Syrien: Am Ursprung des islamistischen Extremismus

Seite 2: Die Parteien übergreifende Kriegsfraktion

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Tatsächlich beeindruckt die Hartnäckigkeit, mit der sich Präsident Barack Obama und sein Außenminister John Kerry regelmäßig öffentlich als erfolgreiche Kriegsherren in Syrien und Irak darstellen. Jede Zeitungsleserin hat zwischenzeitlich mitbekommen, dass die Organisation "Islamischer Staat" größere Städte und Ballungsgebiete wie Mossul, Falludscha und Palmyra einnahm. Barack Obama erklärt derweil, er glaube nicht, dass "wir verlieren". John Kerry gibt sich optimistisch, man werde den IS "letztlich zerstören" und Marine-General John Allen sekundiert: "Der IS ist am Verlieren."

Dass nicht alle Funktionäre den haarsträubenden Unsinn von einer erfolgreichen Offensive gegen den "Islamischen Staat" ernst nehmen, könnte natürlich eine gute Nachricht sein. Die viel interessantere Frage lautet allerdings, wer eigentlich die Kräfte sind, die diese absolut zerstörerische Strategie voranzutreiben. James Carden sprach neulich mit Blick auf Washingtons Ukraine-Politik von einer "Parteien übergreifenden Kriegsfraktion" aus Abgeordneten, Regierungsmitarbeitern und ihren Alliierten in den Massenmedien, welche versuchen, jede Entspannungsstrategie aus dem Außenministerium zu unterminieren.

Im IPG-Journal bezeichnete Jeffrey Sachs dieselben Personen als "eigentümliche Fusion" aus Sicherheitsapparat und Menschenrechtsgemeinschaft. "Der aktuelle Ansatz der Vereinigten Staaten - nämlich einen Zwei-Fronten-Krieg gegen den Islamischen Staat und das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu führen - ist kläglich gescheitert", lautet die Bilanz des Direktor des Earth Institutes an der Columbia Universität. Herausgekommen sei eine einzige Katastrophe. Um in Syrien weiterzukommen, müssen die USA von ihrer unilateralen Forderung nach einem Regimewechsel abrücken und mit dem Rest des Sicherheitsrates, einschließlich China und Russland, hinsichtlich eines gemeinsamen Ansatzes zusammenarbeiten.

Die andere Seite lässt sich jedoch dank einer pluralen Öffentlichkeit ebenfalls namentlich benennen. Prominent positionierte sich kürzlich Ex-General David Petraeus, der ab 2004 maßgeblich daran beteiligt war, den sektiererischen Massenmord in der Region überhaupt erst anzuzetteln. Um die Organisation "Islamischer Staat" zu bekämpfen, so der ehemalige CIA-Chef, sollte man in Syrien stärker mit Al-Qaida zusammenarbeiten. Dabei verwies er auf eigene "positive Erfahrungen im Irak", wo seine Leute sunnitische Milizen anwarben, angeblich um Al-Qaida zu bekämpfen. Aus diesen - von den US-Streitkräften ausgebildeten - Milizen rekrutierte sich später ein wesentlicher Teil der Organisation "Islamischer Staat".

In die gleiche Richtung, und noch etwas deutlicher, argumentiert die Brookings Institution. Mit dem Bericht "Deconstructing Syria" schlägt Washingtons ältester Think-Thank vor, das Land komplett zerstören zu lassen. Die "internationale Gemeinschaft" sollte sich darauf konzentrieren, einige bestimmte Regionen als "Sicherheitszonen" zu halten. Aus diesen autonomen Gebieten heraus könnten die Alliierten - Saudi-Arabien und die Türkei - die von ihnen unterstützten Kräfte langfristig aufbauen. Das mittelfristige Ziel sollte ein konföderiertes Syrien sein, in dem ganz unterschiedliche Kräfte eine "möglicherweise gemäßigte" nationale Regierung bilden. "All das ist darauf angelegt, die Kämpfe anzuheizen, und verschlimmert die Lage der Menschen in Syrien noch", kommentierte Martina Doering in der Frankfurter Rundschau.

