The "New" New Economy in Second Life?
Was ist dran an den Erfolgsmeldungen über die angeblich boomende neue Ökonomie in der virtuellen Parallelwelt
Am 28. Januar 2007 wurde für Second Life die Schwelle von drei Millionen angemeldeten Usern überschritten - nach wie vor mit steigender Tendenz. Es sind hohe Anstiege bei Accountzahlen, aktiven Usern, Investitionen der Spieler als auch bei Landpreisen zu beobachten (genauere Zahlen gibt es auf der offiziellen LindenLab-Site). Nachdem erst Mitte Dezember 2006 die 2 Millionen-Besucher-Schwelle passiert wurde, benötigte die virtuelle Umgebung - die vom amerikanischen Business-Magazin Fortune als Mischung aus Grand Theft Auto und Kino-Kassenschlager Herr der Ringe bezeichnet wurde - gerade mal knapp sechs Wochen, um eine weitere Million Besucher zu verzeichnen. Bis zur vierten Million wird es wahrscheinlich noch schneller gehen, denn am 4. Februar 2007 waren bereits 3.297.492 "Residents" dort unterwegs.
Anscheinend ist laut offizieller Linden-Statistiken auch die Zahl derjenigen User, die finanziellen, in veritable US-Dollar umrechenbaren Profit machen in der virtuellen Welt, deutlich angestiegen (17.327 Bewohner im Dezember 2006 gegenüber 8.234 Bewohnern im Juli 2006).
Letzte Erfolgsmeldung sind stark ansteigende Landpreise, welche wohl auf die steigende Nachfrage und die zunehmende Knappheit von Second Life-Land zurückzuführen sind (Dezember 2006: 9.84 US $ pro m2 gegenüber dem bisherigen Durchschnittspreis im Januar 2007 von US $ 12.20 pro m2). Es gibt also Erfolgsmeldungen allerorten. Doch was ist dran an solcher Zahlenhuberei und wie funktioniert die virtuelle Ökonomie?
Zunächst verfügt Second Life über eine eigene virtuelle Währung, den Linden Dollar, der direkt an die reale Ökonomie angebunden ist, da er mit US$ angekauft, aber auch wieder in diese zurück getauscht werden kann. Der jeweils tagesaktuelle Währungskurs für Ankauf und Verkauf lässt sich bei LindeX nachlesen. Gewöhnlich liegt der Kurs bei ca. L$ 270 für US$ 1.
Laut offiziellen Angaben von Linden Lab wurden in den letzten 24 Stunden insgesamt $ 1,132,977 ausgegeben (Stand 04.02.07), echte Dollar wohlgemerkt, keine Linden-Dollar. Wie ist es jedoch möglich, in virtuellen Welten und mit nicht-physischen Objekten reale Dollar zu generieren? Denn nur für das Reisen und Herumspazieren durch die virtuelle Welt fallen erst mal keine Kosten an. Auch subjektives Anpassen seines Avatars, z. B. Kleidung, Make-Up und Animationen, ist in vielen Fällen kostenlos möglich, denn an vielen Orten in der zweiten Welt werden virtuelle Kleidungsstücke und Animationen aller Art verschenkt. Wenn man also nicht unbedingt ein ganz exklusives Designer-Stück möchte, kommt man auch ohne Geld ganz gut über die Runden. Wer jedoch selbst virtuell bauen oder Land besitzen möchte, muss dafür in die Tasche greifen. Dafür gibt es in Second Life drei gestaffelte Mitgliedertarife: "Basic", "Additional Basic" und "Premium". "Basic" ist kostenlos, "Additional Basic" kostet einmalig US$ 9,95, "Premium" je nach Zahlungsweise (monatlich, vierteljährlich oder jährlich) zwischen US$ 9,95 und US$ 6,00. Mit der Art des Kontos ändert sich auch das einmal pro Woche ausgezahlte "Taschengeld". Wer bereit ist, bei der Erstanmeldung seine Kreditkartennummer preiszugeben, erhält L$ 250 als Startgeschenk. Über andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen, später mehr.
