Tage der Ehre

Die Gemeinsamkeiten von Rudi Völler und Gerhard Schröder

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Zwei wichtige Themen werden in den nächsten Tagen die Nachrichten bestimmen. Zum einen geht es um die nationale Ehre beim Fußball. Wird Deutschland erstmals nicht bei einer Fußballweltmeisterschaft spielen? Und zum anderen geht es um die Zustimmung der Koalitionsmehrheit zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Der Bundeskanzler will seine ganze Überzeugungskunst aufbieten, um möglichst auch mit seiner Hausmehrheit ein akzeptables Abstimmungsergebnis vorweisen zu können.

Für zwei Männer steht diese Woche alles auf dem Spiel: Rudi Völler und Gerhard Schröder befinden sich erstmals in einer moralischen Zwickmühle.

Nie zuvor musste sich eine deutsche Fußballnationalmannschaft über Relegationsspiele für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Allein das ist in den Augen der Fußballfans schon eine nationale Schande. Im Vorfeld des Spieles empfanden dennoch alle prominenten Fußballexperten keinerlei Druck für die deutsche Nationalelf. Nur der Präsident des Fußballbundes wollte den Spielern noch einmal die Situation vor Augen führen. Doch wie motiviert man Millionäre? Nach dem jämmerlichen 1:1 im ersten Spiel gegen die Ukraine musste der Zuschauer aus den Kommentaren Hoffnung schöpfen. Das Hochloben der deutschen Tugenden wie Kampf und Willensstärke hat schon Tradition.

Nur wenige der befragten Experten empfanden es blamabel, dass die deutsche Mannschaft nicht als deutlicher Gewinner nach Hause flog. Stattdessen diskutierte man über ein Tor gegen die Latte, welches möglicherweise hinter der Torlinie von einem ukrainischen Spieler aus dem Tor heraus geköpft wurde. Das Unentschieden wurde zum deutlichen Hoffnungsschimmer der deutschen Mannschaft erklärt. Dabei ist allen Experten klar, dass die Ukraine eine starke Auswärtsmannschaft besitzt. Am Mittwoch geht es in Dortmund allerdings nicht nur um die Frage der deutschen Fußballehre, denn Herr Kirch von Premiere erhofft sich durch die Übertragungsrechte der Fußballweltmeisterschaft deutlich mehr Abonnenten. Und egal, ob die deutschen Fußballvertreter nicht mehr Weltklassefußball spielen, sehen wollten sie immer noch über 50 Prozent der Fernsehzuschauer: Sat 1 erzielte damit die zweitbeste Einschaltquote seit Bestehen des Privatsenders.

Es stellt sich die Frage, ob Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Laden wieder im Griff bekommt, denn sonst blamiert er sich nicht nur im außenpolitischen Rahmen. Acht grüne Bundestagsabgeordnete hatten sich am Wochenende auf eine ablehnende Haltung festgelegt. In ihrem am Wochenende verbreiteten Positionspapier heißt es: "Es handelt sich um ein Abenteuer, an dem sich niemand, auch nicht die Bundesrepublik, beteiligen sollte. Eine Unterstützung dieses Krieges durch deutsche Soldaten ist deshalb nicht zu verantworten und muss unterbleiben.!" Die acht Unterzeichner halten den Krieg in Afghanistan für "unverhältnismäßig, da er über die richtige Verfolgung einer gefährlichen Verbrecherbande weit hinausgeht und ein ganzes Land zum Ziel eines Krieges macht." Dabei kann man die acht Abgeordneten nicht einmal als Abweichler bezeichnen, denn mehrere Landesverbände der Grünen fordern die Bundestagsfraktion der Grünen ebenfalls auf, gegen den Antrag zu stimmen. Sollten alle 8 tatsächlich an dieser Position festhalten, hätte die Koalition, wenn alle SPD-Abgeordneten für Kanzler und Kriegseinsatz stimmen, keine Mehrheit, bei nur 7 würde es gerade reichen.

Gerhard Schröder hat inzwischen den Streitfall und den möglichen Verlust der Stimmenmehrheit als Anlass genommen, am Freitag die Vertrauensfrage zu stellen. Eigentlich hieß es am Wochenende noch, dass er diesmal keinen offenen Druck wie bei der Zustimmung zum Mazedonien-Einsatz Ende August ausüben wolle. Schon damals stimmten 19 SPD-Abgeordnete gegen den Einsatz der Bundeswehr und der Kanzler stand zum ersten Mal ohne Mehrheit da. Die Verknüpfung der Abstimmung über die Entsendung der Soldaten mit der Vertrauensfrage könnte jedoch zumindest manche der Kriegsverweigerer noch zu einem strategischen Positionswechsel veranlassen, um die Koalition zu retten. Überdies habe man Bundeswehr-Beschluss durch einen Entschließungsantrag ergänzt, der auch die Kritiker in der SPD und bei den Grünen zufrieden stelle. Ohne eigene Mehrheit würde Schröder scheitern, denn CDU/CSU sowie FDP und PDS werden dem Kanzler ihr Vertrauen nicht aussprechen. Immerhin meinte/hoffte/wünschte auch Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller am Dienstag nach einem Gespräch mit Schröder: "Ich bin zuversichtlich nach der Fraktionssitzung, dass wir eine eigene Mehrheit haben werden."

Die gegenwärtige Lage in Afghanistan könnte zum Überleben der Koalition auch noch etwas beitragen. Bislang scheinen sich die Taliban eher in Luft aufzulösen und das von ihnen kontrollierte Land wie Kartenhaus zusammen zu fallen. Vielleicht also wäre dann die Hauptaufgabe der Soldaten die Hilfe bei der sogenannten humanitären Hilfe? Aber die Dinge überstürzen sich, und am Freitag könnte vieles schon wieder anders aussehen. Eine Menge wird davon abhängen, wie sich die Truppen der Nordallianz verhalten werden. Nach Berichten haben Soldaten der Nordallianz in der eingenommenen Stadt Mazar-e-Sharif bereits gewütet und Massenhinrichtungen vorgenommen.

Wie auch immer, Bundestrainer Rudi Völler und Bundeskanzler Gerhard Schröder stehen mit dem Rücken an der Wand, denn beide sind auf die Mannschaft angewiesen. Doch die haben in diesen Tagen der Ehre wohl andere Ansichten oder Vorstellungen. Noch ist es fraglich, ob Gerhard Schröder sich einer Neuwahl erst im Jahr 2002 stellen würde und ob ihm auch die einfache - geduldete - Mehrheit des Bundestages reichen könnzte. Auf die noch leere Ersatzbank wollen offenbar die freien Demokraten, denn eine absolute Mehrheit wird Schröder auch bei möglichen Neuwahlen im Frühjahr nicht erreichen. Diese Hintertür hat Rudi Völler nicht, denn wenn das Spiel am Mittwoch verloren geht, herrscht Weltuntergangsstimmung in der Fußballnation. Doch zumindest hier gibt es einen Ausblick: 2006 findet die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land statt und da ist Deutschland als Gastgeber automatisch qualifiziert. Der Neuaufbau der Nationalelf kann dann sofort beginnen, doch Schröders Zukunft steht in den Sternen.