"The Substance": Der Body und der Horror
Seite 2: Körper, die knackig sind
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Der Film schöpft seine Prämisse nicht aus. Die Prämisse des Films macht eigentlich nur dann Sinn, wenn ein Mensch mit sich identisch bleibt, aber einen jungen Körper bekommt, als eine Art Avatar.
Man kann da so weit mitgehen, dass man akzeptiert: Der neue Körper hat eine Eigendynamik und der entfremdet gewissermaßen auch die Seele des Menschen von seinem ursprünglichen Körper. Gleichzeitig sagt die Stimme in dem Film aber eben auch "Du bist die Matrix". Es ist also schon klar, welche Seite die echte und welche die falsche ist.
Wenn sich die falsche Seite nun davon distanzieren und eine Eigendynamik erhalten kann – bleibt die Frage, wie das überhaupt passieren kann, wenn die Matrix doch immer gleich bleibt, denn eigentlich ist der zweite Körper nur ein Sklavenkörper, der nur eine Hülle ist, die besser funktioniert und seinem Besitzer Möglichkeiten gibt, die er nicht hat im alten Körper.
Dann wäre das interessant. Dann könnte man sagen, dass Demi Moore unter dieser Lüge leidet, und dass sie darunter leidet, dass ihr tatsächliches Alter und ihre Erfahrungen und ihr Wissen gewissermaßen nicht zu diesem jungen Körper passen – und dass sie es um Beispiel albern findet, mit diesen oberflächlichen Männern, die sie trifft, überhaupt Umgang zu haben, Männern, die viel zu jung sind und eigentlich nur Sex wollen.
Man könnte sich Irritationen ausdenken, etwa dass diese jungen Männer plötzlich denken, "so redet doch keine Frau in meinem Alter". Oder dass sie sagen "sprich nicht wie meine Mutter" – das wäre alles interessant.
Aber hier passiert gar nichts dergleichen, nichts Neues, sondern eigentlich nur die schlichte platte Eitelkeits-Konkurrenz zwischen einer alternden Frau und einer sehr jungen.
Wir alle wollen junge Körper
Was wäre die philosophische Frage des Films? Sie lautet vielleicht: Wie sehen wir uns? Wie denken wir unseren Körper in Bezug auf eine Gesellschaft der Oberflächlichkeit?
Das kann man spannend finden und spannend stellen. Aber der Film beantwortet diese Frage doch eigentlich nur mit etwas, das wir schon längst wissen.
Es ist ja offensichtlich: Wir alle wollen junge Körper, Körper, die knackig sind. Wir wollen sie nicht nur ansehen, nicht nur anfassen, wir wollen auch selbst solche Körper haben. Ebenfalls klar: Alle Menschen haben Probleme mit ihrem Alter und den körperlichen Folgen des Alters – das ist klassenübergreifend.
Die tatsächliche Antwort darauf ist, dass sich die Menschen operieren lassen, oder Medikamente nehmen und Diäten praktizieren, Aerobic und Yoga im Fernsehen und diesen ganzen Schwachsinn machen. Das ist okay, es ist alles gesetzt. Aber diese Phänomene der jugendorientierten Selbstoptimierung bildet der Film einfach nur ab. Er macht nichts damit, er entwickelt es nicht weiter.
Damit repräsentieren er selbst und der Hype um ihn nur die neueste Stufe eines Neoliberalismus, der Zwänge in Chancen umdefiniert.
Problemdiagnose bleibt fragwürdig
Ist dies ein wichtiger Film? Und warum? Schon die Problemdiagnose bleibt fragwürdig: Tatsächlich sondert die Medienbranche, die Fernsehbranche zumal keineswegs pauschal alte Menschen, vor allem alte Frauen aus.
Im Gegenteil haben Ältere gerade unter TV-Moderatorinnen einen immer größeren Anteil. Und das Thema Alter wird ebenfalls keineswegs pauschal diskriminiert. Der offensichtlichen Altersdiskriminierung in der Filmbranche stehen Bestsellerlisten entgegen, in denen Sachbücher übers Altern von Barbara Bleisch (51), Elke Heidenreich (81) und Marianne Koch (93) dominieren.
Warum geht es also? Was soll "The Substance"?
Nicht Schönheitskult, sondern schöne Reden
Nichts ist faszinierend an diesem Film. Der Hype um ihn ist eine große leere Hülle, ohne Substanz.
Marketinggerecht negiert er, wie die formale Glätte und Kälte von "The Substance" dessen behauptete Botschaft, die Kritik an Schönheitsidealen und Jugendwahn.
Es passt exzellent, was Georg Simmel vor gut 100 Jahren über Spinoza schrieb:
Die umfassende Substanz, das allein übriggebliebene Absolute kann nun außer Betracht gesetzt werden, und es bleibt tatsächlich die relativistische Aufgelöstheit aller Dinge in Beziehungen und Prozessen übrig.
Auch dieser Film verflüssigt die Verhältnisse bis zur Substanzlosigkeit.
Die wahren Lebenslügen der Menschen liegen nicht im Schönheitskult, sondern im schönen Reden. Nicht in der Verehrung der Oberflächen, sondern in der Verwechslung von Oberfläche und Substanz. Dieser Verwechslung macht sich auch Coralie Fargeats Film selbst schuldig.