Terror.net: "Online-Terrorismus" und die Medien

Terroristen und Militante benutzen vor allem zur Propaganda, Kommunikation und psychologischen Kriegsführung immer mehr das Internet - und gerade sollen mit dem Ende des Ultimatums von Bin Laden an Europa wieder Anschlagspläne in Foren diskutiert werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit selbstgemachten Bildern können Terroristen direkt über das Internet oder indirekt über Fernsehsender eine globale Öffentlichkeit erreichen. Damit wird die Gruppe selbst, so klein sie auch sein mag, bekannt, wenn sie eine "medienwürdige" Inszenierung wie spektakuläre Anschläge oder Enthauptungen ausgeführt hat. Zur Verschaltung zwischen den medialen Strategien der Terroristen und den Medien gehören natürlich auch diejenigen Berichte und Sendungen, die ihre Abscheu oder ihr Entsetzen äußern, aber dabei dennoch die Aufmerksamkeit mitsamt der Bilder und Informationen liefern.

Titel der Internet-Publikation "al-Battar" Nr. 10

Mit dem Internet haben Terroristen (freilich auch Aufständische und Freiheitskämpfer, aber auch andere unterdrückte oder militante Gruppen höchst unterschiedler Ideologie in autoritären Regimen und Demokratien) ein Medium, das vielen Zwecken dienen kann. Und natürlich haben terroristische Organisationen wie alle anderen auch die Möglichkeiten des Internet entdeckt und nutzen sie mittlerweile auch.

Gabriel Weimann, der Kommunikationswissenschaft an der Universität von Haifa lehrt und auch dem U.S. Institute of Peace angehört, verfolgt seit Jahren die Internetnutzung von Terroristen. Vor kurzem gab er wieder eine Einschätzung der vom "Cyberterrorismus" ausgehenden Gefahren bei verschiedenen Vorträgen. Wirklich Neues findet man darin nicht, immerhin versucht Weimann aber nicht, wie dies gerne gemacht wird, mit den Terroristen auch das Internet zu verteufeln. Durch die extensive Medien- und Internetnutzung, die derzeit von Terroristen und Aufständischen im Irak und in anderen Ländern betrieben wird, bleibt eine Analyse freilich interessant.

Für Weimann ist "der Cyberspace zu einem Konfliktfeld, zu einer globalen Arena" geworden. So hätten 1998 die Hälfte der 30 vom US-Außenministerium als "ausländische terroristische Organsiationen" eingestuften Gruppen Websites betrieben. 2004 seien bereits alle der 37 auf der Liste geführten Terrororganisationen in irgendeiner Form im Internet präsent. So wie insgesamt das Web in rasanter Geschwindigkeit größer wurde, haben auch die von der US-Regierung so eingestuften Terrororganisationen ihre Seiten vermehr, nach Weiman in den letzten Jahren um 571 %, wobei der Ausgangspunkt relativ niedrig war. Webseiten werden im Zeichen der Globalisierung auch von vielen lokalen Konflikten oft in unterschiedlichen Sprachen und manchmal auch für unterschiedliche Altersgruppen, beispielsweise auch für Kinder, angeboten.

Man kann in einem Internetcafe in London sitzen, einen Server in Südafrika nutzen und Mitteilungen nach Nordamerika schicken, ohne dass man dabei zurückverfolgt werden kann.

Gabriel Weimann

Mit dem Internet agieren Terrorgruppen nicht mehr nur lokal oder stecken in ihren Höhlen oder Unterschlüpfen in unwegsamen Gelände fest. So sagt Reuben Paz vom Project for the Research of Islamist Movements (PRISM), dass das Internet "für al-Qaida und seine Unterstützer zu einem guten Ersatz für den Verlust ihrer Lager und ihres Territoriums in Afghanistan geworden ist, von wo sie ganz bequem operieren konnten": Der Krieg gegen die Taliban hat nach Ansicht von Paz die Globalisierung des islamistischen Terrorismus überhaupt erst wirklich in Gang gebracht. Jetzt gäbe es al-Qaida als richtige Organisation zwar gar nicht mehr, aber die Lücke sei durch Websites geschlossen worden.

Die Websites würden, so Paz, vermutlich vom NSA immer wieder vom Netz genommen, dann aber erneut an anderer Stelle in einem Katz-und-Maus-Spiel wieder eingerichtet werden. Auf einer Website (7hj.7hj.com) habe man einen neuen Weg eingeschlagen und Menschen, die im Internet für die muslimische Sache kämpfen wollen, Einweisungen geboten, wie sie hacken oder Websites lahmlegen können. Zudem wäre es eine Datenbank zur Verbreitung von Computerviren. Gerade für jugendliche Muslime, die in den westlichen Ländern leben, wäre die Vorstellung, als Hacker für den Dschihad zu kämpfen, eine große Verführung. Sie müssten nicht nach Afghanistan oder in den Irak gehen, sondern könnten sich bequem von Zuhause am Kampf beteiligen.

