Temu: Chinas Handelsplattform erobert Europa und sorgt für Unmut
Handelsplattformen mit chinesischem Ursprung bieten Schnäppchen und sorgen für Unmut bei Händlern, die den Markt weniger agil bearbeiten können. Wie reagiert die Politik?
Wenn Chinas immer erfolgreichere Unternehmen in der westlichen Marktwirtschaft angekommen sind, kommt das den Verfechtern der westlichen Marktwirtschaft meist sehr ungelegen. Denn das Reich der Mitte verfügt heute über mehr kapitale Macht als der Westen.
Es zeigt sich immer wieder, dass China gedrängt wird, westlichen Vorgaben zu folgen, und sobald es dies erfolgreich tut, mit aller Macht bekämpft wird. Dieses Spiel läuft derzeit im Falle von TikTok in den USA und zeichnet sich in Europa bei den Handelsplattformen Temu, Shein und auch AliExpress ab.
Temu erobert trickreich und mit viel Kapital ausgestattet den Markt
Nach dem erfolgreichen Start in den USA ist Temu im vergangenen Jahr auch in Europa gestartet und scheint alle Möglichkeiten zu nutzen, die der Markt hier bietet. Dazu gehört auch das Ausnutzen bestehender Schlupflöcher und die Wucht der Lieferungen, die die zuständigen Kontrollinstanzen schlichtweg überfordern.
Nun versucht man, den Jugendschutz gegen Temu in Stellung zu bringen, weil man vermutet, dass Temu Jugendliche zum Kauf verführt. Dass Werbung oft verführerisch ist und bestimmte Zielgruppen wie eben Kinder und Jugendliche durch Werbung zu Käufen verleitet werden, die gesundheitsschädlich sein können, ist nicht neu. Ein Verbot solcher Werbung stößt in Deutschland jedoch auf heftigen Widerstand der Werbewirtschaft und konnte hierzulande bislang nicht realisiert werden.
Im Fall Temu entdeckt die Politik jetzt plötzlich gefährliche manipulative Kaufanreize, die man nicht dulden könne.
Dass ein Einkauf bei chinesischen Direktvermarktern für deutsche Kunden aufgrund der EU-Gesetzgebung mit Problemen verbunden sein kann, sollte inzwischen jedem Interessierten bekannt sein.
Zielgruppe von Temu sind die Betagten
Temu wird gerne als Gefahr für Jugendliche dargestellt, aber diese Altersgruppe ist mit der sogenannten Gamification von Computerspielen bestens vertraut und dürfte von den blinkenden Angeboten deutlich weniger beeindruckt sein als die Bevölkerungsschicht, für die das Internet noch Neuland sein dürfte.
Viele Jahre lang konnten mehr oder weniger nutzlose Produkte an der Haustür verkauft werden, wofür das Rückgaberecht eingeführt wurde, das in Deutschland bis heute im Online-Handel gilt. Die gleiche Zielgruppe wurde nach der Öffnung des Fernsehens vom Teleshopping angesprochen, das gerne durch Countdowns Zeitdruck aufbaut, um die Zuschauer zum Kauf zu animieren. Wenn Temu nun die bei Teleshopping-Sendern übliche Praxis auf seine Online-Plattform überträgt, scheint Gefahr im Verzug zu sein.
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Temu sorgt für Unmut beim deutschen Handel
Die Tatsache, dass die Handelsplattformen direkt an deutsche Endkunden liefern und damit den Zwischenhandel umgehen, der in der Regel mit einem Faktor von knapp vier kalkuliert und die chinesisch basierten Handelsplattformen leer ausgehen lässt, sorgt zunehmend für Unmut im deutschen Handel. Die Klagen über unfairen Handel und der entsprechende Druck auf die deutsche Politik nehmen zu.
Diese reagiert bereits mit der Drohung, die kritisierten Handelsplattformen stark zu regulieren. Die Staatssekretärin Christiane Rohleder wirft dem chinesischen Onlinehändler Temu Verstöße gegen das EU-Gesetz über digitale Dienste vor. Die Werbung von Temu sei "glücksspielartig" und biete "ständig neue Kaufanreize". Dies sei ein Verstoß gegen das Digitale Dienste Gesetz der EU.
Wie könnte man den Handelsplattformen mit chinesischen Wurzeln beikommen
Jahrelanges Training hat die chinesischen Händler gelehrt, sich im europäischen Gesetzesdschungel besser bewegen zu können als so mancher einheimischer Mittelständler. Zudem hat man aus den jahrelangen einschlägigen Anfeindungen gegen Amazon offensichtlich gelernt.
Für Temu, das seinen europäischen Sitz unter dem Namen Whaleco Technology Limited in Dublins St. Stephens Green registriert ist, ist aufgrund seiner aktuellen Größe jedoch weder die deutsche Bundesregierung noch die EU, sondern die irische Regierung zuständig. Und für die Iren gehört die Ansiedlung internationaler Player schon seit der Mitgliedschaft in der EU zu Beginn der 1970er-Jahre zum wichtigsten wirtschaftspolitischen Handwerkszeug.
Der deutsche Markt steht gegenüber Temu jedoch keinesfalls auf verlorenen Posten. Er muss sich nur auf die einschlägigen Vorschriften besinnen. Telepolis hat in diesem Zusammenhang Oliver Friedrichs den Geschäftsführer von trade-e-bility um Rat gefragt.
Wie kann der Import in der EU nicht marktfähiger Waren gestoppt werden?
Es kommt darauf an, die verantwortlichen Wirtschaftsakteure (Hersteller, Importeure, Händler, Bevollmächtigte) identifizierbar und dann auch verantwortlich für die importierten Produkte zu machen.
Hierzu könnte die Einführung eines hoheitlichen und öffentlich einsehbaren Registers nützlich sein, in dem Hersteller/Marken mit einer zustellfähigen und verantwortlichen Stelle innerhalb der EU registriert sein müssen. Es sollte dann den elektronischen Marktplätzen obliegen, die angebotenen Produkte im Register verpflichtend abzuprüfen.
Gleiches ist bereits z. B. für die WEEE-Register in Deutschland und Frankreich umgesetzt und funktioniert in der Praxis hervorragend. Mit der in der EU-ansässigen verantwortlichen Person sowie dem Register hätten die Behörden dann einen verantwortlichen Ansprechpartner für ggf. notwendige Schutzmaßnahmen.
Wie soll mit diesen Produkten dann umgegangen werden?
Sollten Nichtkonformitäten in Bezug auf anzuwendende Produkt-Compliance-Vorgaben an Produkten festgestellt werden, sollten die verantwortlichen Personen zur Nachbesserung oder ggf. auch zum Rückruf verpflichtet werden können. Dieses ist verständlicherweise dann nicht möglich, wenn der verantwortliche Hersteller seinen Sitz in Asien hat und keine Niederlassung oder keinen Bevollmächtigten innerhalb der EU vorweisen können.