Teenies, Opas, Obdachlose
Die Klagen gegen P2P-Nutzer drohen für die RIAA zum PR-Debakel zu werden
Für die zwölfjährige Brianna Lahara war die Angelegenheit klar: Sie zahlte 29,95 für ihren Internetprovider, um sich Musik aus dem Netz zu laden. Ganz legal, wie sie dachte. Montag klingelten dann jedoch plötzlich Reporter an der Tür der Sozialwohnung ihrer Mutter in New York und erklärten, dass Brianna zu den 261 Tauschbörsen-Nutzern gehöre, die von der Recording Industry Association of America (RIAA) verklagt worden sind.
Brianna erklärte der Presse erschrocken, nicht gewusst zu haben, dass Kazaa illegal sei und berichtete, vor Angst bereits Magenkrämpfe zu haben. RIAA verklagt ahnungsloses Kind - der Musikindustrie muss ziemlich schnell aufgegangen sein, dass so eine Schlagzeile nicht eben zur Förderung ihres Images beiträgt. Eiligst einigte man sich mit Briannas Mutter auf eine außergerichtliche Beilegung des Verfahrens. An Stelle der ursprünglich verlangen 150.000 Dollar pro zum Tausch angebotener Datei kommt nun lediglich eine Zahlung von 2.000 Dollar auf die Familie zu.
Jede Menge schlechte Presse
Brianna ist nicht die einzige Verklagte, die der RIAA eine Menge schlechter Presse bescheren könnte. USA Today sprach mit einer kalifornischen P2P-Nutzerin namens Ronna Leonard, die seit einem Unfall vor zwei Jahren arbeitsunfähig ist und kurz davor steht, ihren festen Wohnsitz zu verlieren. "Wenn sie mir die Klage zustellen wollen, sollten sie es bald tun, denn sonst ich weiß nicht, wie sie mich finden werden", so Leonard. Die Washington Post berichtet von Heather McGough, einer 23-jährigen, alleinerzeihenden Mutter aus Kalifornien, die zwei Kinder im Alter von zwei und fünf zu versorgen hat. McGough erklärt, ein Freund ihrer 14-jährigen Cousine habe Kazaa auf ihrem Rechner installiert. Dass sie damit auch zum Anbieter von Musik im weltgrößten P2P-Netz wurde, wusste sie nicht.
Die New York Daily News zitiert die 21-jährige Studentin Lauren Venezia mit den Worten: "Ich weiß nicht, wie viel Tragödien ich noch verkraften werde." Dem Artikel zufolge starb Laurens Vater erst kürzlich an Krebs. Die Associated Press spürte einen 71-jährigen Großvater auf, den die RIAA für die Tausch-Sünden seiner Enkelkinder in die Pflicht nehmen will. Die Los Angeles Times wusste von Patrick Little zu berichten, einen Studiomusiker, der sich sein täglich Brot mit Gitarrenaufnahmen verdient. IDG News wiederum verkündete, dass die Musikwirtschaft zwar von Musikern nimmt, ihnen aber nichts gibt - zumindest nicht in diesem Fall. Das durch Gerichtsverfahren und außergerichtliche Einigungen eingebrachte Geld soll nicht etwa den im einzelnen Fall betroffenen Musikern zukommen, sondern gleich wieder in neue Verfahren gesteckt werden.
Brianna Laharas neue Freunde
Nicht jedes dieser Verfahren wird so glücklich ausgehen wie das gegen Brianna Lahara. Die Schülerin hat im Internet bereits zahlreiche Unterstützer gefunden. So sammelt der Neuseeländer Richard Kell auf seiner Website Geld, um Birannas RIAA-Schulden zu begleichen. Bis zum Mittwoch Abend waren bereits knapp 1.600 Dollar zusammengekommen. Gleichzeitig hat die von Tauschbörsen-Firmen gegründete Lobbyorganisation P2P United angeboten, die Vergleichssumme komplett zu übernehmen. Online-Musikanbieter Musicrebellion.com schließlich nutzte die Gunst der Stunde für ein wenig Eigenwerbung und spendierte Brianna legale Downloads im Wert von 2.000 Dollar.
Eine unverhoffte Wendung hat die Klagekampagne am Dienstag auch für die RIAA genommen: Die Lobbyorganisation wurde in Kalifornien wegen unfairer und irreführender Geschäftspraktiken verklagt. Grund dafür ist ein Anfang der Woche vorgestelltes Amnestie-Programm, mit dem die Organisation Tauchbörsen-Nutzer zur Umkehr bewegen will (P2P heißt "Piracy to Pornography"). Wer sich zu seinen Download-Sünden bekennt, alle illegalen Kopien vernichtet und in Zukunft von P2P-Netzen Abstand nimmt, bekommt von der RIAA Straffreiheit zugesichert. Der Kläger Eric Parke argumentiert nun, dass die Lobbyorganisation gar keine Befugnisse hat, derartige Freibriefe auszustellen. Vertreten wird er vom Rechtsanwalt Ira Rothken, der bereits der Klage eines Konsumenten gegen kopiergeschützte Audio-CDs zum Erfolg verhalf (siehe auch: Trotz Kopierschutz anonym bleiben).