film "Wonka" wird nicht etwa das Prequel zum Film "Willy Wonka" sein, weit gefehlt: Laut WarnerMedia wird es sich dabei um ein "Qualified Derivative Work" handeln, also ein laut Vertrag keine Koproduktionsvereinbarung benötigendes Werk. Dass sogar der Hauptdarsteller von "Wonka" aussieht wie Johnny Depp in "Willy Wonka" - geschenkt. Denn: "Beide Filme werden unterschiedliche Hintergrundstories haben."

Mit Ellenbogen vorgehen: Big Hollywood mehr und mehr wie Big Tech

Das Projekt scheint gezielt so angelegt zu sein, dass Village Roadshow aus der üblichen Vereinbarung herausgenommen werden kann, in der sie bei Finanzierung, Produktion und Gewinn des Films eine Rolle spielen würden.

In der Stellungnahme von Warner Bros. von diesem Montag heißt es:

"Das Verhalten von Village war scheinheilig, genauso gekünstelt wie dieser Streit. Village reiste zur Weltpremiere und präsentierte sich als Produzent - und jetzt wollen sie sich ihren vertraglichen Verpflichtungen entziehen. So machen wir keine Geschäfte, schon gar nicht mit vertrauten Partnern." (IndieWire)

Daraufhin hat Village Roadshow Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt, die vom Richter am Dienstag abgelehnt wurde. Eine Anhörung zum Stand der Dinge ist für den 11. März angesetzt.

Warner Bros. legte am Dienstag neue Gerichtsakten vor, die belegen sollen, dass sie nie einem exklusiven Kinostart für "The Matrix Resurrections" zugestimmt haben und dass Village Roadshow immer noch $112,5 Millionen an Produktionskosten für das Projekt schuldet.

Für WarnerMedia, Disney und alle großen Streaming-Anbieter sind Unternehmen wie Village Roadshow seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. Sie möchten deren geistiges Eigentum möglichst ohne hinderliche Rechte und Koproduktionsverträge verwerten

Mit dieser Vorgehensweise könnte auch bezweckt werden, die Übernahme eines Unternehmens zu erzwingen, es im Grunde zu eliminieren, während sein geistiges Eigentum ausgewertet werden kann. Diese Art der Aussperrung, die Unternehmen dazu zwingt, sich eher auf die Übernahme als auf den Wettbewerb zu konzentrieren, ist den Praktiken im Silicon Valley nicht unähnlich, die derzeit vom Justizministerium oder der Federal Trade Commission kartellrechtlich geprüft werden.

Und in einer Zeit, in der sich WarnerMedia wegen seiner HBO-Max-Praktiken in der gesamten Branche Feinde gemacht hat, wäre es vielleicht auch keine schlechte Idee, Hollywood ein wenig kartellrechtlich unter die Lupe zu nehmen.

Mag sein, dass Village Roadshow einen Weg zur Einigung finden wird. Aber solange Big Hollywood mehr und mehr wie Big Tech aussieht, stehen diese Klagen für den kommenden Kampf um Kreativität und Vergütung. (IGN)