Survival Training im Inneren eines Schwarzen Lochs

Russische Astrophysiker glaubt einen Weg gefunden zu haben, wie man ein Schwarzes Loch gefahrlos durchqueren kann

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"Schwarze Löcher sind Gespenster toter Sterne, die sich bei ihrem Kollaps vom übrigen Universum abgetrennt haben", schrieb einmal der englische Astrophysiker Sir Martin Rees. Tatsächlich neigen die Licht schluckenden Objekte dazu, dem All Materie und Energie zu entziehen. Alles, was ihnen zu nahe kommt, wird auf Nimmerwiedersehen verschlungen. Was hingegen in ihrem Innern passiert, ist pure Spekulation.

Einig sind sich die Forscher immerhin darin, dass "dort" die uns vertrauten physikalischen Gesetze höchstwahrscheinlich keine Gültigkeit mehr haben. Bis dato ist noch kein Mensch aus bekannten und guten Gründen dorthin geflogen. Dabei gäbe es für waghalsige Astronauten nach Ansicht von Igor Novikov vom Theoretical Astrophysics Center in Kopenhagen eine echte Chance, einen bestimmten Typ von Schwarzen Löchern unbeschadet zu durchqueren. Wie das Wissenschaftsmagazin NewScientist berichtet, hat Novikov bereits einen geeigneten Kandidaten vor der kosmischen Haustür ausgemacht. Fehlt nur noch ein Freiwilliger, der fliegt.

Rotierendes Schwarzes Loch - Bild: NASA

Jeder, der schon einmal gedanklich eine Reise in das Innere eines Schwarzen Loches unternommen hat, wird unter Berücksichtigung der bislang bekannten (astro-) physikalischen Parameter den fiktiven Flug mit großer Wahrscheinlichkeit in schlechter Erinnerung behalten haben.

Zu Spaghetti verarbeitet

Wer sich einmal imaginär bis an die Grenze des Undenkbaren gewagt und dabei den Ereignishorizont eines Schwarzes Loches überschritten hat, kann sich nur allzu gut in seiner Fantasie ausmalen, dass ein solcher Trip in der Realität für jede Form von belebter und unbelebter Materie eine Reise ohne Wiederkehr sein muss. Selbst der best geschulte und optimal ausgerüstete Astronaut würde der dort vorherrschenden enormen Gravitation unweigerlich Tribut zollen müssen: Er würde regelrecht zusammengequetscht und auseinandergezogen oder - wie es einmal Stephen Hawking pointierte - "zu Spaghetti verarbeitet". "Wenn Sie in ein Schwarzes Loch springen, wird es Sie zerreißen und umbringen", so der britische Astrophysiker.

Ein lebensmüder Astronaut, der sich einem kosmischen Staubsauger dieses Kalibers bewusst näherte, wäre den Gezeitenkräften schutzlos ausgeliefert. Bereits in der mittelbaren Umgebung eines Schwarzen Loches, räumlich noch vor dem Ereignishorizont, würde unser mutiger Freund ein immenses Ziehen und Zerren fühlen, bis ihn der "poststellare" Gezeiteneffekt förmlich zu einem unförmigen Etwas umformen, besser gesagt zerfetzen würde. Der Sturz unseres Astronauten in die Singularität, jenem unendlich dichten und heißen zentralen Punkt eines Schwarzen Loches, in dem alle Qualitäten und Quantitäten von Raum, Zeit und Materie auf undefinierbare Art und Weise enden oder eine wie auch immer anders geartete "Wiedergeburt" erleben, entspräche also lange vor dem Erreichen des anvisierten Zielgebietes einem Fall ins Bodenlose.

Zweiter Ereignishorizont als Lebensretter

Nein, nicht ungedingt - unter bestimmten Umständen könnte sich dies völlig anders verhalten, behauptet nunmehr Igor Novikov vom Theoretical Astrophysics Center in Kopenhagen (Dänemark). Konträr zur bisherigen konventionellen Sichtweise - sieht man einmal von den Wurmloch-Fantastereien ab, an denen Novikov ebenfalls mitwirkte -, sieht der Russe keineswegs eine zwangsläufige Notwendigkeit darin, dass der Flug durch ein Schwarzes Loch für einen Sternreisenden automatisch mit dem Tod enden muss.

Novikovs Konzept basiert auf den Erkenntnissen, die der neuseeländische Mathematiker Roy Kerr bereits 1963 gewonnen hatte. Dieser entdeckte seinerzeit - ausgehend von der Überlegung, dass auch Sterne und Galaxien rotieren und daher die Chance relativ groß sein müsse, dass sich Schwarze Löcher ähnlich verhalten -, dass Einsteins Gleichungen eine ganz neue Art von Schwarzen Löchern voraussagten: eben rotierende Schwarze Löcher. Diese mussten sich doch im Unterschied zu Sternen wegen ihrer viel größeren Dichte selbstredend schneller um ihre eigene Achse drehen. Bei solch einem rotierenden Objekten bildet sich, wie Kerr später herausfand, noch ein zweiter Ereignishorizont, der im Raumzeit-Gefüge eine kleine Falte hinterlässt ("a slight wrinkle"), wobei seine genaue Position von der Geschwindigkeit der Rotation ("speed of rotation") abhängt.

Genau hieran knüpft Novikov mit seiner neuen Theorie an. Ihr zufolge wandelt sich nämlich just dieser zweite Ereignishorizont nach einiger Zeit in eine zweite Singularität um ("mass-inflation singularity"). Dies mache den imaginären Trip ins Innere eines Schwarzen Loches überhaupt erst möglich, weil dank dieses Vorgangs die erste und weitaus gefährlichere Singularität verschluckt werde, so Novikov. Ohne eine solche "mass-inflation"-Singularität wäre ein potenzieller Raumzeit-Reisenden rettungslos verloren.

