Technische Ignoranz der Geisteswissenschaften
Im Zeitalter des Internet ist Technikethik Informationsethik
Wie ist es möglich, dass die aktuelle (deutsche) Diskussion um Technik und Ethik so an der Wirklichkeit vorbeigeht? Wie ist es möglich, dass das Internet als Paradigma der Informations- und Kommunikationstechnologie von (deutschen) Philosophen im wesentlichen entweder ästhetisiert oder aber unter postmodernem Wortgeklingel begraben wird? Wie ist es möglich, dass kein Aufschrei erklingt, wenn nationale (in Deutschland) oder internationale (in der EU) Regelungen zur Ermöglichung staatlicher Eingriffe in die elektronische Kommunikation getroffen werden? Wo sind die liberalen Geistes- und Sozialwissenschaftler?
Technischer Embryo?
Es ist zu befürchten, dass die Antwort auf diese eher rhetorisch gemeinten Fragen noch trivialer ausfallen wird, als dies Antwortversuche der Spielart "Rückzug aus dem Politischen" schon wären. Die Antwort ist nämlich höchstwahrscheinlich völlige technische Ignoranz, gepaart mit ökonomischen Binsenwahrheiten und der unbegründeten Annahme, Technikethik könnte man vollkommen unbeleckt von technischem, ökonomischem und juristischem Sachverstand betreiben - beispielsweise über die Frage, wer für die Verbreitung von pornographischem, rassistischem oder sonstwie verwerflichem Material im Internet verantwortlich zu machen sei - im moralischem Sinne wohlgemerkt -, ohne die Kenntnis der technischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Internet und der zugrunde liegenden Technologie debattieren.
Da wird ohne Kenntnis der Fakten dem Urteil des bayrischen Amtsrichters in Sachen AOL zugestimmt, ohne zu wissen, wie schwer es ist, bestimmte Inhalte aus dem Informationsfluss des Internet zu filtern - aus technischen Gründen; wie schwer es ist, den Zugang durch Sperrung bestimmter Server zu verunmöglichen - aus technischen Gründen; wie falsch es ist, bestimmte vorkommende Schlüsselwörter in den Internetinhalten als Indikator für verwerfliches Material heranzuziehen - aus sozialen bzw. sprachlichen Gründen. Obwohl es communis oppinio ist, dass jener nicht verantwortlich ist, der keine Möglichkeiten des Eingriffs hat und somit auch nicht moralisch verurteilt werden kann, wird genau dies im Falle des Internet häufig getan.
Die postmoderne Strategie
Nicht viel besser ist die Strategie, das Internet als Beleg dafür zu nehmen, dass die Postmodernen eben doch Recht haben. Statt von Menschen zu sprechen, die das Internet für ihre Zwecke benutzen, wird von Diskursen geredet, die sich selbst reproduzieren oder aber auch dekonstruieren, vom Verschwinden des Autors im Hypertext, vom Medium Internet, das schon selbst die Botschaft sei. Man kann Problemen auch dadurch aus dem Weg gehen, dass man sie auf eine ästhetische Frage reduziert; oder auf die Frage nach dem richtigen hermeneutischen Zugang. Wenn man drängende Probleme dadurch schon lösen kann, dass man sie nur richtig liest oder interpretiert, wird ihnen ohne Zweifel der Stachel gezogen. Aber werden sie dadurch auch wirklich gelöst?
Die Reform der Studieninhalte
Von Geistes- und Sozialwissenschaftlern wird seit längerem - mit mehr oder weniger Erfolg - dafür gekämpft, dass die Ausbildung von Ingenieuren mit Inhalten der Geistes- und Sozialwissenschaften bereichert werden. Ohne Zweifel ist es wichtig, dass die Entwicklung von Technik in einen sozialen Kontext gestellt wird; wo, wenn nicht an den Universitäten sollte mit dieser Einbettung begonnen werden? Leider gibt es hier aber so etwas wie eine Zweiklassen-Gesellschaft: Fachhochschulen und ähnliche Einrichtungen wie Berufsakademien sind meist nicht eingeschlossen.
Im besten Falle kurios ist jedoch, dass sich eben jene Geistes- und Sozialwissenschaftler lange Zeit mit Erfolg dagegen gewehrt haben, dass technische Inhalte in die Ausbildung ihrer Studierenden einbezogen werden. Zwar beinhalten manche Studien- und Prüfungsordnungen die Möglichkeit, andere als geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer als Nebenfächer zu belegen; wer sich aber einmal auf das Abenteuer dieses Weges eingelassen hat, wird viel erzählen können.
Interdisziplinarität? Wie schreibt man das?