Landkauf oder mieten ist in Second Life nicht weniger kompliziert als in der realen Welt und potenzielle Käufer sollten sich im Vorfeld umfassend über die Nachbarn und evtl. herrschende Bebauungsregeln informieren und sich gut überlegen, ob der Kauf einer Parzelle auf dem Mainland oder einer ganzen Insel sinnvoller ist. Auf dem Mainland sollte beispielsweise von vornherein exakt kalkuliert werden, wie viel Land benötigt wird, da man weniger Kontrolle über den Raum, die Nachbarn usw. hat und man mit hereinschneiender Laufkundschaft rechnen muss, was für einen Laden von Vorteil, für ein internes Business-Meeting hingegen problematisch sein kann. Inseln hingegen erlauben sehr viel mehr Kontrolle durch ihre Besitzer, d.h. sie können individuell benannt werden, sind von der Fläche her nachträglich erweiterbar (für den Fall, dass eine Gemeinschaft rasch wächst und mehr Raum benötigt), zudem gibt es keine direkt angrenzenden Nachbarn, die durch den Bau hoher Gebäude möglicherweise den Blick auf die Aussicht versperren. Außerdem kann man auf Inseln den Zutritt beschränken und so nur ausgewählten Besuchern Zugang gewähren.
Die kleinstmögliche Parzelle umfasst 512 m2, eine ganze Region hingegen, ein sogenannter "Sim", umfasst 65.536 m2. Die Kaufpreise variieren, je nachdem, ob man von Bewohnern, von einem Immobilienmakler oder bei einer Auktion von Linden Lab kauft. Zusätzlich fallen monatliche Landsteuern an, die an Linden Lab zu errichten sind. Parzellen sind beschränkt in der Anzahl der "Prims" (der geometrischen Grundformen, aus denen Objekte in Second Life generiert sind), die auf ihnen errichtet werden können - ein kleines Stück Land setzt also einen ökonomischen und reduzierten Bau voraus (guter Überblick über einige der "Tücken" des Landkaufs in Second Life).
Grob sind zwei Typen von Unternehmen zu unterscheiden, die sich in Second Life engagieren: Einerseits solche, die ihrer ersten realen Existenz eine zweite virtuelle Dependance an die Seite stellen, andererseits solche, die ausschließlich in Second Life ihre Dienste und Dienstleistungen anbieten. Die Anreize von Unternehmen, sich virtuell zu präsentieren, können vielfältig sein: Kooperation und Kollaboration mit anderen Unternehmen, Verkauf virtueller Güter, Vermarktung realer Objekte und Dienstleistungen oder Entwicklung neuer Ideen und Test auf Akzeptanz bei potentiellen Kunden ohne großes finanzielles Risiko.
Vor allem für Unternehmen, die gezwungen sind, hip zu sein und das auch zu bleiben, gehört es zum guten Ton, in Second Life präsent zu sein - der Druck ist groß, hier nicht einen lukrativen, zukunftsweisenden Zug zu verpassen. Die Anzahl in Second Life ansässiger Unternehmen wird täglich länger. Eine Übersicht realer Unternehmen, die bereits in Second Life vertreten sind, findet sich unterSlinside.
