Systemische Stellschrauben neu justieren
Seite 3: Ethische Dilemmata und Gebote
- Systemische Stellschrauben neu justieren
- Aufmerksamkeit für Corona und wirtschaftliche Interessen
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Und es besteht dabei kein ethisches Dilemma, sondern ein ethisches Gebot: Handle stets so, dass die Bedingungen und Folgen deines Handelns für alle Menschen auf der Erde verallgemeinerbar sind. Der heutige pro-Kopf Verbrauch von Energie und Ressourcen in den Industriestaaten ist dies auf keinen Fall.
Mit unserer Lebensweise verstoßen wir nicht nur gegen Artikel 20a des Grundgesetzes – "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung" –, sondern mit Wahrnehmung unserer Handlungsoptionen schränken wir die Freiheitsmöglichkeiten auch bereits heute lebender Menschen und Lebewesen drastisch ein.6
Eine neue politische Kraft müsste darum deutlich machen, dass ein Wandel unserer Produktions- und Konsumtionsweise genau keine antiliberale, antisoziale Gesellschaft aka "Ökodiktatur" bedeuten würde, sondern die Aufhebung des antiliberalen, antisozialen Status quo. Und anders als bei den Corona-Lockdowns müsste dabei nicht auf Krankheit und Leid verursachende Einschränkungen von menschlichem Kontakt und Nähe verzichtet werden: Keine Bar, keine Schule, kein Kindergarten, Fitnessstudio, Theater, Museum, Yogastudio, Friseur, Nagelstudio oder Sportverein müsste schließen, um die Biosphäre zu retten. Im Gegenteil: Der Weg und das Ziel der notwendigen Transformation wäre die Herstellung von mehr menschlichem Kontakt und Nähe.
Gleichwohl würden gewisse Dinge und Aktivitäten nicht mehr oder nicht mehr in derselben Häufigkeit käuflich und möglich sein, wie sie es heute sind – jedenfalls so lange nicht die vollständige Transformation in eine Kreislaufwirtschaft mit erneuerbaren Energien vollbracht ist.
Doch beispielsweise nur noch einmal die Woche Fleisch zu essen – die Eventualität der Produktion von Laborfleisch ausgeklammert –, würde als Beitrag zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und Minderung des milliardenfachen Leids von Nutztieren eine vollkommen verhältnismäßige Einschränkung sein, die zudem individueller wie kollektiver Gesundheit nicht abträglich, sondern zuträglich wäre.
Und auch eine Renaissance des Handwerks und neue Verbindungen von menschlicher und maschineller Arbeit im Rahmen einer Kultur des Bewahrens und Reparierens von Dingen würden keine Schädigung bedeuten, sondern könnten neue Formen von Nähe und Teilhabe hervorbringen, die zu größerem Wohlbefinden beitragen.
Mit erneuerbaren Energien, einer Re-Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen, Prinzipien der Gemeinwohlökonomie und Kreislaufwirtschaft sowie neuen Formen von Eigentum und Mitbestimmung in Politik und Unternehmen könnte aus einer Politik, Wirtschaft und Kultur der Fremdbestimmung, Entfremdung und Verantwortungslosigkeit eine Politik, Wirtschaft und Kultur der Nähe, Autonomie und Verantwortung erwachsen.
Und darum ist auch jegliche Polemik, die mit einer die Biosphäre bewahrenden Wirtschaftsweise Vorstellungen von "Zurück in die Steinzeit" evoziert, vollkommen abwegig und bloße Besitzstandswahrungspropaganda.
Das Gegenteil ist der Fall: Der Weg in eine enkeltaugliche Zukunft wird von neuen Technologien, Erfindungen, Kreativität und Unternehmergeist geprägt sein (müssen). Schon heute existieren unzählige Erfindungen, Techniken und Unternehmen, die den Verbrauch und die Erzeugung und/oder (Rück-)Gewinnung von Ressourcen wesentlich intelligenter ermöglichen oder ermöglichen würden, als es heute in allen elementaren Bereichen (Energie, Wohnen, Mobilität, Ernährung) weiterhin hauptsächlich auf Basis fossiler Brennstoffe und Atomenergie geschieht.
"Intelligenter" hieße dabei schlicht, nicht den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Dies bedeutet aber eben, dass systemische Stellschrauben neu justiert werden müssten. Ohne dies wird keine signifikante Reduzierung des gegenwärtigen Energie- und Ressourcenverbrauchs erreichbar sein und werden alle (von der neuen Bundesregierung geplanten) "Modernisierungs-" und vor allem "Digitalisierungsvorhaben" die Zerstörung der Biosphäre nicht nur nicht rechtzeitig eindämmen, sondern sogar noch verschärfen.
Dies ist die unbequeme Wahrheit, die von den etablierten Parteien negiert wird. Deshalb ist es Zeit für eine neue politische Stimme, die die Notwendigkeit eines radikalen Wandels klar benennt und die Gesellschaft aus der Illusion und Depression des "Weiter so" erlöst: Ein Bündnis für eine terrestrische Zukunft.