Wahl des Schwarzen Lochs entscheidet

Wie Novikov auch in einem Preprint ausführlich berichtet, ergaben die Berechnungen, dass die Gezeitenkräfte, die bei einer zweiten Singularität zum Tragen kommen, nicht lange genug einwirken können, um ein Objekt zu deformieren. Weil die Raumzeit in diesem Gebiet derart stark gekrümmt ist, würde die Reise an diesem Punkt nämlich besonders schnell vonstatten gehen. Somit bestände Novikov zufolge eine echte theoretische Chance, ein Schwarzes Loch unbeschadet zu durchfliegen.

Obwohl sie beim Anflug eine unendliche Gezeitenkraft spüren würden, wäre dies nur für kurze Zeit. Folglich würden sie dass Schwarze Loch durchqueren können, ohne Schaden davon zutragen.

Freilich hinge der Erfolg einer solchen Exkursion ganz allein von der Wahl des Schwarzen Loches ab. Und da kämen eben nur solche in Frage, die drei Grundbedingungen erfüllen. Erstens müssten sie auch wirklich zu den Rotierenden ihrer Klasse zählen, zweitens sehr alt sein, damit sich dort überhaupt eine zweite Singularität ausbilden könne. Drittens - und dies wäre die Hauptprämisse - müssten derlei Gebilde extrem massereich sein, weil bei stellaren, also kleineren Schwarzen Löchern die Gezeitenkräfte für Raumzeit-Reisende entschieden zu groß seien.

Damit also ein Astronaut nicht sofort in Stücke gerissen werde, müsste es schon ein rotierendes supermassives Schwarzes Loch mit einigen Hundert Millionen Sonnenmassen sein.

"In der Nähe eines supermassiven Schwarzen Loches ist der Gezeiteneffekt um einiges geringer als bei einem stellaren Schwarzen Loch, das einige Sonnenmassen aufweist", bestätigt Eric Poisson von der University of Guelph in Ontario (Kanada) eine inzwischen allseits bekannte und anerkannte Tatsache. Neu hingegen ist nur seine Folgerung:

Sie würden, wenn Sie den Ereignishorizont überschreiten und in Innere vorstoßen, davon deshalb nichts mitbekommen.

Survival Training auf höchstem (Energie-)Niveau

Wer jetzt hellhörig geworden ist, sollte berücksichtigen, dass Schwarze Löcher gleich in drei grundverschiedenen Varianten durchs All geistern: mal als stellare Schwarze Löcher (SL) von nur wenigen Kilometern Durchmesser, die einem Muttergestirn entstammen, das nur einige Male schwerer ist als unsere Sonne; mal als mittelschwere gefräßige Energiemonster, die eine Masse von 10.000 bis 100.000 Massen unserer Sonne aufweisen oder gar als supermassive Monster, die rund eine Million bis zu einer Milliarde Sonnenmassen haben können.

Die supermassiven Schwarzen Löcher von NGC 6240 (Bild: (STScI, NASA; MPE)

Erfreulicherweise sind derlei supermassive Giganten im Weltraum aber keine Ausnahmeerscheinung. Ein Kandidat, der beispielsweise die besten Vorrausetzungen für eine solche Reise mitbringt, liegt - gemessen an astronomischen Maßstäben - sozusagen direkt vor unserer Haustür, genauer gesagt im Zentrum der Galaxis: das Schwarze Loch Sagittarius A. Dieses im Herzen unserer Milchstraße eingebettete und rotierende Monster ist sowohl supermassiv als auch alt genug, um interessierten Astro-Travelern Survival Training auf höchstem (Energie-)Niveau zu ermöglichen.

Fragt sich nur, was ein Raumzeit-Reisender hinter einem solchen supermassiven Schwarzen Loch fände. Wäre es überhaupt ein Flug "in" respektive "durch" die Singularität? Wie um alles in der Welt soll denn jemand die Singularität selbst überleben? Und was erwartet uns darin und dahinter? Ein kosmischer Tunnel, ein Wurmloch, das gar in ein anderes Universum, eine Parallelwelt weist? Gäbe es überhaupt ein Zurück für den Reisenden? Könnte dieser für den Fall, dass er die holprige Exkursion überlebte - uns von seinem Erlebnis später einmal Rapport erstatten?

Freiwillige gesucht

Wie dem auch sei - Igor Novikov, der selten um ungewöhnliche Ideen verlegen ist, glaubt auf jeden Fall, dass die "mass inflation"-Singularitäten uns möglicherweise in ein anderes Universum führen könnten, wobei der Astrophysiker in seinem Skript vielleicht aus verständlichen Gründen sich nicht weiter in übermäßigen Spekulationen verliert.

Da bleibt dann wohl nur, die Probe aufs Exempel zu machen. Irgendjemand sollte möglichst bald fliegen, um die Richtigkeit dieser unreifen These flugs zu wider- oder belegen. Dummerweise hat aber bislang noch kein Freiwilliger Bereitschaft signalisiert, sich auf ein solches im wahrsten Sinne des Wortes "mitreißendes" Abenteuer einzulassen. Auch Igor Novokov nicht. Und natürlich auch kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung, die sich ja immerhin mit finsteren und (geld-)gierigen "Löchern" bestens auskennt, wenngleich dieser Typus zugegebenermaßen nicht astrophysikalischer, sondern rein fiskalischer Natur ist.