Ob dabei aber viel Positives zu berichten ist, kann man bezweifeln. Vor allem wird ein entsprechender Absolvent von keiner Seite mehr ernst genommen: Für die einen ist man ein Schmalspurphilosoph (respektive -soziologe, -literaturwissenschaftler, etc.), die anderen begegnen einem in Prüfungen und auch anderswo wie einem Objekt aus der Kuriositätensammlung eines anatomischen Museums.
Es ist immerhin ein Silberstreif am Horizont, dass im Zuge der Reform einiger Studien- und Prüfungsordnungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten oder Fachbereiche ganz gezielt darauf hingearbeitet wird, dass auch das Studium in diesem Bereich endlich interdisziplinär wird und nicht nur der Anspruch darauf erhoben wird. Leider geschieht dies aber vor allem mit der Begründung, bessere und wirklich berufsqualifizierende Abschlüsse zu gestalten. Es geht also nicht um Grundlagenforschung und -ausbildung zum Zwecke besserer wissenschaftlicher Ergebnisse, sondern um die Erzielung eines höheren Outputs an Absolventen und der Verbesserung der Arbeitslosenquote unter Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Unbestritten sind das wichtige Ziele, aber es können und sollten eigentlich nicht die einzigen Ziele einer Institution wie der Universität sein.
Kein Thema?!
Immerhin bewegt sich auf der Ebene des Studiums einiges. Aber für die Forschungs- und damit die Publikationslandschaft ist eher zu konstatieren, dass eine Veränderung hin zur Verbesserung nicht erkennbar wird.
Selbst wenn die Recherche für diesen Artikel unvollständig war, so ist sie doch einigermaßen repräsentativ und gibt eine Tendenz wieder: Im Bereich der Fachzeitschriften war für 1998 und 1999 (auch für weiter zurückliegende Jahre findet sich nicht viel) im deutschsprachigen Raum kein Artikel zu finden, der Ethik und Informations- und Kommunikationstechnologien zusammen thematisiert hätte. Buchtitel gibt es einige, aber Finger und Zehen reichen aus, um sie zu zählen (Online-Publikationen wie "Telepolis" sind hier bewußt nicht mitgerechnet, da diese - so steht zu befürchten - in jenem akademischen Umfeld, um das es hier geht, entweder völlig unbekannt sind oder schlicht ignoriert werden).
Zudem muß man feststellen, dass manche Publikationen Sachverhalte des Internet einfach falsch darstellen. Wie nicht anders zu erwarten, sieht es im englischen Sprachraum zumindest zahlenmäßig besser aus; hier finden sich sowohl eine Reihe von Aufsätzen in Fachzeitschriften als auch wesentlich mehr Buchpublikationen.
Was soll's?
Nun könnte man natürlich der Meinung sein, dass die beschriebene Situation deshalb schon nicht besonders schlimm wäre, weil das, was Geistes- und Sozialwissenschaftler zum Innovationsprozess im politischen, juristischen, ökonomischen und technischen Bereich beizutragen hätten, so wenig sei, dass man darauf auch getrost verzichten könnte. Philosophen, Soziologen und all die anderen, so eine mehr oder minder verhüllt, eher unverhüllt geäußerte Meinung, sollten mit ihren wachsweichen und meist völlig unverständlichen Diskussionsbeiträgen doch nicht jene, die etwas davon verstehen, dabei stören, Wohlstand und Fortschritt zu mehren. Sie sollten damit zufrieden sein, dass man sie in nichts bewirkenden Ethikkommissionen und -beiräten mit Aufwandsentschädigungen debattieren oder auf interdisziplinären Kongressen Vorträge halten läßt.
Wussten die Alten es besser?
Nun spricht die Tatsache, dass beispielsweise Philosophen nicht in der Lage sind, eine Diskussion über aktuelle Probleme zu führen, ohne dabei auf uralte Texte aus der Antike zurückzugreifen, vordergründig gegen diese Art der Problembewältigung und damit natürlich auch gegen jene, die diese Mittel anwenden. Schließlich gab es zu Zeiten eines Aristoteles keine Großen Technischen Systeme, keine Atomkraftwerke, keine Chemiewerke und eben auch keine Informationsnetze wie das Internet. Was also könnten uns die alten Meister schon sagen?
Teilweise kann man dieser Ansicht zustimmen: Vieles aus den alten Texten ist in der Tat nicht mehr relevant für unsere Zeit. Aber in den wichtigen Fragestellungen können uns auch diese Texte etwas sagen. Die wichtigste Frage ist im Umgang mit Technik - allerdings nicht nur hier - die Frage nach der Verantwortung sowohl für intendierte als auch für nicht gewollte Folgen des Handelns.
