Thanks for not shooting me

Michael Moores "Bowling for Columbine" ist Aufklärungsfilm und Satire zugleich: erfolgversprechendes infotainment

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bowling for Columbine ist drauf und dran ein Riesenerfolg zu werden. Angesichts des drohenden Irak-Krieges und der zunehmend amerikakritischen Stimmung ist dem Film sein Publikum schon sicher. Und obwohl das nicht ausdrückliches Thema ist, stellt Michael Moore die Beziehung zur US-amerikanischen Politik immer wieder her (One Moore stupid man).

Michael Moore mit Arbeitsausrüstung

Der Ausgangspunkt ist das Massaker von Littleton/Colorado, wo im Jahr 1999 an der Columbine High School zwei Schüler einige Mitschüler und Lehrer und schließlich sich selbst töteten (Medien und Gewalt von Schülern). Dass die beiden am besagten Morgen auf der Bowling-Bahn waren (man konnte Bowling als Sportunterricht belegen!), bringt Moore dazu zu fragen, ob Bowling vielleicht der Anlass für die Gewalttat gewesen sein könnte. Natürlich meint er das nicht ernst und weist damit nur auf die Lächerlichkeit der eindimensionalen Erklärungsversuche konservativer Politiker und Medien hin, die sich schnell auf Gewaltvideos/-spiele oder Rockmusik konzentrierten (Ist DOOM schuld am Schulmassaker in Littleton?). Und auf die erstaunliche Blindheit in diesen Versuchen, das Naheliegende zu übersehen: dass es etwas mit dem Waffenkult Amerikas zu tun haben könnte.

Die Protagonisten dieses Kults hat Moore für seinen Film befragt: Schüler der Columbine High School, Rüstungsmanager und andere waffenvernarrte Patrioten. Man fragt sich oft, wie es Michael Moore gelungen ist, diese Menschen zu so gnadenloser Offenheit über ihr Verhältnis zu Waffen zu bewegen, aber scheinbar verschaffen ihnen diese Fragen kein Unbehagen. Das Unbehagen entsteht angesichts dieser perversen Normalität eher beim Zusehen.

Doch nicht die Waffen selbst sind das Problem, findet Moore im Lauf des Films heraus. Umbringen tun sich die Menschen.

"I'd like to say guns don't kill people, Americans kill people. Because I think that's what's really at the core of this."

Ziemlich schnell kommt Moore auf das eigentliche Problem, das hinter dem Hang der Amerikaner zur mutmaßlichen Problemlösung durch Waffen steckt: Angst, ob vor Fremdem oder letztlich vor sich selbst, ist der tiefere Grund, den Moore in der amerikanischen Kultur ausmacht. Im Schnelldurchgang geht es im South Park Stil (South Park Co-Autor Matt Stone stammt übrigens aus der Gegend von Littleton und wird im Film dazu befragt) durch die amerikanische Geschichte, die in Moores Sicht vor allem eine Geschichte der Angst ist, der mit Gewalt begegnet wird. Die Menschen in Amerika haben den Bezug zu ihren Mitmenschen verloren und kompensieren diesen Verlust durch gewalttätige Unterdrückung. Dies spiegelt sich für Moore im Sozialsystem oder in der Außenpolitik der USA wieder.

Michael Moore kauft Munition in einem Wal Mart

Verstärkt wird die Verankerung von Gewalt und Stereotypen der Angst noch durch die Medien. In der äußerst erfolgreichen Reality-TV-Sendung COPS werden (vorwiegend schwarze) Verbrecher vor der Kamera gejagt und schließlich gestellt. In der Relation zur tatsächlichen Quote an Gewaltverbrechen, sind diese im Fernsehen deutlich überrepräsentiert. Das trifft nicht nur auf diesen fragwürdigen Bereich der Unterhaltung, sondern auch auf alle Informationssendungen und die Nachrichten selbst zu.

Die Fokussierung der Medien auf das gewaltsame Einzelereignis verzerrt die Wahrnehmung der meisten Amerikaner entsprechend und führt zu einer Atmosphäre der Angst, so Moore. An zwei Stellen im Film wird ein Zusammenhang zwischen dieser Angst und der Ökonomie hergestellt. So sind es zum einen angeblich wirtschaftliche Zwänge, die TV-Produzenten dazu bringen, sich dem Zwang zur Gewaltdarstellung zu unterwerfen - denn Gewalt bedeutet Action, und nur die sei so inszenierbar, dass sie Zuschauer bringt. Zum anderen sieht einer der von Michael Moore Befragten das kontinuierliche Schüren von Ängsten als Voraussetzung für das Schaffen ständig neuer Märkte an.

Aber diese Idee wird in "Bowling for Columbine" nicht weiter verfolgt, denn Michael Moores Erklärungsmodell bleibt schematisch. Der Film ist nämlich nicht nur eine Dokumentation, sondern auch eine Satire, eigentlich eine seltsame Mischung aus Aufklärungsfilm und Satire. So ist es schon ziemlich witzig, wenn die durchgedrehten Waffennarren frei von der Leber berichten, eine Kontrolle der Abgabe von Nuklearwaffen könne möglicherweise schon sinnvoll sein, denn es gebe ja doch ein paar Spinner. In dem Stil reden die meisten Waffen-Befürworter, und der Filmschnitt tut sein übriges.

Man kann sich leicht vorstellen, dass das nur eine wenig repräsentative Auswahl darstellt, aber diesen Anspruch erhebt Moore wohl auch nicht. Er will vor allem unterhalten und seine Message rüberbringen. Beides ist ihm großartig gelungen. Wenn einem auch manchmal das Lachen vergeht, treibt Michael Moores Humor meistens die Situation so auf die Spitze, dass es etwas Befreiendes bekommt. So, wenn er zum Abschied von einem (kanadischen) Waffenbesitzer, in dessen nicht abgesperrtes Haus er eingedrungen ist, sagt: "Thanks for not shooting me. "