Die virtuelle Welt hat zudem bereits ihr eigenes Wirtschaftsmagazin. Vor allem Computer-, Auto-, Mode-, Entertainment- und Kreativ-Industrie begreifen Second Life als attraktives Werbeumfeld, in dem mit vergleichsweise geringen Budgets ungewöhnliche Marketingkampagnen geschaffen werden, die aufgrund der Neuheit des Themas gleich noch Eroberungs-, Entdeckungs- und Gründerzeitmythen mittransportieren. Ziel aller dieser Initiativen ist es, innovative Brücken zwischen erster und zweiter Welt zu bauen: So präsentiert etwa das Computer-Unternehmen Dell seine neuesten Modelle, die im virtuellen Shop individuell zusammen gestellt und dann real über die Website gekauft werden können. IBM plant, in den nächsten Jahren über 10 Millionen Dollar in Second Life zu investieren und hält bereits jetzt schon virtuelle Konferenzen dort ab. Toyota und Nissan haben virtuelle Parcours gebaut, wo die neuesten Automodelle schon einmal Probe gefahren werden können. Sport- und Schuhunternehmen wie Adidas und Reebok betreiben virtuelle Shops für virtuelles Schuhwerk. Und wer bei der T-Shirt-Firma American Apparel virtuell einkauft, erhält einen Rabatt von 15 Prozent auf die echten T-Shirts in den Geschäften der ersten Welt.
In ähnlicher Art und Weise hat sich auch die Entertainment-Branche niedergelassen: Der Sundance Channel streamte während des diesjährigen Sundance Festivals Lynn Hershmans Dokumentarfilm Strange Culture über das Schicksal des Künstlers Steve Kurtz.
Auch die aus dem Fernsehen wohlbekannte Container-Show Big Brother hat ihr Konzept für Second Life geklont. Zwischen Anfang Dezember und Anfang Januar traten auf der Big Brother-Insel 15 Kandidaten aus drei Zeitzonen gegeneinander an. Sie mussten sich täglich mindestens acht Stunden in transparenten Wohneinheiten aufhalten und dabei, wie vom Fernsehformat gewohnt, Aufgaben erledigen, z. B. berühmte Gebäude nachbauen, die anschließend versteigert werden sollten. Anfang Januar durfte Gewinnerin Madlen Flint eine einsame tropische Insel in Second Life als Preisgeld in Empfang nehmen. Geplant ist, dass die Real-Life Soap demnächst in die zweite virtuelle Staffel geht.
Schließlich haben sich Nachrichtenagenturen wie Reuters, aber auch Computer- und netzaffine Zeitungen und Magazine wie Cnet und Wired in Second Life angesiedelt, berichten dort über die neuesten Schlagzeilen aus erster und zweiter Welt und liefern Hintergrundberichterstattung. Selbst der Springer-Verlag betreibt seit dem 21. Dezember 2006 das wöchentlich erscheinende virtuelle Magazin AvaStar und informiert über digitalen Lifestyle, Mode und Klatsch und Tratsch - allerdings mit viel Werbung künstlich aufgebläht. Noch ist das Magazin kostenlos als PDF-Dokument erhältlich, in Zukunft soll es L$ 150 (~42 Cent) kosten - ein vergleichsweise stolzer Preis, wenn man bedenkt, was man sonst für nur wenige Linden Dollar erwerben kann.
Vor allem für Produkte, die räumlich erfahrbar sind, bietet Second Life neue und interessante Chancen der Produktpräsentation: So stellt etwa die Hotelkette Starwood ihren neuen Hoteltyp "Aloft" in Second Life vor. Potenzielle Gäste können das Hotel umfliegen, sich im Rezeptionsbereich informieren und mehrere Bars und Zimmer besichtigen.
In ähnlicher Form präsentiert der Architekt Keystone Bouchard ein real existierendes, nach ökologischen Prinzipien entworfenes Haus mit einer virtuellen Musterhaus-Variante, das von Interessierten besichtigt werden kann und das auch als Treffpunkt fungiert. Der umgekehrte Fall ist natürlich genauso denkbar, dass Architekten ihre Entwürfe zunächst einmal aus billigen Pixeln und Bytes bauen und sie dann bei Interesse auch in echt realisieren bzw. in Abstimmung mit Käuferwünschen entsprechend abwandeln.
