Terrorwarnungen, Taktik und "psychologische Kriegsführung"
Bundesinnenminister de Maizière will noch keine Entwarnung geben und steckt in der mit Terrorwarnungen einhergehenden Falle fest
Bundesinnenminister de Maizière hatte Ende November aufgrund angeblich guter Informationen vor Terroranschlägen gewarnt und dabei auch gesagt, eine Möglichkeit sei ein Anschlag im Stil von Mumbai, wo mehrere Selbstmordterroristen schwer bewaffnet wild herumschießen und Geiseln nehmen. Die Polizeipräsenz wurde entsprechend erhöht, damit die Menschen sehen, es wird etwas für ihren Schutz gemacht, aber gleichzeitig wird damit auch das Gefühl der Bedrohung verstärkt.
Geschehen ist bislang nichts, offenbar gibt es auch keine neuen Hinweise. Aber fängt man einmal mit einer Terrorwarnung, ist es schwer, sie wieder zurückzunehmen und zu erklären, dass die Lage nun wieder sicher ist. Schließlich lässt sich die abstrakte Möglichkeit nicht ausschließen, dass irgendwann und irgendwo doch ein Anschlag geschehen könnte. Würde man die Warnung zurücknehmen und es ereignet sich ein Anschlag, würden schnell die Vorwürfe laut. Nachdem de Maizière, aus welchen Gründen auch immer, bis zum November vermieden hat, die Terrorhysterie zu pflegen, scheint er nun in der selbst aufgestellten Falle gefangen zu sein.
Dem Spiegel sagte er, dass er die Terrorwarnung weiter aufrecht erhalten will: "Noch gibt es keinen Grund zur Entwarnung, und es wäre auch taktisch falsch, jetzt einen Zeitpunkt anzukündigen." Und er lobt sich, weil nach Umfragen angeblich die Menschen in Deutschland sich sicherer als zuvor gefühlt hätten – nachdem de Maizière sie erst einmal mit seiner Warnung ("Die Innenminister bitten alle Bürger, ihr Leben unverändert und ohne Angst weiterzuführen") aufgeschreckt hatte: "Das ist ein schöner Sieg über die psychologische Kriegführung der Terroristen", sagte er jetzt und vermied tunlich, selbst von der eigenen psychologischen und medialen Strategie zu sprechen, denn auch mit Terrorwarnungen, Polizeipräsenz und Ausbau der Überwachung und Kontrollen macht man Politik (Terrorwarnung: Alles höchst verdächtig!).
Dass de Maizière die Warnung einen Tag vor der Innenministerkonferenz ausgesprochen hatte, dürfte auch vor allem taktische Gründe gehabt haben. Dass nun die Vorratsdatenspeicherung wieder gefordert wird oder de Maizière die umstrittene Fusion des BKA mit der Bundespolizei in Angriff nehmen will, hat die Terrorwarnung zumindest erleichtert, wenn sie es nicht auch mit ermöglichen soll.
Jetzt einen Zeitpunkt für die Beendigung der Terrorwarnung anzukündigen, wäre allerdings taktisch immer falsch – abefr nicht aus Gründen der psychologischen Kriegsführung gegen Terroristen. Das zeigt auch ein Blick in die USA und nach Großbritannien, die beide Terrorwarnsysteme eingeführt haben, angeblich um die Bevölkerung zu informieren und für erhöhte Bereitschaft und Aufmerksamkeit sorgen sollen. Symptomatisch ist bei beiden Warnsystemen, dass eine Rückkehr zur Normalität nicht vorgesehen ist, sondern nur zu einem "geringen" Risiko (low). In Großbritannien soll dies immerhin bedeuten, dass ein Anschlag unwahrscheinlich ist.
Mit einem Präsidentenerlass (HSPD3) wurde in den USA im März 2002 die Einführung des Warncodes angeordnet. Die Begründung weist darauf hin, dass man auf lange Dauer mit möglichen Anschlägen rechnete oder man sich politisch auf den propagierten langen Krieg gegen den Terror einrichtete:
Die Welt hat sich seit dem 11. September 2001 verändert. Wir bleiben eine Nation, die von Terroranschlägen bedroht ist, und werden für die vorhersehbare Zukunft gefährdet bleiben. Bei allen Bedohungssituationen müssen wir wachsam, vorbereitet und bereit sein, Terroranschläge abzuwehren.
Eingeführt wurde also ein System, das eine permanente Bedrohung manifest machen und für entsprechendes Verhalten sorgen soll. In den USA wurde das Homeland Security Advisory System 2002 eingeführt, in Großbritannien 2006. Seitdem gibt es in beiden Ländern zwar hin und wieder einmal Ausschläge nach oben, unter die mittlere oder gar auf die niedrigste Warnstufe hat man es aber niemals gewagt zu gehen oder hielt man dies politisch für nicht opportun.
Für die USA wird derzeit durch ein erhöhtes oder ernstes Terrorrisiko und für nationale sowie internationale Flüge ein hohes Risiko angezeigt, in Großbritannien wird ebenfalls schon seit Januar 2010 ein hohes Risiko (severe) für einen islamistischen Anschlag gemeldet, auch die Möglichkeit eines mit Nordirland verbundenen Terroranschlags wurde nun seit September auf hoch für Nordirland und auf ernsthaft für Großbritannien gesetzt. Zudem läuft in Großbritannien die Kampagne: If you suspect it, report it, was auch de Maizière und andere deutsche Innenminister den Deutschen empfohlen haben.