Syrien: Bolton knüpft Abzug der USA an Bedingungen
Gegner eines eindeutigen und schnellen Rückzugs versuchen gegenzusteuern. Der Nationale Sicherheitsberater fährt Trump mit diffusen Forderungen in die Parade
In der US-Regierung ist man sich offensichtlich uneinig über den Abzug der US-Truppen aus Syrien. Trump hatte am 19. Dezember für eine Sensation gesorgt, als er den Abzug der geschätzt etwa 2.000 Soldaten ankündigte, der nach seinem Willen bald erfolgen sollte, wie er andeutete: "Sie kommen alle heim und sie kommen jetzt heim". Pressesprecherin Sanders bestätigte den verblüfften Medien, dass der Abzug bereits begonnen habe und Vertreter des Pentagon äußerten, dass der Präsident angeordnet habe, dass der Abzug "binnen 30 Tagen vollständig erledigt werden sollte". Unmöglich, sagten viele.
Es setzten Gegenbewegungen ein: der Rücktritt des Verteidigungsministers Mattis, eine Serie von Äußerungen aus dem Militär, vom Verteidigungsministerium, von Senator Lindsey Graham und schließlich Andeutungen von Trump selbst, dass der Abzug vier Monate dauern könnte.
Die derzeit letzte Pointe in dieser "I never said fast or slow"-Show wurde am gestrigen Sonntag mit der Behauptung gesetzt, dass sich der Abzug auch "Monate oder Jahre hinziehen könnte".
Zu lesen ist dies in der New York Times, die sich in ihrem Beitrag auf Äußerungen des Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton bezieht. Der stellte Bedingungen für den Abzug auf, die ihn verzögern. Bolton zählte auf: den Kampf gegen Reste der IS-Milizen, Garantien der Türkei, die Kurden der YPG zu verschonen, sowie die Aktivitäten Irans, die eine Präsenz der USA in al-Tanf, im Süden Syriens an der Grenze zum Irak, nötig machen würden.
Boltons Profilpflege
Bolton ist wie Außenminister Pompeo auf Besuch im Nahen Osten, um Verbündeten die US-Politik nahezubringen. Am Sonntag war er in Jerusalem, der Hauptstadt des engsten US-Verbündeten in der Region, Israel. Von dort wurden Besorgnisse übermittelt, dass der Rückzug des US-Militärs Iran zugute käme. So ergab sich für Bolton, der wie Pompeo ein ausgewiesener Falke in Sachen Iran ist, die Möglichkeit, darauf zu verweisen, dass der Abzug kein festes Datum habe und von Bedingungen abhängig sei, die mit der Präsenz Irans in Syrien zu tun haben.
Bolton hatte ja bereits früher davon gesprochen, dass die USA sich erst dann aus Syrien zurückziehen würden, wenn Iran sich ebenfalls zurückziehen werde - eine utopische Bedingung, die vor allem dazu da war, eine Haltung der Stärke zu dokumentieren, die von den machtpolitischen Möglichkeiten der USA in Syrien nicht gedeckt werden. Für Beobachter war Boltons Verknüpfung der US-Präsenz in Syrien mit der iranischen Präsenz eins der Indizien dafür, dass die USA "endlos" dort bleiben. Entsprechend unkt die New York Times nun, dass aus den vier Monaten, von denen Trump kürzlich sprach, doch wieder Jahre werden können, wenn man Bolton zuhört.
Der Sicherheitsberater blieb bei seinem Besuch in Jerusalem in vielen Punkten unkonkret, wie ein Bericht der Times of Israel darlegt. Aus dem Bericht wird klar, dass es Bolton vor allem darauf ankam, den israelischen Ministerpräsidenten der Unterstützung der USA zu versichern: Die "Verteidigung Israels und anderer Freunde in der Region muss absolut gesichert sein". Der Rest bleibt diffus: Der Zeitplan für den Abzug der US-Truppen hänge von "politischen Entscheidungen ab, die umgesetzt werden müssen".
Am Dienstag soll Bolton in die Türkei reisen. Dort wird man ihm auseinandersetzen, was der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalın, mit der Bezeichnung "irrational" für die US-Politik in Syrien verbindet: das US-amerikanische Verhältnis zur YPG, die von der türkischen Regierung bekanntlich als "Terroristen" bezeichnet werden und die Schutzgarantien, die die USA auch laut Aussagen von Außenminister Pompeo verlangen. Den hatte die israelische Publikation HaOlam mit der Aussage zitiert: Man werde "ein Abschlachten der Kurden in Syrien durch die Türken nicht zulassen".
Die Türkei hat gerade andere Probleme
Die New York Times führt in dem erwähnten Bericht an, dass Bolton über türkische Sicherheitsgarantien für die kurdischen Verbündeten hinaus noch die kuriose Idee verfolge, dass die Türkei in Nordostsyrien als eine Art Ablösung für die US-Truppen den IS bekämpfen könne. Die Zeitung spricht von einem "Memo" Boltons, deren Inhalte zuvor im Wall Street Journal in Auszügen veröffentlicht wurden. Laut Einschätzung von Beobachtern wie Moon of Alabama findet diese Idee wahrscheinlich weder große Unterstützung in der US-Regierung noch in der türkischen Regierung noch bei den Kurden. Auch in der US-Regierung mangelt es dem Bolton Memo an Unterstützung.
Die Türkei bräuchte, wie auch die New York Times ausführt, zur Durchführung dieser Aufgabe reichlich Unterstützung der USA, besonders von deren Luftwaffe. Das wäre ein Aufwand, der im Gegensatz dazu steht, was Trump zuletzt mit der Rede von Syrien, das nur "Sand und Tod" bedeute, verdeutlichte: Dass sich seiner Meinung nach ein Engagement über ein bestimmtes Maß hinaus in dem Land nicht lohne.
Dazu kommt, dass die Regierung in Ankara derzeit genug Probleme in den syrischen Regionen weiter westlich hat, wo die Dschihadistenmiliz Hayat al-Tahrir al-Sham (HTS, früher al-Nusra-Front) zuletzt Gebiete erobert hat, die von Verbündeten der Türkei gehalten wurden. Damit ist auch das Abkommen in Gefahr, das die Türkei mit Russland zu Idlib getroffen hat.
Dort ging es zum einen darum, dass die HTS auf Distanz gebracht werden sollte, und zum anderen, dass wichtige Verbindungsstraßen frei sind. Die neuen Entwicklungen rücken diese Zielsetzungen in größere Ferne und es ist wahrscheinlich, dass sich Moskau und Damaskus ungeduldiger zeigen werden als in den letzten Wochen, umso mehr wenn die USA die Türkei als "Ablöse im Kampf gegen den IS" quasi nach Syrien einladen würden, wie es Boltons Plan nahelegt.
Auch die kurdischen Partner der USA dürften von solchen Plänen nicht angetan sein. Sie orientieren sich derzeit eher Richtung Damaskus, um dort Sicherheitsgarantien auszuhandeln.