Täter gefasst - Videoüberwachung als Erfolgsmodell?
Warum der Überfall von München kein Argument für mehr Videoüberwachung oder härtere Strafen ist
Kurz vor Weihnachten schlugen zwei junge Männer einen 76-jährigen Rentner in einem Münchner U-Bahnhof zusammen. Die Täter konnten gefasst werden - durch die Videobilder einer Überwachungskamera im Bahnhof (Video). Erwartungsgemäß folgte ein Katalog von Forderungen, um solchen Gewalttaten in Zukunft besser Herr zu werden. Mit dabei waren wie fast immer in solchen Fällen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, die Ausweisung mutmaßlicher Täter ausländischer Herkunft sowie die Ausweitung der Videoüberwachung. Letzere hatte, so der bayrische Innenminister Joachim Herrmann , ihre Notwendigkeit durch diesen Vorfall voll bestätigt.
Die üblichen Reflexe einer neuen Straflust
Angesichts der Bilder und des brutalen Überfalls auf den Rentner scheint die Argumentation schlüssig und jede Kritik an noch mehr Kameras zynisch. Kein Aktivist, Bürgerrechtler oder Wissenschaftler wird diesen Überfall verteidigen und den schnellen Fahndungserfolg, den die Kamerabilder ermöglicht haben, leugnen oder relativieren. Nur ist dieser Fall eben nicht der typische Fall und sollte daher nicht als Maßstab für eine Ausweitung von Videoüberwachung insgesamt benutzt werden. Geradezu unverfroren ist die Aussage des Münchner Polizeipräsidenten Wilhelm Schmidbauer, der alle Kritiker als Apologeten einer unmenschlichen Gesellschaft hinstellt:
Wer Videoüberwachung und die polizeiliche Erhebung von Telefonverbindungsdaten in Frage stellt, macht unsere Gesellschaft ein Stück weit unmenschlicher. Denn er bereitet der Gewalt den Weg, indem er das Entdeckungsrisiko für Gewalttäter stark reduziert.
Was der Fall über den eigentlichen Tathergang zeigt, sind die Reflexe, die sich bei den Politikern immer wieder aufs neue regen. Es geht inzwischen um die Brutalität Jugendlicher insgesamt und ausländischer im Besonderen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch fühlt sich auch bereits gemüßigt eine neue Integrationsdebatte gepaart mit einer Verschärfung des Strafrechtes auf die Tagesordnung setzen zu wollen.
Gleich ob Videoüberwachung, höhere Strafen oder das Ausländerrecht, es geht um den Wunsch nach härterem Durchgreifen auf allen Ebenen - eine neue Straflust, die inzwischen zum festen Repertoire der Innenpolitik gehört. Der Vorfall in der Münchner U-Bahn war ein willkommener Anlass, das Thema wieder hervorzuholen, mehr aber auch nicht. Dass die Argumente dabei in die falsche Richtung gehen zeigt beispielhaft die Forderung nach mehr Videoüberwachung.
Falsche Vorstellungen von Videoüberwachung
Wie schon in der Vergangenheit, wird von den Politikern und auch einigen verantwortlichen bei der Polizei übersehen, dass eine Kamera nicht gleich Kamera ist, sondern jedes System an den Raum und die technischen Möglichkeiten gebunden ist. Die Idee der Prävention hat sich dabei bereits seit längerem als Argumentation verabschiedet (Nach Kofferbombenfunden - mehr Videoüberwachung gegen den Terror?). Es sind vor allem Fahndungserfolge, mit denen eine Ausweitung begründet wird.
Auch in diesem Fall hat dem Mann die Kamera nichts genützt - er muss mit den Folgen des Überfalls leben und hat trotz der Brutalität überlebt. Eine Ergreifung der Täter mag den Wiedergutmachungsgedanken und eine Art von Gerechtigkeit befriedigen, beseitigt aber nicht die Gefahr und die Umstände, die dazu führten. Und ob hier härtere Strafen etwas nützen, bleibt angesichts des Tatherganges reine Spekulation.
Was können Kameras?
Videoüberwachung, ebenso härtere Freiheitsstrafen, sind kein Mittel der Sozialpolitik, kein soziales Regulativ, mit der eine nach diesem Unfall festgestellte Brutalisierung der Gesellschaft behoben werden kann.
Eine Ausweitung von Kameras an allen möglichen Orten würde diese Art der Probleme nicht beheben – und wirkt in den entscheidenden Fällen letztlich doch nicht abschreckend. Andersherum gäbe es kein Argument gegen mehr Kameras, wenn Fahndungserfolge als Maßstab für den Erfolg genommen würden. Denn es könnte durchaus überall etwas passieren. Man müsste nur die entsprechenden Kameras konsultieren und könnte aufklären. Das aber widerspräche dem Datenschutz.
Zwischen einer generellen Beurteilung von Kameras und dem vorliegenden Fall sowie dem Erfolg der Polizei tut sich ein Dilemma auf, das im Hinblick auf bürgerliche Freiheiten einerseits und Verbrechensbekämpfung andererseits nicht zu lösen ist. Sollten es Kameras tatsachlich ermöglichen, in Fällen wie dem von München einzugreifen und zu verhindern, müsste jede Kamera unter ständiger Beobachtung stehen und Personal vorhanden sein, dass eingreifen könnte. Ob dieses Problem von Technologien gelöst wird, die das Verhalten analysieren und richtig interpretieren können, bleibt bis auf weiteres offen. Eine Verhinderung der Tat hätte bereits in der U-Bahn anfangen müssen. Spätestens dann hätte jemand präventiv eingreifen müssen.
Kameras sind offensichtlich dann am besten, wenn es um klar definiertes Verhalten geht und klar umrissene Räume - also bei einer Gebäudekontrolle oder in Parkhäusern, wo es nicht unbedingt um akute Gefahren oder um Leib und Leben geht. Vielleicht schreckt der Fahndungserfolg die nächsten Jugendlichen vor einer solchen Tat ab - hoffen möchte ich darauf nicht, denn auch in diesem Fall waren die Täter betrunken und werden darauf nicht geachtet haben. Aufklärung kann nur ein kleiner Trost für jedes Opfer sein, dürfte aber das Vertrauen in die Kameras nicht steigern und auch kein besseres Sicherheitsgefühl erzeugen. Wenn das nächste Mal ein Opfer hoffnungsvoll in eine Kamera schaut und auf Hilfe hofft, wird ein Fahndungserfolg nur ein schwacher Trost sein.