Auch für Künstler ist Second Life eine Möglichkeit, mit einem einmaligen Auftritt ein weltweites Publikum zu erreichen. Suzanne Vega war die erste bekanntere Sängerin, die im August 2006 einen Auftritt in der virtuellen Umgebung hatte (dieses Video zeigt, wie ihre Gitarre dazu entstand), Konzerte u.a. von Duran Duran und ein Benefiz-Konzert von U2 folgten. Die Sarah Mac Band veröffentlichte ihre neue CD in Second Life, die es in realen Läden zu erwerben gibt.
Wer Gefallen an Second Life findet, könnte also darüber nachdenken, sich beruflich zu verändern. Hier gibt es nämlich selbst fürs Rumsitzen oder das Tanzen Geld. Wer dazu beiträgt, eine Bar oder einen Club durch seine Anwesenheit belebter zu machen, kann sich ein paar Linden Dollar dazu verdienen. Das reicht zwar in der Regel nicht für den Lebensunterhalt im ersten Leben, aber das eine oder ganze schicke virtuelle Accessoire kann so auf diese Art und Weise erworben werden.
Ansonsten können virtuelle Jobs danach differenziert werden, ob sie mehr oder weniger Fähigkeiten aus dem ersten Leben voraussetzen. Bei Tänzern, Models, Verkäufern, Wachmännern wird meist nur verlangt, dass sie sich einige Stunden pro Woche an ihrem virtuellen Arbeitsplatz aufhalten. Andere Jobs erfordern deutlich mehr Kenntnisse und Talente aus dem realen Leben oder benötigen externe Tools. In diese Gruppe gehören u.a. Tätowierer, Mode-Designer, Architekten, DJs und Programmierer von Animationen und Scripten für Objekte der virtuellen Welt. Zu den exotischeren Berufen gehören Haustierfarmer, Programmierer von Umarmungen oder Privatdetektiv.
Bei mehreren Jobvermittlungen können aktuelle Jobangebote und deren Voraussetzungen eingesehen werden. Zwei der bekannteren Agenturen, die auf Weltgestaltung und Lösungen in Second Life spezialisiert sind und maßgeschneiderte virtuelle Konzepte erstellen, sind die New Yorker Designerin Aimee Weber, die in Second Life verantwortlich zeichnet für die Einkaufsmeile Midnight City, aber u.a. auch an diversen Forschungsprojekten mitgearbeitet hat, sowie die Electric Sheep Company. Über neue Job-Perspektiven dürften sich ansonsten auch vor allem Billiglohnländer freuen, in denen etwa mit 3D-Animation versierte Chinesen Objekte für Besserverdienende aus anderen Ländern erstellen, denen die Zeit, Motivation oder das Talent fehlt, sich selbst digitale Objekte zu erstellen.
Am lukrativsten hat sich der Handel mit virtuellen Immobilien entpuppt. Die ursprünglich aus Hessen stammende Deutsch-Chinesin Ailin Graef, die in Second Life unter dem Avatarnamen Anshe Chung operiert, ist vielzitiertes Beispiel dafür, dass man in virtuellen Welten mitunter besser sein Auskommen erwirtschaften kann als in der realen Welt. Graef, die laut eigener Ansage schon in früheren MMORPGs wie Asheron's Call, Star Wars Galaxies und Shadowbane große Mengen an virtueller Währung angehäuft, diese aber nie in echtes Geld verwandelt hatte, startete ihre Karriere in und mit Second Life als Mentorin, Reiseführerin, Leiterin von Kursen über virtuelles Liebesspiel und programmierte Avatar-Animationen. Mit dem so erwirtschafteten Kapital erwarb sie nach und nach virtuelles Land, insbesondere den Bereich "Dreamland". Damit war sie so erfolgreich, dass sie ihren Beruf als Sprachlehrerin im realen Leben an den Nagel hängte. Im Februar 2006 gründete Ailin Graef gemeinsam mit ihrem Ehemann Guntram Graef, "Anshechung Studios, Ltd." in Hubei, China. Bereits im 3. Quartal 2006 verkündigte sie, US$ 1 Million durch den Handel mit virtuellem Land erworben zu haben.