Psychologische Kriegsführung

Genutzt wird das Internet zunächst aber aus denselben Gründen, die sich auch bei den übrigen Menschen und Organisationen finden. Es ist leicht und ohne großes Wissen zugänglich und bedienbar, es ist billig und schnell. Man kann alles Mögliche von Texten über Filme oder Audiodateien bis hin zu interaktiven Inhalten ins Netz stellen und zum Herunterladen anbieten, wodurch sich die Materialien viral weltweit verbreiten können. Zudem greifen die Massenmedien bei Bedarf auch gerne auf Internetinhalte zurück. Mit gewissen Grundkenntnissen lässt sich auch anonym kommunizieren, kann man Kontrollmaßnahmen in einem Land umgehen oder auch Inhalte heimlich auf geknackten Servern eine Zeitland unterbringen, ohne Gefahr zu laufen, erwischt zu werden. Internetcafes und kostenlose Provider für Mail und Webspace bieten beispielsweise die Möglichkeit, weitgehend ungefährdet seinen Internetaktivitäten nachgehen zu können. Terrorismus im Internet ist für Weimann daher ein sehr "dynamisches Phänomen":

Websites tauchen plötzlich auf, verändern oft ihre Formate und verschwinden dann wieder - oder scheinen in vielen Fällen nur zu verschwinden, weil nur ihre Internetadresse, aber nicht ihr Inhalt verändert wird.

Das Internet dient vor allem als Propagandainstrument, militärisch könnte man auch sagen: als Mittel zur psychologischen Kriegsführung. Hier stellen sich die Gruppen vor, werben für ihre Ziele, begründen und rechtfertigen die eingesetzten Mittel, informieren aus ihrer Sicht oder geben Erklärungen ab. Aber sie können natürlich auch Falschinformationen verbreiten oder Gerüchte ausstreuen. So können sie beispielsweise, wie Weimann anführt, Angst vor den möglichen Folgen von cyberterroristischen Anschlägen ("cyberfear") schüren. Gerüchte oder Desinformationen über angeblich geplante Anschläge können dann tatsächlich zu Warnungen führen oder werden mitunter auch von Geheimdiensten und Regierungen aufgegriffen, um beispielsweise ihre Sicherheitspolitik durchzusetzen.

Eben warnt Aaron Weisbud, der die Website Internet Haganah betreibt und als eine Art Online-Miliz die Interaktivitäten von islamistischen Gruppen verfolgt (Die Online-Miliz), dass es Diskussion in arabaisch-sprachigen Internetforen über einen nahe bevorstehenden Anschlag gebe, der möglicherweise in Italien stattfinden soll. Solche Foren sollen, will Weisbud wissen, gelegentlich dazu dienen, Anweisungen von oben nach unten weiter zu geben. Weisbud arbeitet angeblich im Rahmen dieser Untersuchung mit einer anderen Antiterror-Gruppe zusammen.

Ein Teilnehmer an den Forumsdiskussionen sei bekannt als jemand, der glaubwürdige Informationen weiter gibt. Er soll, was nicht üblich sei, eine alte Rede von Bin Laden gepostet und mit der Bemerkung versehen haben: "a day we shall never forget." Das sei ein schlechtes Zeichen, zumal wenn man noch den Kontext berücksichtigt, da Bin Laden Europa ein Ultimatum gestellt habe, das heute ausläuft. Über dieses Ultimatum habe es in den Foren viele Diskussionen gegeben. Zudem sei Italien von bin Laden besonders kritisiert worden, da die Regierung fest an der Seite von Bush im Irak steht.

Weisbud warnt allerdings - ganz im Gegensatz zum US-Heimatschutzministerium mit der vor kurzem ausgegebenen Warnung vor einem großen Anschlag in den USA (Osama ist wieder da!) -, dass es sich auch nur um Gerüchte handeln könne. In den islamistischen Kreisen würden sich Manche auch damit interessant machen wollen.

Seitdem Terrororganisationen oder Guerilla-Gruppen die Macht der Bilder als primäre Waffen zum Erreichen der Öffentlichkeit erkannt haben, werden Aktionen und Anschläge auch live gefilmt oder sogar für die Kamera inszeniert, wie dies der Fall bei den jüngsten Enthauptungen und Morden ist. Damit angefangen dürften tschetschenische Rebellen/Terroristen haben, die auch schon einige Jahre lang eine Website besitzen, die "professionell" betreut und auch auf englisch angeboten wird, was Vor- und Nachteile hat. Webseiten, die beispielsweise nur in arabischer Sprache sind, bleiben weitgehend auf die arabische Region beschränkt und sind so wesentlich stärker auf Vermittlung durch andere Medien angewiesen, um eine globale Öffentlichkeit zu erreichen. Andererseits können Gruppen so auch ein wenig unbeobachteter - selbst was die ausländischen, oft nicht mit genug Übersetzern ausgestatteten Geheimdienste betrifft - Informationen austauschen.