Der US-Journalist James Risen recherchierte für sein neues Buch das Milliardengeschäft mit dem "Kampf gegen den Terror", das viele Paradoxien in diesem endlosen Krieg erklären kann (USA: Der nationale Sicherheitsapparat wurde zur Dauereinrichtung). Er erklärt das System hinter den propagandistischen Lautsprechern des permanenten Massakers, das Netz aus Geheimdienstbehörden und ihren privatwirtschaftlichen Partnern. Vier Billionen Dollar an Steuergeldern haben die USA seit dem Jahr 2001 an den "Heimatschutzkomplex" verteilt, für einen Krieg, der deshalb nicht enden darf. "Die anschwellenden Ausgaben der Regierung für den Antiterrorkampf lösten einen wahren Goldrausch in der Sicherheitsindustrie aus", so Risen, der auch die gigantischen Schwarzgeld-Depots verfolgt, mit denen die CIA seit Jahren den Krieg am Laufen hält.

Saudi-Arabien: Der zweite Motor des Wahnsinns

Unabhängig davon, was die US-Regierung davon weiß und damit will, sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass ihre Außenpolitik schon lange nicht mehr die einzige Kraft in der Region ist. In seiner aktuellen Strategie zur Nationalen Sicherheit bedachte Barack Obama den Nahen und Mittleren Osten mit einigen spärlichen Bemerkungen. Er begnügt sich mit dem allgemeinen Hinweis, dass "unsere Partner am Golf" in der Lage sein sollten, sich selbst zu verteidigen. Die arabischen Länder werden in allgemeiner Form zusammen mit dem Irak-Krieg als Quelle potentieller Instabilität infolge der "2011 Arab uprisings" thematisiert.

Stattdessen wird die Frage der Nationalen Sicherheit unter einem neuen energiepolitischen Vorzeichen behandelt: "Die Vereinigten Staaten sind jetzt der weltweit größte Erdgas- und Erdölproduzent. Unsere Abhängigkeit vom ausländischen Öl liegt auf dem tiefsten Niveau seit 20 Jahren - und sie fällt weiter." Entsprechend komme den historischen Alliierten in der Region, und das sind die Golf-Monarchien und Ägypten, eine neue Verantwortung zu. Dass aber insbesondere Saudi-Arabien nicht nur ein islamischer Staat ist, sondern auch die Gründung eines neuen Islamischen Staates in der europäischen Nachbarschaft unterstützt, das mag in der europäischen Debatte bisher kaum jemand zur Kenntnis nehmen. Bestenfalls ist verschämt die Rede von "privaten Spendern vom Golf" - ein Code, der auch schon vor 30 Jahren in Afghanistan verwendet wurde.

In der außenpolitischen Debatte in den USA finden sich hingegen sehr viel deutlichere Analysen. Als der neue saudische Herrscher Salman kürzlich bei seinem historisch wichtigsten Verbündeten landete, empfing ihn eine keineswegs freundliche Presse. Die New York Times kommentierte auf der ersten Seite:

Nichts hat die Stabilität und die Modernisierung in der arabischen Welt stärker untergraben, als die Milliarden und Abermilliarden Dollar, welche die Saudis seit den 1970ern investiert haben, um den Pluralismus im Islam auszurotten.

Das eher konservative Magazin für Außenpolitik, Foreign Policy, verwies auf ein außerordentliches Paradox: Trotz der Kooperation bei der Terrorbekämpfung bleibe "Saudi-Arabien der Ursprung für den islamistischen Extremismus".

Wie dieses Paradox funktioniert, beschrieb Ed Husain bereits im Sommer 2014. Das Königreich sei paralysiert durch seine Bindung an den sunnitischen Extremismus. "Wir sind zu Recht empört über die Enthauptung von James Foley durch militante Islamisten", so der Berater der Tony Blair Faith Foundation. Aber niemand sollte vergessen, dass im selben Monat 19 Menschen in Saudi-Arabien geköpft wurden - die Hälfte von ihnen für gewaltfreien Widerstand gegen die feudale Herrscherclique.

