Terroristen mit Laptop, Emails und Handys

Die muslimischen Selbstmordattentäter, die das indische Parlament angegriffen haben, haben auf dem Computer eine virtuellen Plan des Gebäudes erstellt

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Der Konflikt zwischen den Atommächten Indien und Pakistan spitzt sich nach dem Attentat auf das indische Parlament in Neu-Dehli am 13. Dezember zu. Indien macht Terroristen/Freiheitskämpfer aus Kaschmir, die von Pakistan aus operieren sollen, dafür verantwortlich. Beide Seiten haben offenbar an der Grenze Soldaten aufmarschieren lassen. Noch will der indische Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee eine friedliche Lösung erreichen, schließt aber militärische Aktionen nicht aus. Nach der US-Strategie wäre ein Angriff auf Pakistan, das die muslimischen Terrororganisationen Lashkar-e-Taiba und Jaish-e-Mohammed aus Kaschmir unterstützen soll, im Sinne der Selbstverteidigung durchaus legitim.

Schon im Oktober kamen bei einem Anschlag auf das Regionalparlament von Kaschmir in Srinagar 30 Menschen ums Leben. Wegen des Kriegs in Afghanistan rückte der Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir in den Hintergrund, der allerdings den von den USA geführten Krieg gegen den Terror auch in eine neue Dimension überführen könnte. Schließlich sind beide Staaten ausgerüstet mit Nuklearwaffen und haben in ihrer relativ jungen Geschichte schon mehr als einen Krieg ausgefochten. Der indische Innenminister Advani versicherte ganz im Stil der neuen Rhetorik, dass der Kampf der indischen Regierung gegen den Terrorismus keinen Konflikt zwischen Hindus und Muslimen darstelle, sondern ein Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei, Demokratie und Terrorismus sei. Die beschuldigten Befreiungsbewegungen aus Kaschmir leugnen jede Beteiligung und unterstellen in ebenso altbekannter Manier, dass die indische Regierung den Anschlag mit inszeniert habe, um gegen die Widerstandsbewegung in Kaschmir besser vorgehen zu können.

Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan schwelt seit 1947, als die beiden Staaten begründet wurden. Dabei teilte man das überwiegend von Muslimen bewohnte, einst unabhängige Kaschmir zwischen den beiden Staaten auf. Indien, das zwei Drittel des Gebiets kontrolliert, beansprucht das gesamte Kaschmir, ein großer Teil der muslimischen Bevölkerung will sich jedoch von Indien lösen. Schon 1947 gab es wegen des Kaschmirkonflikts einen Krieg zwischen Pakistan und Indien. 1949 wurde nach dem Ende des Kriegs eine Waffenstillstandslinie als Grenze gezogen, die Line of Control (LoC). 1965 und 1971 kam es zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen. Danach entstanden die Widerstandbewegungen, die von Indien mit aller Härte unterdrückt wurden, was wiederum zur Verstärkung der terroristischen Aktivitäten führte. Zu den Terroristen oder Freiheitskämpfern gehören nicht nur Menschen aus Kaschmir, sondern ihnen haben sich auch Militante aus Pakistan und Afghanistan angeschlossen. 1999 fand der bislang letzte größere Konflikt in dem Pulverfass statt.

Pakistan hat Indien Mithilfe bei der Aufklärung des jüngsten Terroranschlags angeboten, führt aber an, dass Indien bislang noch keine Beweise für die Urheberschaft von Jaish-i-Mohammad und Lashkar-i-Tayyaba vorgelegt habe, die die pakistanische Regierung als Befreiungsbewegungen betrachtet und politisch unterstützt. Pakistan verlangt überdies, den Begriff des Terrorismus genauer zu definieren.

