Thüringen: Wer bildet die Regierung?
Wahlsieger bei der Landtagswahl sind Bodo Ramelow von den Linken und die AfD. Für die Rot-Rot-Grün-Regierung reicht es nicht mehr zur Mehrheit. Der Verlierer CDU hat eine Schlüsselrolle
Die politischen Raster werden nach der Landtagswahl in Thüringen einer Neujustierung unterzogen. "Was ist die Mitte? Ist Bodo Ramelow eigentlich eher Mitte als linker Rand?" Das war am frühen Abend nach Schließung der Wahllokale eine immer wiederkehrende Frage in den Analysen zu den ersten Hochrechnungen, die keine Mehrheit mehr für die bisherige Koalition aus Linkspartei, SPD und den Grünen ergaben.
Zwar betonten alle befragten Politiker und Experten, dass der Abend noch lang sei, aber es sieht ganz und gar nicht danach aus, also ob spätere Ergebnisse noch eine rechnerische Mehrheit für Koalitionsbildungen ergeben, die das politische Leben im Deutschland der letzten Jahrzehnte gewohnt ist. Die CDU ist der wesentliche Mehrheitsbeschaffer, aber nur, wenn sie entweder einer Koalition mit der Linken oder mit der AfD zustimmt. Beides hat CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak ausgeschlossen. Ob es das letzte Wort ist?
Nach der ARD-Hochrechnung von 19 Uhr 30 ist die CDU der große Wahlverlierer. Die Partei, die lange Zeit stärkste Partei in Thüringen war, kommt nur mehr auf 22,7 Prozent und verliert damit zweistellig gegenüber ihrem Abschneiden bei der Landtagswahl von 2014, als sie mit 33,5 Prozent noch ganz oben stand.
Die Wahlsieger
Stärkste Partei ist - auch in der frühabendlichen Hochrechnung des ZDF - die Linkspartei mit beinahe 30 Prozent; 29,9 Prozent errechnet die ARD, beim ZDF sind es 29,8 Prozent. Allgemein wird dieses Ergebnis, das der Linkspartei ein lang erhofftes Erfolgserlebnis - ein leichtes Plus gegenüber den 28,2 Prozent bei der letzten Landtagswahl - beschert, dem amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow zugeschrieben. Laut einer ARD-Analyse halten ihn "70 Prozent der Thüringer für einen guten Ministerpräsidenten". Sogar 60 Prozent der CDU-Anhänger sollen dieser Ansicht sein. Die CDU verzeichnet bei der infratest dimap-Umfrage hingegen "starke Kompetenzverluste".
Der andere Wahlsieger ist die AfD. Mit 23,7 Prozent weisen ihr die ersten Hochrechnungen eine mehr als 100-prozentige Steigerung zu ihrem Ergebnis von 2014 (10,6 %) auf, was ihr Spitzenkandidat Björn Höcke auch betonte. Das sei ein klares Zeichen der Wähler: "Wir brauchen was Neues", sagte er ins ARD-Mikrophon.
Dass Ramelow im von einer Polarisierung zwischen der Linkspartei und der AfD geprägten Wahlkampf als deutlicher Sieger hervorging, dazu äußerte sich Höcke nicht.
Wie das Neue aussieht, ist offen. Die SPD hat wie ihr Partner in der Bundesregierung Stimmen verloren; nicht ganz so viel wie die CDU - zweistellige Verluste sind bei der SPD nicht mehr möglich -, aber immerhin doch etwa ein Drittel ihres 12,4-Prozentanteils bei der Wahl von 2014. Bei dieser Landtagswahl kam sie laut der erwähnten ARD-Hochrechnung auf 8,4 Prozent.
Damit setzt sich - ungeachtet des Mitgliederentscheids, der doch einen neuen Weg vorzeichnen sollte, aber anscheinend nicht besonders ankommt (Die SPD zerlegt sich in ihre Einzelteile) - der freie Fall nach weiter unten fort.
Die Grünen bringen mit ihrem Ergebnis von 5,3 Prozent (2014 waren es 5,7) auch nicht die Sitze, die für eine Mehrheit der bisherigen Rot-Rot-Grün-Regierung reichen würden. Zwar versuchten die Grünenvertreter Medien gegenüber das enttäuschende Abschneiden mit der geringeren Attraktivität zu begründen, die die Partei im Osten mit ihren Zugthemen hat, aber angesichts des Höhenfluges der Grünen während des Sommers ist ihr Ergebnis eine klare Ernüchterung.
Für die Bildung der künftige Landesregierung in Thüringen heißt dies, dass kein Weg an der CDU vorbeiführt. Selbst wenn man die FDP, die bis 20 Uhr nur leicht über der 5-Prozent-Hürde lag, mit in eine RRG-Koalition nehmen könnte, wofür ziemliche Widerstände zu überwinden wären, ergäbe dies zu diesem Zeitpunkt des Abends keine Sitzmehrheit.
Die Spekulationen in den Gesprächen bei den Sendern ARD, ZDF und Phönix drehten sich daher viel um die Frage, wie es um das Selbstverständnis der CDU bestellt ist - wie stark dort das Selbstverständnis ist, dass die CDU an der Macht beteiligt sein will - und dafür über Schatten springen kann. Entweder in Richtung Koalition mit der Linken oder in einer Zusammenarbeit mit der AfD. Letzteres dürfte aus mehreren Gründen derzeit ausgeschlossen sein, nicht zuletzt wegen Björn Hocke.
So mehrten sich am frühen Abend die Äußerungen, die in Bodo Ramelow keinen Politiker mehr sahen, der am linken Rand angesiedelt ist ("kein böser Linker"), sondern eigentlich doch einen Sozialdemokraten und also zur Mitte gehörend. Die Frage war, ob die "Brandmauer der CDU" nach links fallen könnte. Aber, wie stets betont wurde, der Abend sei ja noch lang und die Gespräche zur Regierungsbildung würden erst in den nächsten Tagen oder Wochen aufgenommen werden.