Seit inzwischen fünf Jahrzehnten finanziert die saudische Herrscherkaste offiziell den sunnitischen Salafismus weltweit, eine rigide pietistische Auslegung der Religion, die überall dort auftritt, wo Dschihadisten ihrem Geschäft nachgehen. "Saudi-Arabien hat das Monster des salafistischen Terrorismus geschaffen", und die beste Möglichkeit ihn zu bekämpfen, sei es, die theologischen Wurzeln des Extremismus "in Mekka und Medina" anzugehen, so Ed Husain.

Innerhalb der Umma, der weltweiten muslimischen Gemeinschaft, machen die Salafis keine drei Prozent aus. Aber das saudische Königshaus fördert seine Ausbreitung über seine Botschaften in allen Ländern der Welt. Sie privilegieren den Salafismus in den Organisationen der Muslimischen Weltliga und der Weltversammlung der muslimischen Jugend. Die Universität von Medina rekrutiert Studenten aus der ganzen Welt, um sie zu salafistischen Predigern auszubilden und in die muslimischen Gemeinden weltweit zu verschicken. In Afrika, Indonesien, Bangladesch und Ägypten betreiben diese von den Saudis ausgebildeten Hardliner die Ausrottung von lokalen, harmonischen Formen des Islam.

Billigung in der Exportgemeinschaft

Dass in europäischen Medien dazu selten klare Analysen anfallen, hat sicher nicht nur damit zu tun, dass Saudi-Arabien unter hiesigen Journalisten auf Einkaufstour geht, um sein Image pflegen zu lassen. Im Jahr 2004, unmittelbar nach der Besetzung des Irak, setzte eine Rüstungsoffensive der Golf-Staaten ein, die in ihrem Umfang beispiellos in der an Waffen gewiss nicht armen Region ist. In den vergangenen 10 Jahren vervierfachten die Golf-Monarchien ihre jährlichen Ausgaben für Rüstungsgüter von 20 Milliarden Dollar auf mindestens 80 Milliarden Dollar im Jahr 2014, wobei dies noch konservative Einschätzungen aus IWF-Quellen sind.

Das International Institute for Strategic Studies schätzt die 2014er Ausgaben für militärische Angelegenheiten der GCC-Staaten sogar auf 113 Milliarden. Zum Vergleich: Der Iran verfügt über die doppelte Bevölkerungszahl, gab aber 2012, dem letzten Jahr für das eine entsprechende Berechnung vorliegt, nur etwa 12 Milliarden Dollar für seinen Verteidigungshaushalt aus. Das machte in diesem Jahr 2,67 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes aus, während Saudi-Arabien 2012 beeindruckende 7,7 Prozent seines BIP und Oman sogar groteske 16,36 Prozent in seine Aufrüstung steckte.

Als Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch angesichts der Flüchtlingswelle direkt auf die deutschen Rüstungsexporte zu sprechen kamen, hatten sie, auch was den konkreten syrischen Kontext betrifft, damit durchaus den richtigen Punkt getroffen, selbst wenn Rheinmetall und Heckler & Koch gar nicht an Syrien liefern. Aber auch ansonsten enthielt die Positionierung aus der Partei Die Linke wieder reihenweise Aspekte, auf die rechthaberische Genossen in der Zukunft gelegentlich zurückgreifen können:

"Westliche Staaten unter der Führung der USA haben ganze Regionen destabilisiert, indem sie unter anderem Terrororganisationen möglich gemacht und instrumentalisiert haben. Mörderbanden, wie z.B. der Islamische Staat (IS), wurden indirekt unterstützt und auch von mit Deutschland verbündeten Ländern ungehindert mit Geld und Waffen beliefert."