Kodizes
Eine zur Zeit bevorzugte Möglichkeit der Verantwortungszuweisung als Lösung für das genannte Problem soll über die Erstellung und Entwicklung von Ethikkodizes realisiert werden. Einrichtungen wie Ingenieursvereinigungen, Innungen oder Unternehmen entwickeln selbst Verhaltensregeln, an die sich die Mitglieder der jeweiligen Gruppierung in ihrem professionellem Tun orientieren sollen. Geschieht dies nicht, so ist dies zwar oft weit unter der Schwelle des rechtlich zu Sanktionierenden, aber doch über der Schwelle des moralisch Bedenklichen.
Diese Konzeption setzt jedoch voraus, dass die Handelnden im Prinzip klar identifiziert werden können. Ob bei der Explosion der Raumfähre "Challenger", dem Untergang der "Estonia", der nuklearen Katastrophe in Tschernobyl oder dem Chemieunglück in Bophal: Wenn über diese Ereignisse, ihre Ursachen und Folgen anhand von Kodizes moralisch geurteilt wird, dann setzt dies voraus, dass die Handelnden klar identifizierbar sind und auf diese Weise zumindest moralische Sanktionen ausgesprochen werden können.
No such address ...
Diese Identifizierungsmöglichkeit kann jedoch bereits für jene Techniken bzw. Technologien oftmals verneint werden, die nicht zu den Informations- und Kommunikationstechnologien gehören. Um ein - allerdings schon länger zurückliegendes - Beispiel zu nennen, das aber aufgrund seiner starken Hierarchisierung und vielen Entscheidungsebenen interessant ist: Wer ist für den Feuertod der drei Astronauten von Apollo 1 verantwortlich? Die Ingenieure, die eine Kapsel konzipierten, die mit reinem Sauerstoff geflutet wurde? Jene, die diese Konstruktionsentscheidung als Manager zu tragen hatten? Die Flugleitung, die den Starttest so ablaufen ließ, dass mehrere Teile der Simulation gleichzeitig abliefen, so dass der Brand jene verheerenden Folgen haben konnte? Die Techniker, die vielleicht einen Fehler übersehen hatten? Die NASA, die das Apollo-Programm durchführte? John F. Kennedy, der 1961 das ehrgeizige Ziel vorgab, innerhalb einer Dekade einen US-Amerikaner zum Mond und zurück zu bringen?
Sicherlich wären wir geneigt, vielen eine Teil der Verantwortung zuzuweisen, würden aber damit jeden auch exkulpieren, da ja niemand alleine das Unglück hätte vermeiden können. Deutlich wird auch, dass Ethikkodizes zwar ein wichtiges Hilfsmittel sind, um Vorgaben für richtiges Handeln zu geben. Doch wie viele Kodizes muss man erstellen, um die weitverzweigten Handlungsabläufe in solch großen Unternehmungen wie dem Raumfahrtprogramm, aber auch dem Betrieb eines Atomkraftwerks oder Chemieunternehmens in Regeln zu gießen?
Das Vogel-Strauß-Prinzip
Deutlich ist, dass mit der Größe des zu regelnden Bereichs die Schwierigkeiten der Verantwortungszuweisung rapide ansteigen. Und doch sind die beschriebenen Beispiele im Grunde noch recht einfach, da die angeführten Institutionen und Unternehmen eben dieses sind: Institutionen und Unternehmen, vielleicht auch juristische Personen. Es gibt einen, wenn auch oft abstrakten, Adressaten für die Verantwortungszuweisung. Wenn wir nicht eine konkrete Person moralisch oder gar juristisch verurteilen können, sind wir geneigt, doch wenigstens die entsprechende Institution, das entsprechende Unternehmen oder die juristische Person zur Rechenschaft zu ziehen.
Was aber tun, wenn dies grundsätzlich oder doch zumindest in der Vielzahl der Fälle gar nicht mehr möglich ist? Stecken wir dann die Köpfe in den Sand, wie dies in der aktuellen Ethikdiskussion angesichts der Herausforderungen der Informations- und Kommunikationstechnologie gerade geschieht?
Das Internet ist anders
Damit sind wir angelangt bei der Diagnose der Situation, vor die wir mit der immer stärkeren Nutzung und der immer größer werdenden Verbreitung des Internet - als Paradigma der Informations- und Kommunikationstechnologien verstanden - gestellt werden. Die wichtigen Probleme der Informationsgesellschaft sind nicht analog zu bisherigen.