Anweisungen für den Kampf

Weimann nennt neben Propaganda und psychologischer Kriegsführung noch eine ganze Reihe anderer Nutzungen des Internet. So wird es zum "Datamining" benutzt, um öffentlich zugängliche Informationen für die Planung von Anschlägen zu sammeln. Man kann über das Internet Geld von Unterstützern sammeln, neue Mitglieder und Sympathisanten rekrutieren und mobilisieren. Mehrere Terrororganisationen können sich unabhängig vom Ort vernetzen. Oder es können Informationen oder Gebrauchsanweisungen beispielsweise zur Herstellung von Bomben, zur Benutzung von Waffen oder zur Gründung neuer Gruppen bereitgestellt und ausgetauscht werden.

Online-Unterrichtung im Waffengebrauch

So gibt es beispielsweise in der 10. Ausgabe der über das Internet im PDF- oder Wordformat verbreiteten Zeitung "Mu'askar al Battar" (Battar-Armee) vom Mai 2004 detaillierte Tipps für die Durchführung von geheim und öffentlich durchgeführten Entführungen. Diese wurden dann tatsächlich vermehrt ausgeübt. Versichert wird, dass Geiselnahme durchaus eine erfolgreiche Strategie sein kann, um Regierungen zu erpressen oder Konflikte zwischen einer Regierung und anderen Ländern zu erzeugen, aus denen die Gefangenen stammen, um wichtige Informationen von den Gefangenen zu erhalten, um auf Themen aufmerksam zu machen oder auch um Lösegeld für weitere Aktivitäten der Organisation zu erhalten. Am Schluss dieser Publikation werden Sympathisanten aufgefordert, sich dem Dschihad anzuschließen, die beschriebenen körperlichen Übungen zu machen, sich eine Waffe wie eine Kalaschnikov zu beschaffen und damit zu üben sowie neue Zellen zu gründen, um gegen die Ungläubigen zu kämpfen.

Al Qaeda combines multimedia propaganda and advanced communication technologies to create a very sophisticated form of psychological warfare. Osama bin Laden and his followers concentrate their propaganda efforts on the Internet, where visitors to al Qaeda's numerous websites and to the sites of sympathetic, aboveground organizations can access prerecorded videotapes and audiotapes, CD-ROMs, DVDs, photographs, and announcements. Despite the massive onslaught it has sustained in recent years-the arrests and deaths of many of its members, the dismantling of its operational bases and training camps in Afghanistan, and the smashing of its bases in the Far East-al Qaeda has been able to conduct an impressive scare campaign. Since September 11, 2001, the organization has festooned its websites with a string of announcements of an impending "large attack" on U.S. targets. These warnings have received considerable media coverage, which has helped to generate a widespread sense of dread and insecurity among audiences throughout the world and especially within the United States.

Gabriel Weimann

Planung von Anschlägen?

Ob allerdings tatsächlich über das Internet auch wirklich Anschläge geplant und Aktivitäten koordiniert werden, wie Weimann schreibt, dürfte eher umstritten bleiben. Auch Terroristen wissen, dass Internetaktivitäten leicht entdeckt werden können und dürften daher in aller Regel die tatsächliche Organisation und Koordination der Gruppen heimlich und ohne Benutzung von Internet oder (Mobil)Telefonen durchführen. Dass al-Qaida-Mitglieder ihre Botschaften mit Steganografie verschlüsseln, wurde zwar immer einmal wieder geäußert, aber noch nicht nachgewiesen. Möglicherweise werden Mitteilungen zum Start von geplanten Aktivitäten über das Internet verbreitet, wie das Mohammed Atta vor dem 11.9. getan haben soll, indem er in einer Email schrieb, dass das Semester in drei Wochen beginne und man 19 Bestätigungen für drei Fakultäten erhalten habe.

Weiterhin führt Weimann an, dass sich das Internet vom "Online-Terrorismus" auch zum Cyberwar und Cyberterrorismus nutzen lasse, aber auch davon ist bislang noch nichts zu bemerken, sieht man von Hacks in Server ab, um dort Dateien zu hinterlegen, oder auch von DoS-Angriffen. Weimann sagt aber selbst, dass dies besonders die Medien und öffentliche Fantasie anzusprechen scheine, weil sich dabei die Angst vor der Technik und die vor der terroristischen Gewalt verbindet.