Am Donnerstag letzter Woche fuhren die fünf Terroristen mit einem gestohlenen Wagen vor das Parlamentsgebäude in Neu-Delhi. Sie drangen ohne Probleme durch den Haupteingang ein und begannen wild um sich zu schießen. Insgesamt töteten sie 8 Menschen, es gab viele Verletzte, schließlich wurden auch die mit Sprengstoff ausgerüsteten Attentäter erschossen. Vermutlich war Mohammed, der Anführer des Selbstmordkommandos, bereits an der Entführung der indischen Passagiermaschine im Jahr 1999 beteiligt. Das Flugzeug landete damals in Afghanistan. Vermutet wurde, dass die Taliban die Entführer unterstützt hatten. Nachdem die indische Regierung drei Kaschmir-Rebellen freigelassen und zum Flugplatz in Kandahar gebracht hat, verschwanden diese mit den Entführern in einem Jeep vermutlich nach Pakistan (Der erste digitale Schläfer?). Masood Azhar, einer der Freigepressten und ein Freund von Mullah Omar, gründete dann die Organisation Jaish-e-Mohammad, die nach Vermutungen der indischen Behörden hinter dem Anschlag steckt.

Nach dem Anschlag auf das Parlamentsgebäude wurden vier Verdächtige festgenommen, die die Terroristen unterstützt haben sollen. Bei Mohammad Afzal, einem der Verdächtigen, wurde auch ein Laptop gefunden, den Mohammad ihm am Morgen vor dem Anschlag zusammen mit Geld übergeben hatte. Er sollte den Computer, wie die indische Polizei mitteilt, an Ghazi Baba, den höchsten Kommandanten von Jaish-e-Mohammad, übergeben.

Die zahlreichen Handy-Gespräche, die die fünf Terroristen geführt hatten, konnten noch nicht ausgewertet werden, doch auf dem Laptop hat die Polizei nach der India Times neben Scans von Ausweisen und einem Parkberechtigungsschein für den Parkplatz des Parlaments auch 21 Bilder vom Parlamentsgebäude gefunden. Die Bilder stammen offenbar aus Fernsehsendungen und wurden verwendet, um eine "virtuelle Topografie" des Gebäudes anzufertigen, so dass die Terroristen eine Art Karte zur Orientierung hatten. "Der Laptop wurden von den Terroristen verwendet, um verschiedene Personalausweise anzufertigen. Die Bilder vom Parlamentsgebäude waren nebeneinander angeordnet, um die Karte vom Parlament studieren zu können", sagte Gupta, der Leiter des Spezialkommandos der Polizei.

Vermutet wird, da man in den Taschen der Terroristen große Mengen an Trockenfrüchten fand, dass sie sich für einige Tage im Gebäude verschanzen und Abgeordnete als Geiseln nehmen wollten. Der Plan ging schief, nachdem der Anführer Mohammed oder "Burger" von Sicherheitskräften getötet wurde. An seinem Körper trug dieser Sprengstoff. Die übrigen vier Terroristen gerieten in Panik und wurden gleichfalls erschossen.

Die Polizei nimmt an, dass Mohammed mit seinen Komplizen über Email in ständigem Kontakt stand: "Er könnte der Hauptempfänger von verschlüsselten Sendungen von ISI (dem pakistanischen Geheimdienst) und von Jaish- und Lashkar- Komandeuren gewesen sein", behauptet die Polizei.

Die Sicherstellung des Laptop beweise, dass islamische Fundamentalisten zur Kommunikation Emails verwenden und sich auf Computer stützen. Das habe auch der Anschlag auf das Red Fort im Dezember des letzten Jahres gezeigt, das vom Militär und dem Geheimdienst genutzt wird. Einer der Angeklagten soll ein Computerinstitut in Okhla eröffnet haben, um unauffälliger zur Kommunikation mit Terroristen in anderen Ländern verschlüsselte Mails gebrauchen zu können. Emails seien, so ein Polizist, mittlerweile deswegen zur sichersten und gebräuchlichsten Kommunikationsform für Terroristen geworden: "Auch die Kommunikation mit Satellitentelefonen kann man abhören, aber nicht Emails."