Täglich "REWIRED"!
Web-Review
Transkontinentaler Brückenkopf der Netzkultur
Während europäische 'Neue-Medien-Berichterstatter' nach wie vor (oder mehr denn je?) ihren Netzteppich nach Westen ausrichten, hat der Exilamerikaner David Hudson mit dem Netzmagazin REWIRED im Handgepäck seine Nische in Berlin gefunden. Es ist so, als versuche die europäische Presse ein amerikanisches Phänomen zu begreifen, um die richtigen Referenzen für die '.de', '.co.uk', '.at', '.fr' und die wachsende Anzahl an '.cz', '.pl', '.hu', 'etc.' Projekten anführen zu können. Amerika ist schnell, laut, wired und gross. Und Europa ist nicht Amerika - leider?
David Hudson hat seine Zelte in Berlin aufgeschlagen und sieht die Sache abgeklärter. Das Netzmagazin 'Rewired' erfrischt fast täglich mit literarischem Journalismus, kleinen Essays und Abhandlungen, die zwischen lokalen Fakten und globalen Diskursen abwechseln. Und in europäischer Tradition ist bei 'Rewired' das Ganze immer noch mehr als die Summe seiner Teile.
Rewired beschreibt Netzkultur konsequenter als viele manifestöse Cyberkultur-Produkte, oder geisteswissenschaftliche Traktate in diversen Feuilletons. Dabei schafft es 'Rewired' sowohl inhaltlich als auch formal auf das Medium Internet einzugehen. Die kurzen, prägnanten Artikel liessen sich nur schwerlich in einem Printmedium ansiedeln und haben einen gewissen Radiocharakter. In diesem täglichen Info-Ambiente fühlt man sich gut aufgehoben.
Ein Mann und sein Computer? Ist dies eine Erfolgsstory aus den neuen Medien? Das Internet als Sprungbrett mit exponentieller Wachstumskurve verbindet man vor allem mit der Argumentation des amerikanischen Magazins 'Wired' - trotz prolongierter Erfolgssträhne finanziell immer noch mit Schlagseite unterwegs. Die 'Wired'-Denkweise, die auch unter dem Begriff 'Californian Ideology' in Europa auf heftige Anhänger und Kritik gestossen ist, zeichnet sich durch einen fatalen Glauben an eine neo-liberale, freie Marktwirtschaft aus - eine digitale Verlängerung des Sozialdarwinismus.
'Rewired' kann nicht umhin sich fortwährend des Namens wegen von diesem amerikanischen Projekt abzugrenzen:
Andrew Sullivan, ein Freund aus San Francisco, hat den Namen als Domain registriert. Zuerst war ich nicht so wild auf 'rewired.com' wegen der offensichtlichen Problematik, dass viele Leute denken könnten, die Site würde sich ausschliesslich auf 'Wired' beziehen.
David Hudson
Es macht keinen Sinn 'Rewired' als Gegenpol zu 'Wired' zu begreifen. Dazu ist es viel zu interessant. Was an Bezügen zu finden ist, kommt vielmehr aus der Entwicklung und Realität des Mediums - Sozialdarwinismus versus Sozialdemokratie?
Wired hat sehr stark an Wichtigkeit verloren. Interessanterweise sind momentan manche der stärksten Kritiker um die Existenz des Magazins besorgt.
David Hudson
Hudson legt grossen Wert darauf, dass es sich bei 'Rewired' nicht um eine 'One Man Show' handelt. Neben Andrew Sullivan, der Hudsons morgentliche Emails in San Francisco auf den Server legt, finden sich eine Reihe an Autoren, die Hudson politisch dem "linken Mittelfeld" zuordnet. Darüber hinaus stellt 'Rewired' seine eigene Diskussionsrunde. Neben der eigentlichen Textseite finden sich Newsgruppen-ähnliche Threads, auf denen man die Rezension der Artikel in Echtzeit mitverfolgen kann. Redaktion und Reaktion geben sich die Hand, nicht ausladend diskursiv, sondern bringen in Kürze einen Gedanken auf den Punkt.