Um den Missbrauch des Internet einzuschränken, schlägt Weimann einen "optimalen Kompromiss" vor, der auf der Akzeptanz einiger Risiken und einiger Einschränkungen der Freiheiten beruhe. Man dürfe aber, wenn man das Internet zu sehr als Schlachtfeld begreift, die Möglichkeiten nicht verbauen, die das Internet als Ort eines gewaltfreien Austausches oder gar der Konfliktlösung biete. Trotz der Mahnung zur Zurückhaltung fällt freilich auf, dass auch Weimann nur immer auf die Seite der Terroristen sieht, aber nicht mit einbezieht, dass solche asymmetrischen Konflikte ihre Wurzeln außerhalb des Internet haben und die Kämpfe zwischen Terroristen und der Staatsmacht, eingebettet in die globale Öffentlichkeit über die Medien, von beiden Seiten strukturiert werden. Strategische Interessen gibt es auf beiden Seiten, die sich weder mit den Interessen der betroffenen Menschen noch mit denen einer auf Frieden ausgerichteten Weltgemeinschaft decken müssen.

Komplizenschaften, denen sich kaum entrinnen lässt

Und natürlich spielt nicht nur die direkte und indirekte Benutzung der Medien durch Terroristen eine Rolle bei der "psychologischen Kriegsführung", sondern auch die Interessen von Journalisten und Medien, die sich mit einer Berichterstattung beispielsweise profilieren oder für Quote sorgen wollen. Vertrackt ist das wohl besonders dann, wenn angeblich eine Position bezogen wird, die außerhalb des Schlachtfeldes steht und vor allem moralisch agiert, als würde man mit der Nennung des Bösen mit Unschuld gewaschen.

Ein Beispiel dafür ist der Panorama-Beitrag Mord vor laufender Kamera - Der Medienkrieg islamistischer Terroristen. Schon Vorankündigung hat man natürlich ein Bild aus dem Video gezeigt, auf dem die Entführer das Urteil über Nicholas Berg verkünden und diesen danach köpfen.

Ein Gefangener wird im Irak mit einem Säbel geköpft - und das Ganze wird gefilmt. Mit diesen unfassbaren Bildern haben islamistische Terroristen die Welt vor einigen Monaten geschockt. Doch mittlerweile vergeht fast kein Tag, an dem nicht neue Videos über Attentate oder Hinrichtungen auftauchen. Die Propaganda der Macher wird immer professioneller: der Selbstmord-Attentäter hat mittlerweile einen Kameramann an seiner Seite, der nicht nur den Anschlag filmt, sondern zuvor bereits den Abschied von seinen Angehörigen aufgenommen hat.

Aus dem Ankündigungstext

Die Sendung will vermutlich zeigen, wie geschickt die Terroristen die Medien und vor allem das Internet nutzen. Das sei ein Riesenproblem: "Denn die mediale Gewaltflut lässt sich technisch kaum stoppen, obwohl Geheimdienste mit allen Mitteln daran arbeiten. PANORAMA über eine neue Front: Terror im Internet." Vergessen wird dabei natürlich, dass eben auch die Massenmedien zur Verbreitung der terroristischen Botschaften beitragen und gerade das Fernsehen noch immer die größte Öffentlichkeit für die beschworene "mediale Gewaltflut" schafft. Wir wurden natürlich auch von solchen unfassbaren Bildern geschockt, auf denen US-Soldaten sich noch freudig wie nach einer guten vollbrachten Tat neben oder mit zu Tode gefolterten Gefangenen in Szene setzen. Das ist nicht weniger "unfassbar" als eine kaltblütige Exekution und wurde auch von einem Kollegen fotografiert.

Vielleicht wäre es ehrlicher, wenn man schon einen Film über die Filme macht, die ja in die Öffentlichkeit gelangen sollen, dann auch die verzwickte Situation mit zu thematisieren. Schon durch die Thematisierung und Beschreibung, noch viel mehr natürlich durch Ausschnitte von Videos im Bildmedium Fernsehen wird man zum Mitverbreiter der Botschaft, unabhängig davon, welche Stellung man bezieht. Das eben ist das Hinterhältige in der Medienstrategie der Terroristen, was allerdings immer schon dem Terroranschlag als einer "Propaganda der Tat" zugrundelag. Entziehen könnten sich Medien ihrer Instrumentalisierung als Wirt für den Terror-Virus, für das auf die Aufmerksamkeit zugeschnittene Mem, nur durch Schweigen. Doch hier wie so oft gilt, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt, das aber zu verschleiern, die Dinge auf keinen Fall besser macht.