"Tickende Bomben": Heimkehrer aus Syrien/Irak

Auch für Separatisten, die Ukrainer oder die Kurden ziehen Menschen aus der EU in den Krieg

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Die US-Regierung bildet "gemäßigte" syrische Militante aus, um gegen den "Islamischen Staat" zu kämpfen. Der Sturz des Assad-Regimes, das auch Milizen einsetzt und von Hisbollah-Kampfgruppen unterstützt wird, hat keine Priorität. Allerdings haben gerade die USA und die Türkei, die immer mehr Überwachungsstaat wird und vermutlich auch die Islamisten vom IS unterstützt hat, über einen Regimewechsel in Syrien gesprochen, in dem es zahllose bewaffnete Gruppen gibt, die mit- und gegeneinander kämpfen.

Ausländische Kämpfer für die Kurden bei den "Lions of Rojava".

Überdies will die US-Regierung wieder anknüpfen an die 2007 erfolgreiche Awakening-Strategie und Kämpfer von Stämmen der Provinz Anbar für 18,5 Millionen US-Dollar mit Waffen (Maschinengewehren, Granatwerfer, Munition) ausrüsten und einen Sold bezahlen. Damit will man sie vom IS wegziehen, der auch deswegen unter den Sunniten attraktiv ist, weil er Kämpfern einen Sold anbietet. 2007 wurde durch die Bezahlung von sunnitischen Selbstverteidigungsgruppen der vor allem von al-Qaida ausgehende Terrorismus geschwächt und die Zahl der Anschläge erheblich reduziert. Sie gingen erst wieder in die Höhe und ließen schließlich den IS erstarken, als der damalige irakische Präsident al-Maliki das Programm stoppte und zudem die Sunniten politisch weitgehend entmachtete.

Derzeit werden die irakische Armee und damit vermutlich auch die schiitischen Milizen mit Waffen versorgt, unterstützt mit Waffen, Beratern und Ausbildern werden auch die Peschmerga, die bewaffneten Verbände der irakischen Kurden. Diese durften wieder Kämpfer und Waffen zu den syrischen Kurden in Kobane bringen.

Die Region, die bereits sowieso voller Waffen ist, wird also weiter aufgerüstet und dürfte einem ähnlichen Schicksal entgegen gehen wie Libyen. Aber problematisch werden auch die militärischen Konflikte auf andere Weise. Bislang wurde nur auf die Gefährdung durch diejenigen hingewiesen, die sich den Islamisten anschließen, in Syrien, im Irak, in Afghanistan etc. zum Kampf oder zu Anschlägen ausgebildet und entsprechend ideologisch indoktriniert werden, und die dann irgendwann wieder nach Europa zurückkehren. Sie können traumatisiert oder auch "tickende Bomben" sein. Sie haben, wenn sie sich nicht durch die Erfahrung eines Besseren belehrt wurden, wahrscheinlich in der Überzeugung, das Richtige zu tun, gekämpft und vielleicht Menschen getötet.

Das ist auch das Geschäft der Soldaten oder der Milizen, die im staatlichen Auftrag handeln oder geduldet werden, oder von Söldnern. Manche kämpfen aus Überzeugung, manche suchen finanzielle Sicherheit, oft dürfte auch wie bei den islamistischen Rekruten, die in den Nahen Osten ziehen, um den Islam, das Kalifat oder was auch immer, zu verteidigen oder einen Gottesstaat zu errichten. Hier fürchtet man nicht, dass die Soldaten, die aus dem Krieg nach Hause kommen, einen Anschlag unternehmen könnten, aber die Gefahr ist, zumindest in den USA oder Großbritannien, bei den Veteranen hoch, dass sie gewalttätig werden. Manche Veteranen ziehen auch wieder in den Krieg, wie das etwa im Irak der Fall war, als die US-Regierung nach dem Sturz Husseins die Armee auflöste und damit die beginnende Terrorwelle verstärkte. Auch beim IS sind ausgebildete Soldaten beteiligt, vermutlich wurde die Terrorarmee auch durch ihre Mithilfe so schlagkräftig.