"Politisch würde ich mich selbst nur ungern einordnen. Eines habe ich bestimmt nach Europa mitgebracht, meinen amerikanischen Pragmatismus."
Momentan ist es aus verschiedenen Gründen nicht machbar 'Rewired' täglich erscheinen zu lassen, auch wenn Hudson das gerne sehen würde.
Idealerweise würde 'Rewired' täglich erscheinen, nur zwei oder drei Absätze und ich würde die andere Hälfte des Tages damit verbringen zu beobachten, was draussen so vorgeht und dann darüber schreiben. Wenn man sich umsieht, was momentan im www passiert, dann lässt sich feststellen, dass viele Seiten prägnanter und schneller werden - so funktioniert das Medium am besten.
David Hudson
'Rewired findet sich irgendwo zwischen diskursivem Tagebuch und literarischem Adventskalender. Die Leserschaft von 'Rewired' ist gemischt, was Hudson für das Internet als spezifisch beschreibt.
Das hängt immer stark vom Material ab - so funktioniert das Netz eben. Neulich wurde eine meiner net.art Besprechungen gelinkt, dann kommen auf einmal mehr Leser aus dieser Ecke; jetzt finden sich 'Rewired' Links wegen der 'New Economy' Reihe auf den Wirtschaftsseiten. Und der harte Kern an Lesern, der regelmässig Mails schickt, kommt auch aus verstreuten Lagern.
David Hudson
Damit bleibt die Unterscheidung zwischen 'Broadcasting' und 'Narrowcasting' aussen vor. Die Leserschaft erschliesst sich aus den spontanen Anknüpfungen der Artikel.
Als wir mit 'Rewired' anfingen, gab es im Web nur wenige Stimmen, die das aussprachen, was wir sagen wollten. Mein Interesse lag in Konzepten wie 'community', 'libertarianism', 'extroprianism', On-Line-Kunst, die Zukunft des Mediums, usw. - wobei ich ziemlich geradlinig bleiben wollte. Ich wollte Ideen aus verschiedenen Netz-Intelligenzia Kanälen aufgreifen, ohne dass der Leser sich dabei im Dunstkreis einer alternativen, europäischen 'Netztheorie' befinden muss.
David Hudson
Und was an Texten anfangs aus Notwendigkeit und Leichtigkeit entstanden ist, hat es inzwischen bis in den definitiven Status des Buches gebracht, erschienen bei Macmillan.
In anbetracht der Tatsache, dass Hudson mit 'Rewired' seine ganz eigene Netzgeschichte(n) schrieb, heisst es denn auch: 'rewired : a brief (and opinionated) net history'. Die Publikation besteht zur Hälfte aus Texten, die sich auch On-Line finden lassen, vieles davon wurde jedoch umgeschrieben.
Die Netzseiten sind schon für eine bestimmte Leserschaft bestimmt, die sich zumindest bis zu einem gewissen Grad in der Technologiedebatte befinden. Macmillan haben Wert darauf gelegt, dass das Buch einem weiteren Publikum zugänglich ist. So finden sich dort auch Texte in der geschichtlichen Einleitung, die im Netz nur als 'alter Hut' erscheinen würden.
David Hudson
Rewired erhält 5 Sterne in der Telepolis Netzpublikationen Bewertungsskala;-)
Die Sterne haben folgende Bedeutung:
* vergiss es, oder "Ich bedauere jemals über diese URL gestolpert zu sein"
* * matte Sache, oder "eine dieser Sites die ich zwar in den Bookmarks habe aber sicher kaum jemals wieder aufsuchen werde"
* * * ganz nett, oder "ich nehme mir fest vor, gelegentlich vorbeizuschauen"
* * * * empfehlenswert, oder "ich schicke meinen besten Freunden eine Email mit der URL"
* * * * * bingo, oder "eine jener Sites, die alle Pauschalverurteilungen des Internet als Sondermülldeponie für Information Lügen straft und die es rechtfertigt, ein Modem zu besitzen"