Syrisch-türkisches Geheimdiensttreffen: Druck auf die YPG

Wie sollen sie dazu gebracht werden, mit Syrien zusammenzuarbeiten? Milizen der Türkei mit IS-Handzeichen in Syrien. Bild: NPA

Nach türkischen Informationen wurde eine "gemeinsame Strategie" von Ankara und Damaskus verabredet

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Seit genau zwei Jahren besetzt die Türkei den nordsyrische Distrikt Afrin, seit Oktober vergangenes Jahr darüber hinaus nordsyrisches Territorium zwischen Tal Abyad (kurdisch: Gire Spi) und Ra's al-'Ain (kurdisch: Serê Kaniyê). Der türkische Präsident Erdogan begründet die Präsenz des türkischen Militärs, die maßgeblich - und zum Leidwesen der Bewohner - von verbündeten islamistischen syrischen Milizen unterstützt werden, mit "nationalen Sicherheitsinteressen" der Türkei gegenüber den kurdischen YPG.

Aus Sicht der Kurden geht es nicht um "Sicherheitszonen", wie es das Narrativ der Türkei kosmetisch verbreiten will, sondern um die Einrichtung von Protektoraten, die eine demografische Absicht verfolgen, nämlich die Vertreibung von Kurden und die Neuansiedlung einer Bevölkerung, die zur politischen Agenda der Türkei passen. Dass Afrin de facto unter türkischer Verwaltung steht, islamisiert wird, der Schulunterricht mit neuen Lehrern und neuen Schulplänen durchgeführt wird, und Zeichen der kurdischen Kultur entfernt wurden, bestätigt das Bild einer türkischen de-facto-Annexion.

Dazu kommen Berichte von Plünderungen und brutalen Menschenrechtsverletzungen in Afrin und der besetzten Zone im Nordosten seitens der mit der Türkei verbündeten syrischen radikalislamistischen Milizen.

Auch die syrische Regierung unter Baschar al-Assad hat sich mehrmals entschieden gegen die türkische Invasion ausgesprochen, allerdings ohne Konsequenzen. Gegen ein aktives Einschreiten der Regierung in Damaskus stehen mehrere Gründe. Militärisch machbar wäre dies nur mit der Unterstützung Russlands, dagegen stehen jedoch die Astana-Vereinbarungen sowie zwei Abmachungen, die Russland mit der Türkei getroffen hat, einmal im September 2018 in Sotschi und schließlich Ende Oktober 2019 nach dem türkischen Angriff ("Operation Friedensquelle") auf das oben genannten Gebiet zwischen den beiden Städten Tal Abyad (kurdisch: Gire Spi) und Ra's al-'Ain (kurdisch: Serê Kaniyê).

Modus vivendi der Türkei mit Dschihadisten in Idlib

Obendrein ist die Türkei laut Astana-Vereinbarungen die "Garantiemacht" für oppositionelle Milizen in Syrien, sie soll dafür sorgen, dass diese sich an Vereinbarungen halten, zum Beispiel in der Provinz Idlib, wo die Türkei Beobachtungsposten zur Überwachung der "demilitarisierten Zone" bezogen hat. Hier nun überkreuzen sich die Interessen der syrischen Regierung, die Idlib wieder unter Kontrolle des Staates bringen will, und die der Türkei, die sich mit den dortigen Dschihadisten auf einen modus vivendi geeinigt hat.

Die Dschihadisten unter Führung des al-Qaida-Ablegers Hay'at Tahrir asch-Scham (HTS) unterhalten dort eine eigene Regierung, die eine rigide Form der Scharia verfolgt, und kontrollieren das Gebiet militärisch. Die zwischen Russland und der Türkei vereinbarten Forderungen, Idlib betreffend, werden nicht eingehalten. Die offene Frage ist, ob dies mit einem laxen Einverständnis der Türkei geschieht, weil der politische Wille dafür fehlt, oder weil die Türkei nicht die faktische Macht dazu hat, etwas gegen die Herrschaft der HTS und verbündeter Milizen zu unternehmen.

Bislang opponierte die Türkei - hauptsächlich über die Vermittlung Russlands - gegen Offensiven der syrischen Armee in Idlib, mit Hinweis auf die Gefährdung eigener Soldaten an den Beobachtungspunkten und vor allem aus Sorge über eine humanitäre Katastrophe und daraus folgenden großen Fluchtbewegungen, die auch die Türkei unter Druck bringen.

Dennoch machte die syrische Führung in den vergangenen Wochen mit Angriffen in Idilb deutlich, dass sie an ihrem Ziel der Wiedererlangung der Kontrolle über Idlib festhält. Derzeit soll die Offensive, der es um die Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Maaret al-Numan geht, wetterbedingt ausgesetzt sein.

Eine neue Lage?