Als Anshe Chung am 21. Dezember 2006 Daniel Terdiman im virtuellen Cnet-Büro ein Interview über ihr Geschäftsmodell gab, wurde sie das Opfer eines sogenannten "Griefers": Plötzlich regnete es virtuelle fliegende Geschlechtsteile. Mehrere User dokumentierten das Ereignis als Video und luden es bei YouTube hoch. Unter Berufung auf urheberrechtliche Ansprüche an dem selbst geschaffenen Avatar und sexueller Explizitheit forderte Graef jedoch YouTube dazu auf, das Video herunternehmen zu lassen. Dieser Aufforderung kam das Videoportal auch nach, was allerdings wie bei allen kürzlich diskutierten Vorfällen keineswegs ein Garant dafür ist, dass YouTube-Nutzer, die im Besitz des Videos sind, es nicht sofort an anderer Stelle wieder hochladen. Nichtsdestotrotz löste es Diskussionen darüber aus, ob Avatare die gleichen Persönlichkeitsrechte wie reale Menschen haben sollten.
Durch virtuelle Welten zu flanieren und dort beträchtliche Zeit zu verbringen, ist keineswegs nur ein Hobby, sondern eine Beschäftigung, bei der es vielen um echtes Geld geht oder zumindest gehen kann. Eingangs wurde bereits erwähnt, dass im Dezember nach den offiziellen Zahlen von Linden Lab 17.327 Bewohner mit virtuellen Geschäften reales Geld verdienten. Allerdings fuhr der Großteil der ökonomisch engagierten User nur Pfennig- und Kleinstbeträge ein, und nur 140 verdienten zwischen US$ 2000 und US$ 5000 und 90 mehr als US$ 5000.
Viele Anhänger von Second Life sehen in der virtuellen Umgebung bereits die Realisierung von mit Web 3.0 verknüpften Hoffnungen und die konsequente Erweiterung des statischen zweidimensionalen Web in die bewegte Dreidimensionalität. Andere warnen vor einem kurzzeitigen Hype, wie es ihn schon oft im Netz gegeben hat, der genau so schnell verpufft, wie er entstanden ist. Es muss sicherlich abgewartet werden, bis der aktuell quer durch alle Medien gehende Hype um Second Life abgeflaut ist und konkrete Zahlen und Studien vorliegen, bevor man tatsächlich ermessen kann, welche Rolle virtuelle Welten und virtuelle Ökonomie in der Zukunft spielen werden.
Nichtsdestotrotz ist dieser Zahlenfreudentaumel, der begeistert von der Blogosphäre, aber auch den klassischen Medien aufgegriffen wird, mit Vorsicht zu genießen, da es ein beliebter Trick ist, ein Produkt mit stark und schnell wachsenden User-Zahlen künstlich in den Himmel zu heben. Verzerrungen erscheinen zum einen dadurch, dass viele Besucher mehrere Accounts haben, was die Zahl der Besucher aufbläht. Zum anderen wird bei Second Life häufig übersehen, dass viele der mehr als drei Millionen User nur "Eintagsfliegen" sind, die der virtuellen Welt nur ein einziges Mal einen Kurztrip abstatten und nie wiederkehren (vgl. zu einer ausführlichen Kritik).
