Syrien: Wie lange bleiben die US-Truppen?
Ein iranischer Angriff auf Militärstützpunkte im Irak verweist auch auf US-Verwundbarkeiten in Syrien. Für die Kurden ist die US-Präsenz wichtig. Aktuell gibt es Hinweise auf einen neuen Verhandlungs-Fahrplan mit der syrischen Regierung
Russlands Position in Syrien ist durch die Ermordung des iranischen Generals Soleimani wichtiger geworden, lautet eine Annahme zum gestrigen Überraschungsbesuch Putins in Damaskus. Der Besuch wurde mit dem Weihnachtsfest der orthodoxen Christen eingerahmt, allerdings drängt sich der Zusammenhang mit dem US-Enthauptungsschlag gegen den Koordinator der iranischen Auslandsstreitkräfte und ihrer Verbündeten auf.
Putin und al-Assad trafen sich in der syrischen Hauptstadt in einem Gebäude, das für das Kommando der russische Armee bereitgestellt ist, wo die beiden, so die syrische Nachrichtenagentur Sana, einmal unter sich und zum anderen mit dem Mitarbeiterstab über die "jüngsten Entwicklungen" in der Region sprachen.
Über den genaueren Inhalt des Gesprächs wird wie gewöhnlich nichts verraten; es heißt lediglich, dass die "Terroristen in Idlib" und der Norden Syriens wie auch die Rolle der Türkei Themen waren. Der russische Präsident machte sich von Damaskus aus auf den Weg nach Ankara, wo er heute mit Erdogan ebenfalls über Syrien und über Interessen in Libyen sprechen wird. In zwei Wochen wird Putin in Israel erwartet.
Auch dort wird es wahrscheinlich nicht nur um den ursprünglichen Anlass des Besuches - das Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz - gehen, sondern, wie bei vielen Treffen zuvor, um die Vermittlungsrolle Russlands, die nun in der Eskalation zwischen im Konflikt den USA und Iran nochmal neues Gewicht bekommt.
Für die Kurden in Nordsyrien könnte sich einiges ändern
Auch für die Kurden in Nordsyrien könnte sich einiges ändern, wie seit dem tödlichen Drohnenanschlag auf Soleimani gemutmaßt wird. Ziel des Iran sei es jetzt, die USA aus dem Nahen Osten heraus zu drängen, heißt es seither. Sollten die USA tatsächlich aus dem Irak abziehen - wofür es allerdings noch keine definitiven Entschlüsse gibt -, dann könnten sich die US-Truppen auch nicht mehr länger in Syrien halten, wird angenommen. Meldungen über iranische Angriffe auf US-Stellungen im Irak erhärten die Aussicht, dass die US-Truppen nun einem intensivierten Widerstand gegenüberstehen.
Inwieweit sich dies auf die US-Stellungen in Syrien auswirken wird, ist noch offen. Für kurdisch geführten SDF, die mit den USA verbündet sind, hängt einiges davon ab, wie lange die USA in Nordostsyrien bleiben. Auch bei den Verhandlungen mit der Führung in Damaskus ist die US-Präsenz ein Verhandlungspfand, zumal wichtige Ölfelder, die die US-Truppen zusammen mit den SDF kontrollieren, im Spiel sind.
Lange war nichts mehr über Verhandlungen zwischen Vertretern der kurdischen Selbstverwaltung im Norden Syriens und der Regierung in Damaskus zu lesen. Es entstand der Eindruck, dass deren Fortgang durch die Absicht der US-Regierung, nun doch in Syrien zu bleiben, um "auf das Öl aufzupassen", vereitelt wurde.
Aktuell berichtet die kurdische Nachrichtenseite Anha jedoch davon, dass sich eine russische Delegation, geführt von einem namentlich nicht genannten Militär-Kommandeur, in "Marathonsitzungen" während der Weihnachtstage um eine neue Vermittlung zu Verhandlungen mit der syrischen Regierung bemüht habe. Zunächst sei die russische Delegation nach Damaskus gereist, um dort am 25 und 26. Dezember mit Regierungsvertretern zu verhandeln, am Abend des 26. ging die Reise dann nach Nordsyrien, um die Vorschläge in Qamishli mit Vertretern der kurdischen Selbstverwaltung zu bereden.
