Taschengeld für Muff und Biedersinn

Zur Debatte über das Betreuungsgeld

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Neulich in der Straßenbahn: ein Baby, etwa sieben Monate alt, liegt in einem Wagen und brüllt. Eine Frau steht neben dem Wagen und liest Zeitung. Ob sie die Mutter ist, ist nicht ganz eindeutig. Ein mögliches Indiz dafür wäre, dass sie die Zeitung sehr viel ruhiger liest als die anderen Fahrgäste, die immer wieder aufschauen in Richtungs des Babys und deutliche Signale der Entrüstung versenden.

Als die Mutter kurz vor einer Station von ihrem Platz aufsteht und die Bremse des Kinderwagens löst, entlädt sich die angestaute Wut einer älteren Frau „Ja, was sind Sie denn für eine Mutter! Können Sie ihr Kind nicht in Ihren Arm nehmen! Sie sind doch verantwortlich. Das Geschrei hält ja niemand aus!“

Noch ehe die Mutter, die der erbosten Frau müde und genervt ins Gesicht sieht, antworten kann, springt ihr schon ein Mann zur Seite, ebenfalls älter, mit einem Bluthochdruck-Kopf, der Schlimmstes befürchten ließ: „Ihr Geschrei hält niemand aus! Sind's doch endlich ruhig! Da muss man sich freilich nicht wundern, dass es in Deutschland keine Kinder mehr gibt, wenn alle nur so bitterböse auf Eltern und Kinder einschimpfen!“ Die Mutter war mit dem Kinderwagen schon längst ausgestiegen, als der ältere Mann der älteren Frau noch immer einen sehr lauten Vortrag über Kinderfeindlichkeit im gegenwärtigen Deutschland hielt.

Natürlich hat er Unrecht. Dass Deutschland kinderfeindlich sei, ist ein Mythos, der seit ein paar Monaten nicht mehr stimmt, definitiv nicht. Ob auf der Straße, in den Geschäften, am Flughafen oder im Büro: Mit Kindern ist die Chance groß auf eine freundliche Vorzugsbehandlung. Das liegt auch an der Politik, die Kinder zum Thema gemacht hat. Außer Journalisten, Agenturarbeiter und Mitglieder anderer Milieus, die vor allem aus allzeit verfügbaren Einzelkämpfern bestehen, und ein paar mutigen Einzelstimmen finden jetzt alle Kinder toll und alle Parteien wollen sich über Familien-und Kinderpolitik profilieren. Doch nach dem frischen Anfang setzt es jetzt deutschen Muff und Biedersinn.

Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, den die SPD fordert, ist so eine muffige Idee aus dem Fundus politischer Strategien. Wenn genügend Krippenplätze da sind, braucht man keinen gesetzlichen Anspruch darauf: Irgendwie drängt sich hier der Verdacht auf, dass die SPD dem ehrgeizigen Krippenausbau-Plan der Familienministerin, noch ein Wichtigmacher-Häubchen aus der Politik-Klamottenkiste aufsetzen wollte, um bei dem Volkstheater auch gut dazustehen. Doch der Griff in alte Truhen kann teuer werden. Die CSU verlangt eine Gegenleistung für die Forderung des Koalitionspartners: das Betreuungsgeld für Kinder unter drei Jahren.

2,1 Milliarden Euro im Jahr soll das nach Schätzungen der CSU kosten: Geld für die „klassische Wählerschicht der Union“. 150 Euro im Monat für „Familien, die sich viel Mühe geben, den Charakter ihrer Kinder in den ersten drei Lebensjahren selbst zu formen“, Familien, welche die Union „niemals enttäuschen“ dürfe. Man dürfe Eltern nicht dafür „bestrafen“, wenn sie ihre Kinder selbst erziehen wollten und dafür keinen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollten, legte Stoiber gestern auf dem Städtetag nach.

Bestrafen? Was ist das für eine Strafe, wenn für eine größere „Interessensgruppe“ - laut Bundesamt für Statistik arbeiteten 2005 bei 51% der Ehepaare mit Kindern beide Elternteile, bei unverheirateten Paaren waren es 54% - Institutionen bereitgestellt werden, deren Vorteile eben durch den Ausbau allen Gruppen gleichermaßen offen stehen?

Zum anderen gibt es einen essentiellen Unterschied, ob öffentliches Geld für öffentliche Institutionen verwendet wird oder Privathaushalten zu Verfügung gestellt wird. Das weiß Stoiber und das weiß auch die Familienministerin, die über eine bargeldlose Förderung von Kindern, die zuhause erzogen werden, nachdenken soll, wie die Berliner Zeitung erfahren hat. Nach deren Informationen soll von der Leyen eine neue Geldleistung für Eltern nicht in ihren Gesetzentwurf zum Ausbau der Krippenplätze aufnehmen, den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab 2013 dagegen schon.

Das letzte Wort in der Sache dürfte das allerdings nicht sein. Für die CSU geht es bei der Debatte um eine Kernwählerschaft, die vor allem in bayerischen Dörfern anzutreffen sein dürfte. Wer Gespräche über Kinderkrippen nicht nur in kinderreichen, angesagten Stadtvierteln in Berlin oder München verfolgt, sondern auch an Stammtischen in bayerischen Dörfern, weiß, woher der Wind weht, der Stoiber und die CSU in dieser Sache antreibt. Ein frischer Wind ist es nicht. Zur idyllischen Überzeichnung von alten Werten und der patriachalen Großfamilie unter einem Dach gibt es die passenden Karikaturen von Krippen als DDR-Erbe und Auslöser schwerwiegender Spätfolgen.