Die damit verbundene Annahme der Nichtanalogiefähigkeit des Internet zu anderen Technologien oder sozialen Systemen entspringt dabei zunächst der zugrunde liegenden Technologie. Das Internet ist weder mit dem Telefon noch mit dem Rundfunk oder dem Fernsehen vergleichbar, da bei jenen immer eine Art der zentralen Steuerung vorliegt. Deshalb sind für das Internet klassische juristische Regelungsansätze kaum anwendbar: Das Internet besitzt keinen Aufsichtsrat und keinen Vorstand, es ist keine juristische Person, es hat keinen Firmensitz und es wird nicht auf jene Art und Weise entwickelt und realisiert, wie dies für einen Fernseher, eine Brücke, eine Atombombe oder ein anderes "klassisches" Artefakt "klassischer" Technologien gilt, da es eben kein monolithisches, homogenes Ganzes ist. So sind beispielsweise LINUX bzw. alle Produkte der Open Software Foundation das Ergebnis der Zusammenarbeit vieler Einzelner ohne zentrale Steuerung, ohne Auftrag, ohne einheitliche Motivation. Es sind oftmals Freizeitprodukte, die nichts desto trotz hohe Qualität zeigen und in vielen Bereichen professionell eingesetzt werden. In dieser Situation fehlen die Adressaten für Ingenieurs- oder Unternehmensethiken bzw. entsprechender Kodizes.
Neue Antworten braucht das Land ...
Es ist ein glücklicher Umstand, dass aus der Politischen bzw. Sozialphilosophie ethische Ansätze bekannt sind, die als Grundlage einer Ethik des Umgangs mit Informations- und Kommunikationstechnologien - kurz als Grundlage einer Informationsethik - adaptiert und benutzt werden können.
John Rawls "Eine Theorie der Gerechtigkeit" beschreibt ein Verfahren zur Aushandlung und Beurteilung von gesellschaftlichen Regelungen und Institutionen, so dass diese von den Bürgern einer Gesellschaft akzeptiert werden können. Grundsätzlich gilt zwar, dass dieser Ansatz funktionierende rechtsstaatliche und demokratische Verfassungen voraussetzt, so dass die Implementierung und Inkraftsetzung entsprechender Regelungen nur dort im Zugriff der Betroffenen liegt. Die Stärke des Ansatzes für die Problematik des Umgangs mit Informationen liegt aber darin, dass das Vertragsmodell der Ethik sowohl auf der individuellen als auch auf Gruppen-, der institutionellen oder gar der staatlichen Ebene anwendbar ist. Regelungen des Informationsflusses müssen als Vertrag zwischen Gleichberechtigten unter fairen Bedingungen entwickelt werden.1 Außerdem läßt sich in diesen Ansatz das Subsidiaritätsprinzip, das in supranationalen Gebilden wie der EU sehr wichtig ist, gut einbinden: Regelungen sollten dort entwickelt werden, wo sie letztlich angewendet werden (müssen). Es sollten kontraktualistische mit konsequentialistischen Elementen in der angestrebten Informationsethik verbunden werden: Regelungen werden durch Vertrag festgelegt; zur Bewertung ihrer Akzeptanz können die Vertragschließenden die möglichen und tatsächlichen Folgen für sich und ihr Gemeinwesen heranziehen.
Grundsätze der Informationsnutzung
Formuliert man die beiden Grundsätze der Gerechtigkeit so um, dass sie auf den Umgang mit Informationen und Wissen angewandt werden können, dann wird deutlich, dass hiermit Leitsätze gegeben werden, die über allen weiteren Regelungen stehen sollten:
- Jedermann soll gleiches Recht auf Zugang zum umfangreichsten System von Informationen und Wissen haben, das mit dem gleichen System für alle anderen vereinbar ist.
- Informationelle Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass (a) vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen, und (b) sie mit Positionen und Ämtern verbunden sind, die jedem offen stehen.
So wie Rawls diese beiden Grundsätze ausgearbeitet und mit Vorrangregeln ergänzt hat, müssen die umformulierten Grundsätze ausgearbeitet werden. Trotzdem kann man bereits an dieser ersten Form der Grundsätze der Informationsnutzung Regelungen, wie sie Gesetzgeber in Deutschland, England, in der EU oder in den USA planen oder planten, messen. Lauschangriffe, das Verbot von sicherer Kryptographie, Abhörmöglichkeiten im Internet etc. sind Eingriffe in das "umfangreichste System von Informationen und Wissen", die gegenüber jenen gerechtfertigt werden müssen, die diese Eingriffe ertragen müssen. Kann dies nicht im Einklang mit dem zweiten Grundsatz geschehen, kann und sollte man davon ausgehen, dass diese Eingriffe nicht zu rechtfertigen sind.