Der "Fahrplan": Syrien ist nicht mehr wie vor 2011
Drei Punkte hebt die kurdische Nachrichtenseite hervor: die Diskussion über die Zukunft von sieben Lokalverwaltungen, die etwa 20 Prozent des syrischen Gebiets ausmachen, als zweites die künftige Rolle und Status der SDF und der Asayesch-Sicherheitskräfte; als dritten - und als "wichtigsten" Punkt - nennt Anha den Grundsatz, dass das gegenwärtige Syrien im Jahr 2020 nicht mehr dem Syrien vor 2011 gleiche.
"Sollte das Regime mit seinem Sicherheitsansatz so weitermachen und eine militärische Lösung durchsetzen, so bleibt die ganze Region in einem endlosen Krieg, der für alle Seiten katastrophal ist", heißt es wörtlich. Die Formulierung und das Herausheben der drei Punkte deutet an, dass der Anha-Bericht möglicherweise eigene Quellen zu den Treffen befragen konnte. Das ist nicht unwichtig, denn der Bericht, der insgesamt zehn Punkte als Vorschläge für einen Verhandlungs-Fahrplan ("road map") zwischen Damaskus und der Selbstverwaltung nennt, rekurriert auf Informationen der saudi-arabischen Zeitung Asharq al-Aswat.
Die Zeitung gehört zur Medienmacht des Hauses Saud, so ist Vorsicht angebracht, da deren Veröffentlichungen nicht frei von politischen Absichten sind. Man bemüht sich in Saudi-Arabien nicht darum, die syrische Regierung stark aussehen zu lassen. Der Asharq al-Aswat-Artikel berichtet, gestützt auf ungenannte Quellen, über den zehn-Punkte-Fahrplan, dessen Punkte Anha dann konkret aufzählt. Außer diesen beiden Medien berichtet jedoch bis dato niemand über die Verhandlungsvorschläge.
Sollten sich diese bestätigen, so wären einige Überraschungen dabei: etwa die Aufnahme von kurdischen Vertretern in das Verfassungskomitee. Bislang verhinderte Erdogan dies. Auch sollen Vertreter der "kurdischen politischen Bewegung Kurden" in der syrischen Regierung vertreten sein. Als konkreter Verhandlungspunkt wird auch aufgeführt, dass die syrische Armee an kurdischen Schulen und Ausbildungsstätten nicht präsent sein soll.
Darüber hinaus betreffen die Vereinbarungen die Überwachung der Grenze zur Türkei, die, wie auch schon das Abkommen zwischen Russland und der Türkei es weitgehend so regelt, von syrischen Kräften übernommen werden sollen. Beim Fahrplan ist von der Zone zwischen Semalka und Manbidsch die Rede sowie von der Grenze zum Irak bei Albukamal. Auffallend ist hier die Forderung, dass die SDF dafür sorgen sollen, dass der Handelsverkehr bis zu diesem Übergang ungestört verlaufen soll. Das ist bisher nicht der Fall und hat mit einem anders gearteten US-Interesse zu tun.
Andere Forderungen sind pauschaler wie etwa, dass zwischen der Selbstverwaltung im Norden Syriens und der syrischen Regierung ein Dialog etabliert werden soll und militärische und wirtschaftliche Komitees geschaffen werden sollen. Solche unverbindlichen Richtungsaussagen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Verhandlungen nach wie vor in den Ansätzen stecken. Es wird sich erst zeigen, inwieweit die Kurden doch ein erhebliches Maß an Selbstständigkeit behalten können. Momentan sieht es ganz so aus, als ob der syrische Staat darauf angewiesen ist. Doch können sich die Verhältnisse schnell ändern