Thüringen: CDU bestätigt substantielle Krise
Erst blinkt die Partei nach rechts, dann nach links. Über einen "historischen Kompromiss" soll jetzt doch Bodo Ramelow Stimmen der CDU bekommen. Generalsekretär Ziemiak und Spahn sind dagegen
Die Regierungskrise in Thüringen ist durch eine Einigung überwunden, dem wird die nächste Krise folgen, die es mit einem größeren Problem zu tun hat: Was passiert mit den Wählern, die AfD wählen, weil sie mit der Politik der anderen Parteien nicht einverstanden sind? Wie groß macht man den Elephanten im Raum, die AfD, mit einem Bündnis aus Linkspartei, CDU, Grüne und SPD?
Mit einem parteiübergreifenden Kompromiss haben sich die genannten Parteien zur Unterstützung von Bodo Ramelow entschieden. Am 4. März soll er dank der Mehrheit der vier Parteien zum Ministerpräsidenten einer Minderheitsregierung gewählt werden, damit es solide Verhältnisse gibt und ein Haushalt verabschiedet werden kann. Abgemacht wurde laut Medienberichten, dass es in gut einem Jahr, im April 2021, Neuwahlen für den Landtag in Thüringen geben wird.
Die Ansetzung der Neuwahlen zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt als die Termine, die in jüngster Zeit kursierten, gehört wohl zu den Zuckerln, mit denen die CDU ins Boot geholt wurde. Eine bald angesetzte Neuwahl musste die CDU fürchten. Das Ja von vier CDU-Landtagsabgeordneten für den bislang amtierenden Ministerpräsidenten der Linken, Bodo Ramelow, soll reichen, um seine Amtszeit zu verlängern, vorausgesetzt natürlich, dass bei den anderen Parteien niemand abspringt. (Bei der CDU wurde angeblich ein Losverfahren erwogen.)
"Historischer Kompromiss" und die Ablehnung
Die Bereitschaft zum Sprung in den "historischen Kompromiss" dürfte das Angebot Ramelows erleichtert haben, seinerseits über Grenzen zu gehen, als er anbot, mit Stimmen der Linken die frühere CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ins Amt zu wählen. Davon abgesehen ist die Kooperation der CDU-Thüringen ein Schritt, der gegen den zuletzt einfrig und mehrmals betonten Grundsatz der Partei verstößt, nicht mit der Partei der Linken zusammenzuarbeiten.
Die Aufregung und die Opposition, die sich parteiintern und in der Anhängerschaft gegen diesen Bruch aufschaukelt, wird sich mit dem Begriff "realpolitisch" nicht beruhigen lassen. Die Reaktion von Jens Spahn darauf war ein erstes Indiz dafür. Der als Hoffnungsträger für die Partei gehandelte CDU-Politiker lehnte via Twitter "die Wahl von Bodo Ramelow durch die CDU" ab.
Für ihn steht Wesentliches auf dem Spiel: "Wir sind als Union in einer Vertrauenskrise. Die letzten Wendungen aus #Thüringen kosten weiteres Vertrauen. Es geht jetzt um die Substanz unserer Partei - nicht nur in Thüringen."
Dem folgte später auch der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der erklärte, dass er die Wahl ebenfalls ablehnt, weil eine "solche taktische Wahl unglaubwürdig" sei. Er spricht sich für "zügige Neuwahlen als einzig sinnvollen Weg aus. "Es muss Schluss sein mit Taktieren. Es geht um Grundüberzeugungen und die Glaubwürdigkeit."
Die Situation in Thüringen, das Wahlergebnis, die Wahl des FDP-Kandidaten mit Stimmen der CDU und der AfD, die Folgemanöver (Thüringen: Merkel fordert Rückgängigmachen der Wahl des Ministerpräsidenten) und die erhitzten Debatten haben eine Krise in der Partei sichtbar gemacht, die es zwar vorher schon gab, die sich aber jetzt in ungewohnter Schärfe zeigt.
