Systemische Stellschrauben neu justieren
Seite 2: Aufmerksamkeit für Corona und wirtschaftliche Interessen
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Warum dies nicht in annähernd gleichem Maße wie bei Corona geschieht – obwohl wir es dabei mit einem viel größeren Ausmaß von Leid, Tod und Bedrohung zu tun haben –, erklärt sich nicht nur mit der skizzierten lokalen und temporalen Trennung, sondern auch mit den bereits angedeuteten Interessen.
Da hier nicht der Ort für eine Analyse der Strukturen und Funktionsweise der Leitmedien ist, sei eine grobe Vereinfachung erlaubt, die im Bonmot von Marx und Engels zum Ausdruck kommt: "Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, das heißt die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht."3
Und wie bereits skizziert, war sowohl für die Hochvermögenden als auch für Regierungen die Lockdown-Politik nichts Abschreckendes, sondern in mehrfacher Hinsicht äußerst attraktiv – und konnte nur durch massive Angsterzeugung durchgesetzt werden –, da sie einen Zuwachs von Macht, Kontrolle und Vermögen bedeutete.4
Anfügen ließe sich auch noch ein fünfter Grund, der jedoch eher spekulativer Art ist: Die verantwortlichen Akteure der Funktionseliten gehören tendenziell zu einer Altersgruppe, für die das Risiko einer schweren Covid-19 Erkrankung deutlich höher ist als für Kinder, Jugendliche und jüngere Menschen.
Diese persönliche Betroffenheit mag ebenfalls zur leitmedialen Überdramatisierung des Risikos und Ausblendung der Folgen (für jüngere Menschen) beigetragen haben – während Kinder und Jugendliche wiederum keine "Lobby" besitzen, die sich für ihre Interessen einsetzt. In jedem Fall haben wir es bei der Corona-Politik auch – wenn nicht gar zuvorderst – mit einem (unausgesprochenen) Generationenkonflikt zu tun.
Was wäre angesichts all dessen nun für eine terrestrische Gegenwart und Zukunft des Lebens (für unsere Kinder) zu tun? In den Blick kommen könnte hier das für die Strukturierung der Produktions- und Konsumtionsprozesse zentrale Kommunikationsmedium Geld und die maßgebliche Information, den Preis.
Auch hier sind die negativen Folgen und Bedingungen der Produktions- und Konsumtionsprozesse fern – sie werden "externalisiert", das heißt, sie sind nicht im Preis der Produkte und Dienstleistungen enthalten, sondern werden sozialisiert und verschoben, tauchen also an anderer Stelle oder erst in Zukunft auf.
In der Debatte zum Klimawandel wird dieses Marktversagen in Bezug auf CO₂-Emissionen mittlerweile breit adressiert. Doch die Suggestion, dass der für den Erhalt der Biosphäre erforderliche Wandel "lediglich" aus der Reduktion von CO₂-Emissionen bestehen müsse, ist ebenfalls eine Illusion, mit der die (anderen) systemischen Fehlanreize, Fehlallokationen und Ungerechtigkeiten der Produktionsverhältnisse und das zu ihrer Veränderung Notwendige nicht adressiert beziehungsweise verschleiert werden.
Denn weit über CO₂-Emissionen hinaus müsste es um die Internalisierung aller verdrängten Kosten gehen. In den Fokus rücken müsste dabei die Frage nach Eigentumsverhältnissen und öffentlichen Gütern und es wäre eine Steuer- und Handelspolitik erforderlich, die Unternehmen nicht nach ihrer monetären Bilanz, sondern ihrer Gemeinwohlbilanz bewertet – wie es etwa das Konzept der Gemeinwohlökonomie vorsieht.
Eine unbequeme Wahrheit kann hierbei freilich nicht verschwiegen werden: Durch eine Internalisierung aller tatsächlichen Kosten würden viele Dinge und Dienstleistungen wesentlich teurer werden.
Eine sozial gerechte Verteilung von Kosten ist deshalb kein Beiwerk, sondern essenzielle Voraussetzung einer "sozial-ökologischen Transformation". Ohne sie werden Widerstände der Bevölkerung die Transformation verhindern und/oder die sozialen Verwerfungen werden in die Verstetigung und Verschärfung einer neo-feudalen autoritären Weltordnung führen.
Das bei linken wie rechten und libertären Kritikern der Corona-Politik mittlerweile populäre Narrativ eines kommenden "Klimalockdowns" – fatalerweise so geprägt auch von Mariana Mazzucato5 – führt hierbei jedoch in die Irre und ist brandgefährlich. Denn im Gegensatz zu Corona kann der Wandel zu einer die Biosphäre bewahrenden Lebensweise gestaltet werden, ohne massive Schädigungen zu erzeugen.