Festzuhalten ist, dass Regelungen der Kommunikation von jenen per Vertrag getroffen werden, die miteinander kommunizieren. Natürlich müssen diese durchgesetzt werden; dies ist die Aufgabe von Behörden und Institutionen. Aber gerade am Beispiel der elektronischen Kommunikation sollte deutlich gemacht werden, dass diese Behörden und Institutionen keine selbstzwecksetzenden Handelnden sind, sondern Ausführungsorgane. Politische und Sozialphilosophen, Soziologen und alle anderen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, können und sollten deutlich machen, dass staatliche Einrichtungen Mittel zur Erreichung der Zwecke des Souveräns sind, nicht mehr und nicht weniger. In Demokratien gibt es kein Interesse des Staates, es sei denn, als Interesse der Bürger dieses Staates.
Entwurf einer Informationsethik
Eine Informationsethik sollte allgemein sein hinsichtlich der Adressaten, speziell jedoch hinsichtlich des Gegenstandsbereichs. Sie geht damit über klassische technikethische Ansätze hinaus, bleibt jedoch eine angewandte Ethik. Sie sollte ethische Fundierungen nicht-ethischer Regelungen vorgeben können und damit den Anspruch vertreten, dass Aspekte des Lebens aller Menschen - wie Information und Kommunikation es sind - nicht reduziert werden auf ökonomische oder technische Belange. Rechtsstaatliche Demokratien können nicht auf die Partizipation der Bürger in Lebensbereichen verzichten, die in der Zukunft von großer Bedeutung für ihr eigenes Bestehen sein werden. Folgendem ist deshalb voll zuzustimmen:
Der wirkliche Zugang zur Information wird das größte Problem der Cybergesellschaft sein. Angesichts der fortschreitenden ökonomischen, finanziellen und technischen Globalisierung brauchen wir eine globale Bürgerschaft und Regierung, was den Zugang zu qualitätvollen öffentlichen Informationen sowie die Existenz von Instrumenten zur politischen Steuerung erfordert, die dem Cyberzeitalter angemessen sind. Der freie Zugang zu Informationen des öffentlichen und politischen Bereichs, ein umfassendes Nachdenken über den Schutz des privaten Lebens angesichts von Techniken zur Erfassung und Verarbeitung persönlicher Daten, die Förderung von »freien« Programmen und offenen (nicht-proprietären) Standards, um eine innovative Freiheit und kollektive Zusammenarbeit zu ermöglichen, und die Verwirklichung einer kulturellen und sprachlichen Vielfalt im Netz gehören zu den Maßnahmen, die die Bildung einer demokratischeren und gerechteren Informationsgesellschaft sichern.
Philippe Queau 1998
All diese Ziele sind nur durch demokratische Verfahren der Vereinbarung zwischen informierten Bürgern zu erreichen. Informationsethik kann und muß hier Anleitungen geben, wie die Bedingungen für die Partizipation hergestellt werden können.
Famous last words ...
Obwohl dieser Text mit einer Polemik begann, scheint er nun doch noch mit einem Happy-End zu schließen: Auch in der Philosophie bzw. Ethik kann man konstruktive Vorschläge erzeugen.
Aber Vorsicht! Die provokant gestellten Fragen zu Beginn dieses Artikels sind noch nicht beantwortet. Will man sie trotz des rhetorischen Charakters beantworten, sieht ein entsprechender Versuch vielleicht folgendermaßen aus: Es gibt Publikationen zu den gestellten Fragen, doch gerade die Tatsache, dass diese so hervorstechen aus einem Meer von Nichts, spricht gegen die Popularität des Themas und für die Nichtbeachtung der neuen Situation, die durch Informations- und Kommunikationstechnologien - und hier als Paradigma das Internet - erzeugt wird.
Bedenkt man die Veränderungen, die in beinahe allen Lebensbereichen der Menschen durch das Internet in der (nahen) Zukunft hervorgerufen werden sollen, wird diese Nichtbeachtung unverständlich, wenn man nicht weiß, wie Geistes- und Sozialwissenschaftler ausgebildet werden. Wenn es um Informations- und Kommunikationstechnologien geht, ist die Frage, wie TE zu übersetzen ist, in der großen Zahl der Fälle klar zu beantworten. Aber immerhin birgt die Antwort Hoffnung für die Zukunft: Embryonen können ja wachsen.
Karsten Weber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Karlsruhe (TH). Er hat Philosophie, Informatik und Soziologie studiert und arbeitet im Bereich der Ethik über das hier dargestellte Thema.