Bislang war die Unsicherheit gut verkleidet, die Partei lebte von eingespielten Routinen und dem Lack von Merkel. Jetzt ist sie überrascht und wirkt überfordert, dabei will doch gerade sie Solidität ausstrahlen. Auf einmal werden Parallelen zum freien Fall der SPD gezogen.
Der Stress in Thüringen
Wie bei der SPD geht es in der CDU um Glaubwürdigkeit und die Frage, wen sie denn eigentlich noch repräsentiert, wo ihr Profil ist, welche Orientierung sie in Zeiten der Umbrüche und den Werte- Stresstests geben kann. Ein Kursschwenk wie jetzt in Thüringen ist der nächste Stresstest.
Der Stress in Thüringen kam mit dem Wahlerfolg der AfD bei der Landtagswahl. Die CDU hat am 27. Oktober 2019 im Vergleich zur Wahl 2014 beinahe 12 Prozent verloren. Die AfD hat um beinahe 13 Prozent zugelegt und erreichte 23,4 Prozent. Der Block von 22 Sitzen im 90-Sitze-Landtag führte dann in die Krise, weil dadurch nur Mehrheiten möglich waren, die entweder mit der AfD agieren oder mit einem Bündnis zwischen Linken und Parteien der sogenannten Mitte.
Die Angst vor dem Wahlerfolg der AfD war bei der Entscheidung der CDU für eine bislang "tabuisierte" Zusammenarbeit mit der Linken ein Faktor, sonst würde das "Zuckerl" einer aufgeschobenen Neuwahl, das bei einem Teil der CDU aufgegangen ist, auch nicht funktionieren. Mitgespielt hat wahrscheinlich auch, dass der Linke Ramelow in Thüringen eben keine extremistische Politik macht, sondern Landespolitik, wie sie auch ein Sozialdemokrat machen würde.
Doch hatte diese Politik nicht die Überzeugungskraft für die Wähler, dass sie sich für eine linke Mehrheit aus der Linkspartei und der SPD entschieden hätten. Stattdessen sind Wähler von diesen Parteien - wie auch aus der CDU, die dort lange die Mehrheit stellte - zur AfD gewechselt. Und das ist das Problem, das durch den "historischen Kompromiss" nicht gelöst wird. Der "Stabilitätsmechanismus" der vier Parteien unterstützt ein Zugpferd der AfD-Kampagnen: "Alle anderen Parteien machen das Gleiche, nur wer uns wählt, setzt auf eine unterschiedliche Politik."
Die Werbung für die "Alternative" mit dem Alleinstellungsmerkmal bekommt noch einen Extrabonus durch die Rahmung: "Das Establishment spricht sich gegen uns ab." Noch dazu in Thüringen jetzt mit geheimen Vereinbarungen, wie die Welt berichtet. Das ist zwar in der Politik nicht unüblich, gibt aber angesichts der jetztigen Lage neuen Stoff für die bewährte AfD-Rahmung.
Doch ist das vielleicht auch nur eine momentane Aufregung, die von Medienerregung hochgespielt wird und möglicherweise auch zusätzlich durch die Wahlergebnisse morgen in Hamburg Nahrung bekommt. Eine Minderheitsregierung könnte ja auch gute Arbeit machen, sie muss mit politischen Vorschlägen und Handlungen überzeugen. Es wäre doch auch möglich, Wähler dadurch wiederzugewinnen.
Allerdings wird diese Hoffnung dadurch gedämpft, dass die AfD-Wähler in Thüringen sich für eine Partei entschieden haben, die bislang nicht mit bemerkenswerten konkreten Vorschlägen zur Landespolitik aufgefallen ist, sondern vielmehr durch die Person ihres Spitzenkandidaten.
Björn Höcke ist Exponent der völkisch-autoritären Rechten, der sehr viel mehr für eine ideologische Ausrichtung steht als für soziale und wirtschaftspolitische Ideen oder Verbesserungen. Sein Feld ist der "Kulturkampf", er steht für eine "geistig moralische Wende" mit einer unverkennbar antidemokratischen Ausrichtung.