Dass sich viele nur ein einziges Mal auf die virtuelle Reise begeben, hat viele Gründe: Sich als Anfänger in Second Life zurecht zu finden, braucht Zeit. Es dauert, bis man nicht länger wie ein Trampel herumstolpert und typische Anfängerfehler macht, wie sich z. B. ein geschenktes Auto anstelle einer Haarpracht auf den Kopf zu setzen, anstatt es neben sich auf dem Boden abzusetzen. Es braucht auch Zeit, bis man einigermaßen virtuos mit seinem Animations- und Gestik-Repertoire umgeht und nicht länger alles und jeden anrempelt. Mit Computerspielen oder 3D-Animationsprogrammen Vertraute lernen das elegante und effiziente Bewegen durch Second Life vermutlich am schnellsten. Andererseits bringen gerade Computerspieler, in ihren Spielen durch unauffällige und versteckte In-Game-Tutorials verwöhnt, die nicht als solche auffallen, häufig nur wenig Geduld auf, Zeit zu investieren in eine für sie relativ unspektakuläre virtuelle Welt, in der (zumindest in den meisten Bereichen) keine Reiz-Reaktions-Schemata benötigt werden, weder Schüsse fallen noch Gegner erledigt werden müssen, und die noch dazu eine Grafik aufweist, die der von aktuellen Computerspiele deutlich hinterherhinkt und mitunter trotzdem lange Ladezeiten erfordert.
Schaut man auf die Zahl der gleichzeitig angemeldeten Besucher, sind meist nur zwischen 11.000 und 25.000 anwesend. Dies erklärt, warum man in Second Life den paradiesischen tropischen Strand oft für sich alleine hat. Dieses Privileg, nach dem man im realen Urlaub oft vergeblich sucht, genießt man in Second Life an vielen Orten. Es ist ein häufig zu hörender Vorwurf, dass besuchte Räume leer seien und dass es bei der Gestaltung von virtuellen Ablegern noch an Einfallsreichtum der Betreiber fehle bzw. dass zu wenig auf den Erfahrungsschatz von erfahrenen Second Life-Bewohnern zurückgegriffen werde.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass mit den rasant wachsenden Besucherzahlen auch Kriminalität Einzug in Second Life gehalten hat. Seit November 2005 sorgte etwa CopyBot für Empörung in der Second Life-Community, ein Programm, das es ermöglichte, Objekte von anderen zu duplizieren, ohne vorher das Einverständnis ihrer Eigentümer einzuholen. Auch andere Würmer machen keinen Halt vor Second Life. Selbstreplizierende Objekte wie sich selbst vervielfachende virtuelle Ringe, die sich in Second Life verbreiten, brachten in den vergangenen Wochen mehrfach das virtuelle Leben zum Erliegen. Auch wenn einem Avatar keine Gewalt angetan werden kann, hat sich eine gut organisierte Mafia darauf spezialisiert, sich das Vertrauen von unbedarften Second Life-Bewohnern zu erschleichen, um ihnen dann Geld wegzunehmen oder die Ladezeiten von Objekten so zu verlängern, dass es keinen Spaß mehr macht, sie zu besuchen. Dazu kommen noch programmierte "Landbots", die ständig unterwegs sind, um die günstigsten Land-Preise ausfindig zu machen und die dadurch den virtuellen Markt schwächen.
Fazit: Das "Grid" ist also nicht nur sperrig in seiner Benutzung, sondern auch instabil. Wenn aufgrund solcher Störfälle Teile oder die gesamte virtuelle Welt mehrfach über Stunden nicht erreichbar sind, ist das natürlich schlecht für virtuelle Geschäfte. Erklärte Priorität von Linden Lab in diesem Jahr ist es daher auch, die System-Sicherheit zu erhöhen. Diese Entwicklung zu beschleunigen, war sicherlich auch der Hauptgrund dafür, Anfang Januar den Code von Second Life als Open Source verfügbar zu machen. Angesichts der rasanten Entwicklung der virtuellen Umgebung wird daher auch darüber spekuliert, ob virtuelle Welten zwar eine blühende Zukunft haben, Second Life aber möglicherweise nicht dazu gehört. Second Life: Incredible innovator, but probably not sustainable: So argumentierte kürzlich Risiko-Kapital-Unternehmerin Susan Wu und begründete dies mit technischen Eingangsbarrieren und fehlender emotionaler Bindung. Andere Stimmen verweisen kritisch und parodistisch auf die Qualitäten des ersten Lebens, so z. B. die Satire Get A First Life.