Tageslicht macht Mäuse schlau
UV-B-Licht auf der Haut erzeugt eine chemische Verbindung, die im Gehirn zu einem Botenstoff weiterverarbeitet wird und Lernvorgänge fördern
Nicht nur Photographen wissen Tageslichtlampen zu schätzen, sie finden sich auch zunehmend in vielen Privatwohnungen. Manche empfinden einfach das natürliche Lichtspektrum als angenehm, aber andere streben darüber hinaus nach einer medizinischen Wirkung. Helle Lichtstrahlung soll nicht nur das Zimmer, sondern auch die Stimmung aufhellen und die Winterdepression lindern.
Aus dem Spektrum des echten oder künstlichen Sonnenlichts sind es immer wieder die kurzwelligen, blauen Anteile, die durch biologische Wirksamkeit auffallen. Sichtbares blaues Licht wird, außer von den normalen, für das Farbsehen zuständigen Zapfen, in der Netzhaut auch von spezialisierten Ganglienzellen wahrgenommen, welche die innere Uhr danach stellen (darum wird mittlerweile davon abgeraten, sich abends dem blauen Licht von Bildschirmen auszusetzen). Das für uns nicht sichtbare UV-Licht setzte der Wiener Röntgenarzt Gustav Kaiser schon vor über hundert Jahren erfolgreich zur Wundheilung ein. Bekanntlich ist es auch für unsere sommerliche Bräune verantwortlich, und hat andererseits in seinen kürzestwelligen Anteilen genügend Photonenenergie, um ionisierend zu wirken und das Erbgut zu schädigen.
Von der Haut ins Hirn
Soweit, so bekannt. Dass UV-Licht auf das Nervensystem wirken könnte, würde man hingegen nicht vermuten - wird es doch, zumindest beim Menschen, bereits an der Augenlinse abgefangen, und dringt auch nicht tief genug in den Körper, um Nervenzellen in größerer Zahl zu erreichen.
Aber auch indirekte Wege führen zum Ziel, wie eine Arbeitsgruppe aus dem ostchinesischen Hefei gezeigt hat. Kürzlich hatten dieselben Forscher die Methode etabliert und perfektioniert, einige Nanoliter Zellsaft aus einzelnen Nervenzellen zu entnehmen und mittels Massenspektrometrie auf ihre Bestandteile hin zu untersuchen. Dabei stießen sie auf einen unerwarteten Inhaltsstoff: Urocaninsäure - so benannt, weil sie zuerst im Urin von Hunden gefunden wurde, tatsächlich aber ein Produkt der äußeren Hautzellen und Bestandteil von Schweiß, wo sie gegen UV-Licht schützt. Sozusagen eine körpereigene Sonnenmilch. Urocaninsäure wird aber auch ins Blut abgegeben, wo sich ihre Konzentration unter UV-Bestrahlung innerhalb von zwei Stunden verdreifacht.
Die Wissenschaftler wurden neugierig. Kam die Urocaninsäure im Mäusegehirn tatsächlich aus der Haut? Und wenn ja, was tat sie dort?
Dass sich der Urocaninsäuregehalt der Nervenzellen tatsächlich verdoppelte, wenn man Mäuse am Rücken rasierte und UV-Licht aussetzte, war noch kein Beweis: Das Licht könnte ja auf Umwegen die Synthese im Gehirn anregen. Also spritzten die Forscher Urocaninsäure in die Schwanzvene, und beobachteten denselben Anstieg im Gehirn. Auch, wenn sie radioaktiv markierte Urocaninsäure spritzten, fanden sie diese in den Nervenzellen wieder. Und der UV-Effekt funktionierte auch bei blinden Mäusen. Damit war bewiesen, dass in der Haut produzierte und ins Blut abgegebene Urocaninsäure die Blut-Hirn-Schranke kreuzt und in den Nervenzellen in weiten Teilen des Gehirns ankommen kann.
Verstärkte Synapsen
Dort konnten die Forscher die Abbauprodukte nachweisen, welche beim metabolischen Umbau von Histidin über Urocaninsäure bis zum Neurotransmitter Glutamat anfallen. Der Glutamatgehalt von Nervenzellen stieg an, wenn man sie mit Urocaninsäure versorgte, und dieser Anstieg blieb aus, wenn man ein Enzym des Umbaus blockierte. Das Sonnenschutzmittel unserer Haut wird also im Gehirn umgewandelt zum meistverwendeten erregenden Botenstoff.
