Syrien-Krise und EU: Katastrophale Armut und Auswanderung als letzter Ausweg

Bilder vom syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Bild: James Gordon / CC BY-NC 2.0 Deed

Das Land steht am Rande des Abgrunds: Keine Besserung in Sicht. Die EU muss ihre Politik überdenken.

In drei Tagen steht die Entscheidung der EU an, ob sie die Erleichterungen bei den Syrien-Sanktionen verlängert.

Sie wurden nach der Erdbebenkatastrophe im Februar 2023 beschlossen und laufen am 24. Februar aus.

Die nächste Krise baut sich auf

Der syrischen Bevölkerung geht es schlechter denn je; es baut sich die nächste Krise mit möglichen katastrophalen Folgen auf, berichtet der schwedische Journalist Aron Lund, der sich seit vielen Jahren mit den Entwicklungen im Land befasst. Leser hierzulande, die das Interesse an Syrien verloren haben, könnten angesichts seiner Warnung aufmerken.

Denn, so Lund, die Lage für die Syrer habe sich so finster entwickelt, dass Auswanderung als einziger Ausweg erscheint. Aus Syrien kamen laut Statistiken zuletzt die mit Abstand meisten Asylbewerber.

90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut

Schätzungsweise 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, weist auch der aktuelle Bericht des UNHCR (20. Februar 2024) aus. Die Zahl erscheint seit einiger Zeit wiederholt in Berichten.

An der großen Misere mit den erschreckenden Zahlen ändert sich nichts Entscheidendes. Auf jeden Fall nichts zum Positiven. Die Lage verschlimmert sich, auch nach den jüngsten Zahlen des UN-Hilfswerks:

12,9 Millionen Menschen sind von Ernährungsunsicherheit betroffen, und 6,8 Millionen sind Binnenvertriebene. Angesichts der vielfältigen Krisen benötigen 16,7 Millionen Menschen humanitäre Hilfe, was einem Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

UNHCR

Wie überleben?

Seit der Erdbebenkatastrophe zählt man weitere 230.000 Menschen, die noch immer vertrieben und schutzlos sind. Das syrische Pfund hat infolge der kriegerischen Zerrüttungen in Syrien 99 Prozent seines Wertes verglichen mit 2011 verloren, berichtete die saudi-arabische Arab News kürzlich, als Präsident Assad eine Erhöhung der Beamtengehälter bekannt gab.

Zahlen für die Inflation und deutlich angestiegenen Konsumenten-Preise wurden nicht genannt.

Anschauungsmaterial dazu liefert ein Streifzug von Enab Baladi, der politische Tendenzen aufweist, die eine kluge Leserschaft leicht detektieren kann.

Dort heißt es – einem Index der Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei Syriens zufolge –, dass die Preise im Jahr 2023 "um 200 Prozent gestiegen" seien, während der Mindestlohn laut Kassioun-Index "1,5 Prozent der durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine Familie deckt".

"Eine Familie, die heute einen Mindestlohn verdient, kann sich nur ein Zehntel ihrer monatlichen Grundbedürfnisse leisten", berichtet Lund.

Die EU muss ihre Politik überdenken

Es gäbe genug Gründe, dass die EU ihre Sanktionspolitik gegen Syrien prinzipiell überdenkt und ihren transatlantischen Einfluss in politischen Verhandlungen mit der US-Führung geltend macht, um die Lebensbedingungen für die syrische Bevölkerung zu verbessern. Es geht um ihre Interessen.

Unübersehbar ist, dass die Sanktionen nichts an der Eliteherrschaft in Damaskus, mit Baschar al-Assad an der Spitze, geändert haben.

Folgen der Kriege in der Ukraine und in Gaza

Indessen hat sich das politische Interesse dem Ukraine-Krieg zugewandt. Der Konflikt der westlichen Länder mit Russland, der viel zur Aufmerksamkeit für die kriegerischen Ereignisse in Syrien beigetragen hat, hat sich verlagert. Dem folgten auch die Hilfs- und Unterstützungsleistungen, die nun in Syrien fehlen. Dazu kommen die Auswirkungen des Kriegs in Gaza, auch er zieht Aufmerksamkeit ab.

Lunds bittere Einschätzung zur Lage in Syrien, die er auf der Seite des "progressiven" US-Think-Tanks The Century Foundation veröffentlicht hat:

Es wird nur noch schlimmer werden. Es scheint keine Hoffnung auf eine sinnvolle Lockerung der Sanktionen, eine Belebung des Handels oder eine Aufstockung der Hilfe zu geben.

Im Gegenteil, die Regierungen der Geberländer begannen schon vor dem Gaza-Krieg, ihre Ausgaben für Syrien zu kürzen, um zum Teil Gelder in die Ukraine umzuschichten. Im Herbst und Winter stellte das Welternährungsprogramm (WFP) ein Programm zur Verteilung von Nahrungsmitteln ein, das rund fünf Millionen Syrer versorgt hatte.

Nun werden die immensen Zerstörungen im Gazastreifen die Hilfsbudgets weiter aufzehren und Syriens langsam voranschreitende sozioökonomische Implosion weiter verstärken.

Aron Lund, Syrien am Abgrund

Der einzige Ausweg?

Auswanderung bleibe in dieser Situation der einzige Ausweg, meint der arabisch-sprechende Journalist (das ist nicht selbstverständlich und erleichtert den Zugang zu Gesprächen außerhalb der üblichen Ansprechpartner in angeschlossenen Netzwerken, daher die Erwähnung).

Aber, so Lund, kein Land wolle Syrer aufnehmen. Die Boote sind voll, wie man sagt.

Sein Ausblick: Die Verzweiflung im Land wird sich verstärken und die könnte einen neuen politischen Aufruhr herbeiführen, mit der Folge, dass der seit 2020 herrschende Status quo zerstört werde. Und dann, würde "die Welt es endlich merken", was in Syrien geschieht.

Auch die Zustände im Nachbarland Libanon sind nicht gerade stabil. Beide Länder stehen im Schatten der Aufmerksamkeit für Krisen.