Wir wissen, dass im Krieg in der Ostukraine auf beiden Seiten in den Milizen auch Männer aus der EU kämpfen, es sind nicht nur mehr oder weniger freiwillige Russen, die in den Krieg gegen die "Faschisten" ziehen. Ex-Soldat Gaston Besson, der an der Spitze der ausländischen Kämpfer im rechtsextremen (oder neofaschistischen) Asow-Bataillon steht, warb neue Rekruten so: "Ihr werdet nichts als Probleme, Krieg, Abenteuer und vielleicht Tod oder schwere Verletzungen finden, aber ihr werden garantiert große Erinnerungen haben und lebenslange Freundschaften schließen." Human Wrights Watch wirft den separatistischen und den ukrainischen Milizen vor, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Werden diese verfolgt werden, wenn die Kämpfer wieder nach Frankreich, Schweden, Spanien oder Polen zurückkehren?

James Hughes und Jamie Read, die für die Kurden kämpfen.

Wie immer motiviert ziehen auch britische Ex-Soldaten in den Krieg nach Syrien. Offenbar auf der "guten" Seite. Wie der Guardian berichtet, haben sich etwa James Hughes, der auch in Afghanistan für Großbritannien im Einsatz war, und Jamie Read, der angeblich in der französischen Armee dient, den Kurden angeschlossen, um Rojava gegen den IS zu verteidigen. Read soll zuvor in der Tschechischen Republik trainiert worden sein. Angeworben wurden sie von dem US-Amerikaner Jordan Matson, der für die "Löwen von Rojava" arbeitet. Die verkünden: "Es ist besser einen Tag als Löwe als 100 Tage als tausend Tage als Schaf zu leben." Ihre Slogan: "Schicke die Terroristen zur Hölle und rette die Menchheit."

Unter diesen "Löwen von Rojava" soll auch ein Deutscher sein.

Man merkt, es geht nicht um den Islam, das Kalifat, die Kurden, die Ukraine oder Donezk, sondern ums Abenteuer, um das Leben im Stahlgewitter. Der Krieg schafft irreversible, tödliche Wirklichkeit - als Kämpfer oder als Attentäter. So werden also in Syrien womöglich britische Bürger oder deutsche Bürger gegeneinander kämpfen. Die "Löwen" sagen, auch Deutsche würden bei der YPG kämpfen. Die Kriegslustigen verhüllen ihre Gesichter nicht.

Von der Polizei gesucht wird eine 17-Jährige mit kurdischem Hintergrund, die sich auf den Weg nach Syrien gemacht haben soll, um sich vielleicht den Frauen-Milizen der YPG anzuschließen. Die syrischen Kurden haben zuletzt die Propaganda verstärkt, um mit dem IS mitzuhalten, und werben gerne mit den Kämpferinnen, die gegen den männerdominierten IS zu Felde ziehen. Gut möglich, dass die Emanzipation der Frauen im Krieg gegen den frauenrepressiven Islamismus weitere europäischen Frauen nach Syrien lockt.

Großbritannien will britische Bürger, die in Syrien oder im Irak für IS gekämpft haben, die Einreise verweigern und sie als staatenlos zu erklären (das hat Großbritannien bereits gemacht, was die Möglichkeit schafft, diese durch gezielte Tötungen mit US-Drohnen zu töten). Sie sollen nur einreisen können, wenn sie einwilligen, sich einem Gericht zu stellen, unter Hausarrest zu leben, von der Polizei beobachtet zu werden oder an einem Entradikalisierungskurs teilzunehmen. Und wie in anderen Staaten will man verhindern, dass die Menschen in den Dschihad der Islamisten ziehen, indem man ihnen den Pass entzieht.

Was aber macht man mit denjenigen, die das Abenteuer mit dem Tod und dem Töten nicht beim IS suchen, sondern in anderen Konflikten oder auf der Seite der EU-Politik wie bei den ukrainischen Milizen und den Kurden? Darf man die Menschen ziehen und zurückkehren lassen, weil sie die "richtigen" Interessen vertreten, nur als Söldner gegen Geld arbeiten, wie das jeder andere auch in seinem Job macht, oder weil nicht-islamistische Kriegsführung gesellschaftlich akzeptabel ist? Werden diese Menschen nicht gefährlich für die zivile Gesellschaft, wenn sie das Töten erlernen und den Feind eliminieren, weil er Faschist, Russe, Islamist, Kreuzzügler, Terrorist oder was auch immer ist? Auffällig ist, dass die bewaffneten und kriegsbereiten Männer sich überall gleichen, egal für welche Seite sie kämpfen.