Suruc-Anschlag: Verschwörungstheorien und Rachemorde
PKK tötet türkische Polizisten, denen sie Kooperation mit dem IS vorwirft
Am 20. Juli wurden bei einem Sprengstoffanschlag in der südosttürkischen Stadt Suruç mindestens 32 Menschen getötet und über 100 weitere teilweise schwer verletzt (vgl. Die Türkei am Scheideweg: Demokratie oder Terror?). Die Opfer waren zu einem großen Teil junge Kurden, die sich in der Stadt gesammelt hatten, um sich am Wiederaufbau der nahe gelegenen kurdisch-syrischen Stadt Kobanê zu beteiligen, die die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) weitgehend zerstört hat.
Nachdem es erst hieß, der Anschlag sei wahrscheinlich durch eine von drei jungen Frauen verübt worden, die dem IS nahe stehen und in der Türkei untergetaucht sind, steht nun fest, dass ein 20-jähriger türkischer Salafist den Sprengsatz gezündet hat. Allerdings sind nicht alle politischen Akteure in der Türkei mit dieser Erklärung zufrieden: Kurden werfen der Regierung vor, dass bei der Versammlung im Garten des Kulturzentrums Amara keine Polizisten anwesend waren. Der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç reagierte auf diese Vorwürfe mit der Frage, warum keine Vertreter der HDP und der HDP-dominierten Stadtverwaltung zugegen waren und zu Schaden kamen. Und er fügte hinzu, man werde eine "Antwort auf diese Frage finden".
Hinter beiden Fragen stecken Verschwörungsvorwürfe: Die der fehlenden Polizisten legt nahe, dass die Regierung von den Anschlagsplänen wusste. Die der fehlenden HDP-Politiker enthält implizit den Vorwurf, dass die Partei Kenntnis davon hatte, aber nichts unternahm, um Märtyrer für ihre Ziele zu produzieren und (auch im Hinblick auf mögliche baldige Neuwahlen) dem Image der AKP und der türkischen Regierung zu schaden.
Angeheizt werden die Verschwörungstheorien durch eine Twitter-Sperre, die türkische Provider gestern mehrere Stunden lang verhängen mussten. Sie sollte die Veröffentlichung von "visuellem Material mit Verbindung zum Anschlag" verhindern, die ein Gericht zuvor untersagt hatte. Einige Stunden später hob das Gericht die Sperre wieder auf. Als Begründung für den Eingriff wurde angeführt, der Mikro-Bloggingdienst habe zu lange gebraucht, um die verbotenen Inhalte zu entfernen.
In der östlich von Suruç gelegenen Grenzstadt Ceylanpinar wurden am Mittwoch die Leichen von zwei Polizisten gefunden, die in einer Wohngemeinschaft lebten. Einer davon war in einer Anti-Terror-Einheit tätig, der andere in einer Einheit für besondere Aufgaben. Die Hêzên Parastina Gel (HPG), der militärische Arm der verbotenen Kurdenpartei PKK, bekannten sich inzwischen dazu, die beiden Männer mit Kopfschüssen getötet zu haben. Als Motiv nannten sie Vergeltung für den Anschlag in Suruç. Für die Behauptung, die beiden Polizisten hätten mit dem IS kooperiert, führten die "Volksverteidigungskräfte" keine Beweise an.
Durch den Kampf gegen die IS-Terroristen konnte die PKK im letzten Jahr ihr Image verbessern. Dabei geriet in den Hintergrund, dass auch diese Gruppe keineswegs vor Mord zurückschreckt: In der Türkei starben vor allem in den 1980er und 1990er Jahren zahlreiche Menschen durch ihre Kugeln und Bomben. Damals führte die Organisation sogar in Deutschland Disziplinierungsmorde durch.
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