Nun deutet sich sich eine veränderte Lage an, möglicherweise zuungunsten der Kurden in Nordsyrien. Vor gut einer Woche ist es zu einem ersten direkten Treffen von ranghohen syrischen und türkischen Vertretern seit 2011 gekommen. Wie die syrische Nachrichtenagentur Sana und al-Monitor berichten, trafen sich die Geheimdienstchefs, Ali Mamlouk auf syrischer Seite und Hakan Fidan auf türkischer, begleitet von einem Mitarbeiterstab, face-to-face in Moskau aufeinander.

Soweit bekannt wurde, ging es besonders um Idlib, um die "Säuberung von Terroristen", den Abzug schwerer Waffen, wie ihn schon die Sotschi-Vereinbarung forderte, und um eine andere für die Regierung in Damaskus zentrale Forderung aus der russisch-türkischen Abmachung, die Öffnung der Verkehrswege M4 und M5, den beiden Schnellstraßen, die teilweise von den Dschihadisten kontrolliert werden.

Das Treffen soll über einen Anstoß und die Vermittlung des russischen Präsidenten Putin bei seinem Treffen mit Erdogan am 8. Januar zustande gekommen sein. Interessant sind die Verhandlungspunkte, von denen der al-Monitor-Autor Metin Gurcan Kenntnis bekommen hat - ob sie den Tatsachen entsprechen oder ihm gesteckt wurden, um damit "psychologische Kriegsführung" über Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, ist von dieser Stelle aus nicht ergründen. Antworten darauf werden die künftigen Entwicklungen geben, wie Gurcan selbst andeutet.

Strategie gegen die YPG

Die Inhalte, über die er berichtet, sind sehr spekulativ. Da geht es einmal um eine Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der syrischen Regierung gegen die YPG. "Damaskus und Ankara müssen künftig ("in the coming period") eine gemeinsame Strategie gegen die YPG entwickeln", wird - von türkischer Seite - als Übereinkunft übermittelt.

Das wird in den Kontext der wieder verstärkten US-Präsenz in Syrien östlich des Euphrat und einer neuerlich verstärkten Zusammenarbeit zwischen den US-Truppen und der YPG gestellt - und gehört in den Kontext der Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und den SDF. Dazu gab es kürzlich Hinweise, wonach Damaskus Bereitschaft zu Konzessionen signalisiert hat.

Allerdings war dies mit keinen verbindlichen Aussagen verknüpft. Dazu hieß es auch, dass die Verhandlungen stocken, beide Seiten würden keine Zeichen der Eile zeigen. Bei den Kurden hieß es zur Begründung, dass der Druck durch die fortgesetzte US-Präsenz nachgelassen habe.

Die Meldung aus dem Geheimdiensttreffen, wonach sich Ankara mit Damaskus zu einer Zusammenarbeit gegen die YPG verabredet haben, konterkariert diesen Eindruck und erhöht den Druck auf die YPG/SDF und die kurdische Verwaltung im Nordosten Syriens.

Wie der al-Monitor-Bericht andeutet, hat das Treffen der Geheimdienste sogar eine Wahrscheinlichkeit dafür vermittelt, dass es zu einem Treffen zwischen Erdogan und al-Assad kommen könnte, die dann beide über die türkische Präsenz in Syrien und die Kurden verhandeln. Das steht in weiter Ferne, betont aber das Signal an die Kurden.

"Aufgeben" von Idlib gegen Konzessionen in Libyen?

Inwieweit die Informationen des al-Monitor-Autors zum Inhalt des Geheimdiensttreffens pure Spekulationen wiedergeben, wird sich bald an der Situation in Libyen und in Syrien erweisen. Denn im Zentrum der übermittelten Inhalte steht die Frage, ob die Türkei Idlib der Regierung in Damaskus überlässt, um sich als Gegenleistung dafür von Russland Entgegenkommen in Libyen einzuhandeln: den "Stopp von Haftars Offensive auf Tripolis".

"In jedem Fall scheint Ankara zunehmend willens seine territorialen Ansprüche in Nordsyrien aufzugeben und dafür die Unterstützung von Damaskus bei der Eindämmung der YPG und ihrer Zusammenarbeit mit den USA zu suchen", lautet das Fazit aus dem Geheimdiensttreffen, das Metin Gurcan zieht. Dem stehen aber in der Realität beträchtliche Hindernisse gegenüber.

Der libysche General Haftar zeigt kürzlich in Moskau, als er sich weigerte, eine Waffenstillstandsvereinbarung zu unterzeichnen, dass er einen eigenen Kurs verfolgt, der bis zu einem Grad auf jedenfalls auch politischem Druck widersteht, und dass Erdogan das türkische Protektorat in Afrin und seine Umsiedlungspläne im Nordosten Syriens leichterdings aufgibt, ist schwer vorstellbar.