Nun ist Glutamat aber nicht nur Botenstoff, sondern als Aminosäure auch ein wichtiger Baustein für Eiweiße. Durchaus denkbar wäre es also, dass der ganze bisher gezeigte Synthese- und Transportweg zwar ein nettes Zuckerli für Biochemiker ist, aber mit der eigentlichen Funktion des Gehirns nichts zu tun hätte.
Um dies auszuschließen, gingen die Forscher zur Elektrophysiologie über und leiteten von Einzelzellen im Hippokampus und im Striatum ab, die Eingänge von solchen Neuronen bekommen, die Glutamat als Botenstoff nutzen. An beiden Stellen reagierten die Nervenzellen von Mäusen, die UV-B-Licht ausgesetzt gewesen waren, verstärkt auf die Transmitterausschüttung aus den ihnen vorgelagerten Zellen. Und zwar lag das nicht etwa daran, dass die nachgelagerten Zellen empfindlicher geworden wären, sondern daran, dass die Glutamat-nutzenden Zellen mehr von dem Botenstoff in ihre Vesikel gepackt hatten - also in diejenigen Zellorganellen, in denen Botenstoffe an der Präsynapse bis zur Ausschüttung gespeichert werden.
Helle Köpfchen
Nach gängiger Lehre (die vielleicht nicht vollständig ist - "Ich, Neuron") werden alle Steuerungsfunktionen des Gehirns in der Stärke seiner Synapse gespeichert. Wenn Mäuse im Sonnenstudio ihre erregenden Synapsen hochdrehen, sollte sich das also auch aufs Verhalten auswirken.
Und das tut es. Den bemerkenswert weiten Bogen, den die chinesischen Kollegen schlagen, erden sie am anderen Ende, indem sie die UV-bestrahlten Mäuse im Vergleich zu standardbeleuchteten Tieren in zwei Lerntests schickten, welche die Plastizität der zuvor elektrophysiologisch untersuchten Verbindungen testeten - also einen Test auf explizites Gedächtnis, und einen auf motorisches Lernen. In beiden schnitten die unter UV-Licht gehaltenen Mäuse besser ab.
Zusammengefasst: Wenn UV-B-Licht auf die Haut fällt, bildet diese Urocaninsäure, die über das Blut ins Gehirn transportiert wird, dort zu Glutamat umgebaut wird und die Lernfähigkeit messbar verbessert.
Dunkle Haut - helle Köpfchen
Chefs, welche die Intelligenz und Leistungsfähigkeit ihrer Untergebenen steigern wollen, sollten sie also des Öfteren zum Sonnenbaden an den Strand schicken. Zwar ist es stets tückisch, von Versuchstieren - und zumal Inzuchtmäusen, die unter extrem artifiziellen Bedingungen gehalten werden (Zwischen Mäusen und Menschen). Aber dass Sonnenlicht auch auf die psychische Verfassung des Menschen wohltuend wirkt, ist nicht nur Alltagserfahrung, sondern auch vielfach belegt.
Einerseits steigt mit dem Sonnengenuss auch die Laune. Therapiepatienten geht es emotional besser, je mehr die Sonne scheint. Bei schönem Wetter sind die Leute als "sunshine samaritans" sogar hilfreicher und geben mehr Trinkgeld. Sonnenschein ist so schön, dass er sogar süchtig macht. Vor einigen Jahren zeigte eine Studie, dass die Hautzellen auch Endorphin herstellen, das schmerzdämpfend und belohnend wirkt und sogar leicht abhängig macht. Dies ist also ein weiterer Wirkungsweg von der Haut zum Gehirn, der anscheinend nichts mit Glutamat zu tun hat.
Andererseits bessert sich unter Sonneneinstrahlung auch das Denken mit der Laune. Psychologen untersuchten und manipulierten die Zeitdauer, die ihre insgesamt über 600 Studienteilnehmer im Frühling an der frischen Luft verbrachten. Mit steigender Outdoor-Zeit stieg nicht nur die Laune. Auch das Kurzzeitgedächtnis und die kognitive Flexibilität besserten sich. Diese Befunde passen besser zur UV-Wirkung auf die Glutamatsynthese, als zu jener auf Endorphin.