Syrien: Explosive Situation

Der Einsatz chemischer Waffen könnte die Situation in Syrien ändern, allerdings sieht es derzeit so aus, als könne die Zeit für das Assad-Regime handeln

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Britische, französische, israelische und US-amerikanische Geheimdienste gehen davon aus, dass das Assad-Regime im März chemische Waffen gegen Menschen im eigenen Land bei Aleppo eingesetzt hat. Damit wäre bekanntlich eine "rote Linie" für die US-Regierung überschritten.

US-Präsident Obama, der bereits Probleme mit Nordkoreas Provokationen hat, mit denen das dortige Regime ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung als Atommacht fordert, kommt damit in Bedrängnis. Und weil nach dem Abschuss der Drohne vor der israelischen Küste auch der Konflikt mit der Hisbollah und dem Iran wieder aufgeflammt ist, dürfte Obama versuchen, eine Entscheidung im syrischen Konflikt zumindest möglichst weit hinauszuschieben. Auch der britische Regierungschef David Cameron will zwar die Drohkulisse verstärken und für die Unterstützung der Rebellen werben, aber Großbritannien nicht wirklich militärisch in einen Konflikt in Syrien verwickeln.

In der Region gibt es weitere gefährliche Konflikte, die auch die US-Regierung beschäftigen. Da wäre beispielsweise Afghanistan. Hier drohen die Taliban einmal wieder mit einer Frühjahrsoffensive, die den Abzug von Soldaten und Gerät, aber auch die afghanische Regierung gefährden könnte. Präsident Karsai kämpft derweil um sein Überleben und versucht, sich stärker von den Isaf-Staaten abzusetzen. Auch im Irak geht es turbulent zu, zumal der Konflikt zwischen den Kurden und schiitisch dominierten Regierung weiter vor sich hinbrodelt. Die Kurden werden auch deswegen stärker, weil die PKK den Kampf einstellen will. Die Gefahr besteht weiter, dass der Staat zerfallen könnte, Hintergrund ist vor allem die Verfügung über die großen Öl-Ressourcen. Umstritten ist die Region um Kirkuk, wo die Kurden Peshmerga-Einheiten stationiert haben, um ihren Anspruch auf diese mitsamt den Ressourcen geltend zu machen. Am Freitag hatte Obama klar gemacht, dass er trotz des Drängens von konservativen Kriegstreibern vor einer militärischen Intervention zurückschreckt. Er verlangt erst einmal sichere Beweise, die berichteten Vorkommnisse seien relativ geringfügig, es müsse erst bewertet werden, ob damit überhaupt die angekündigte rote Linie überschritten worden sei (Schlüssige und sichere Beweise liegen nicht vor). Der Einsatz von chemischen Waffen gegen Zivilisten sei zwar ein "Game Changer", aber offenbar nun erst dann, wenn es sich um seinen "systematischen" Einsatz handelt. Die rote Linie ist also eine Frage der Auslegung. Die Frage ist sowieso, warum das Töten von Zivilisten mit chemischen Waffen verwerflicher sein soll als mit "konventionellen" Waffen wie Bomben, wie das gerade wieder in Aleppo geschehen ist. Streubomben werden nach Human Rights Watch immer wieder eingesetzt.

Weil aber auch weiter kein Beweis vorliegt, wer eventuell chemische Waffen eingesetzt hat, kann auch darüber spekuliert werden, ob nicht Rebellen solche Waffen erhalten und eingesetzt haben, um eine militärische Intervention herbeizuführen. Eben das behauptet auch das syrische Regime. Der Informationsminister Omran al-Zoubi wies alle Anschuldigungen zurück, sprach von einem Szenario wie vor dem Irak-Krieg und behauptete am Freitag, die chemische Waffen seien von den Rebellen eingesetzt worden und gab die Vermutung kund, sie würden von der Türkei stammen.

Das muss er auch so sagen, da vornehmlich Israel gedroht hatte, militärisch eingreifen zu müssen, wenn die chemischen Waffen der syrischen Armee aufgrund von Sicherheitsproblemen in die falschen Hände geraten würden. Nach dem Informationsminister würde man den Vorfall untersuchen und dafür russische Experten heranziehen. Die syrische Opposition will davon nichts wissen und bekundete, sie habe kein Vertrauen zu Russen, schließlich sei Russland der wichtigste Waffenlieferant und der wichtigste Unterstützer des Regimes. Die Vereinten Nationen wollen den Vorwürfen nachgehen, wozu sie von Syrien auch aufgefordert wurden, aber die Untersuchung soll auf einen Vorfall beschränkt werden.

Rächt sich die mangelnde Unterstützung der säkularen Opposition?

Die Zeit könnte für das Assad-Regime arbeiten, das sich als einzige verbliebene säkulare Regierung in der Region präsentieren kann, die zunehmend von eben jenen Islamisten bekämpft wird, die auch die Feinde der USA und des Westens sind. Die Alternative zu Assad wäre ein islamistischer Gottesstaat. Möglicherweise rächt sich nun die zurückhaltende Unterstützung der nicht-islamistischen Opposition durch den Westen. Nicht nur Israel, auch der jordanische König Abdullah warnte bei seinem Besuch im Weißen Haus vor einem Zerfall Syriens und dem Erstarken der "militanten extremistischen Organisationen", also der Islamisten, was die gesamte Region gefährden könne.

Tatsächlich könnten mittlerweile die Islamisten im bewaffneten Widerstand dominieren, warnt ein Bericht in der New York Times. Auch im Militärrat ( Supreme Military Council) hätten sie bereits das Sagen. Sie erhalten Geld und womöglich Waffen von Saudi-Arabien und Katar und sind todesmutig entschlossen, zudem verbunden mit anderen sunnitischen Extremisten, beispielsweise die Nusra-Front mit den al-Qaida nahen Gruppen im Irak. Nusra-Kämpfer kontrollieren Aleppo, aber auch die Regionen, in denen es Öl gibt. Junge Männer schließen sich den Islamisten nicht unbedingt wegen deren Ideologie an, sondern weil sie besser bewaffnet und erfolgreicher sind. Es könnte also durchaus sein, dass schnell interveniert werden müsste, um einer eher demokratisch und säkular ausgerichteten Opposition zur Macht in Syrien zu verhelfen. Aber wie Irak und Afghanistan deutlich gemacht haben: eine militärische Intervention schafft meist kein demokratisches Rechtssystem, sondern stärkt die Extremisten, die sich als Befreiungskämpfer darstellen können.

Israel übt nun auch Druck auf die US-Regierung aus. Wenn diese nicht gegen das Assad-Regime wegen des vermeintlichen Einsatzes von chemischen Waffen handelt, so die Argumentation, würde der Iran die gegen die Entwicklung von Atomwaffen aufgebaute Drohkulisse auch nicht mehr glauben. Aber in Israel ist man andererseits auch besorgt, dass die USA, sollten sie in Syrien intervenierem, den Iran als die Bedrohung Israels, in den Hintergrund treten lassen könnten.