Tiergartenmord: Bellingcat und Handel mit Käse und Honig
Seit dem 7. Oktober steht Vadim Krasikov oder Vadim Sokolov vor dem Berliner "Kriminalgericht". Wegen der vermuteten Beteiligung Russlands verhandelt der für Staatsschutzsachen zuständige 2. Strafsenat des Kammergerichts
Es ist ein Prozess unter großen Sicherheitsvorkehrungen. Personal- und Presseausweise werden auf dem Weg zum Ort des Geschehens gleich mehrfach kontrolliert. Der Verhandlungssaal befindet sich hinter weiteren Sicherheitsschleusen. Wegen des großen Medieninteresses wird der Ton ohne Bild zusätzlich in einen eigens eingerichteten Mediensaal übertragen.
Auch sonst ist der Aufwand groß. Die Kammer setzt sich aus fünf Richterinnen und zwei Ergänzungsrichtern zusammen. Die Bundesanwaltschaft aus Karlsruhe ist mit drei Staatsanwälten vertreten. Drei Verteidiger stehen dem Beschuldigten zur Seite, der am 23. August 2019 gegen Mittag das "arg- und wehrlose Opfer" Zelimkhan Changoshwili (40) heimtückisch mit drei Schüssen, davon einen in den Oberkörper und zwei in den Kopf, ermordet haben soll.
Der sofortige Tod des Georgiers sei durch die "dadurch verursachte Zerstörung des Gehirns" herbeigeführt worden. Die Staatsanwaltschaft geht von einer "besonderen Schwere der Schuld" aus, was im Falle einer Verurteilung mehr als 15 Jahre Haft bedeutet. Sieben Angehörige des Erschossenen, darunter zwei Frauen, Kinder und Geschwister, werden von weiteren drei Rechtsanwältinnen vertreten.
Soweit die bekannten formalen Tatsachen. Doch wer ist der mutmaßliche Täter? Angeklagt ist Vadim Nicolajewitsch Krasikov, geboren 1965 in Chimetsky / Kasachstan. Doch mit dem will der Angeklagte weder identisch noch bekannt sein. Er kenne keinen K. und sei vielmehr Vadim Sokolov, 1970 im sibirischen Irkutsk geboren. Der Vorsitzende und erfahrene Richter Olaf Arnoldi, der bisher durch eine sehr entspannte und ruhige Verhandlungsführung auffiel, will den Angeklagten mal so oder so und ansonsten mit Herr Angeklagter ansprechen.
Sokolov, der sich bisher nur über dessen Anwälte äußerte und kaum eine Miene verzieht, spricht kein Wort Deutsch. Jeder Satz wird ihm und den russischsprachigen Prozessbeteiligten daher von zwei vereidigten Dolmetschern übersetzt. Stehen ihm Übersetzungen eines umfangreichen Verzeichnisses von Asservaten zu, die sich in einem dicken Ordner befinden? Darin enthalten sind Gutachten zu Gesichtsabgleichen, waffentechnische Vermerke, DNA-Abgleichen und weitere Unterlagen.
Diese Einsicht auf RUSSISCH sei ihm angesichts der Schwere der Beschuldigungen und in Anbetracht des Strafmaßes im Falle einer Verurteilung zuzubilligen, argumentiert die Verteidigung. Die Nebenklage stimmt dem im Interesse eines "rechtsstaatlichen Verfahrens" zu. Anders sieht es die Anklagebehörde aus der badischen Residenz des Rechts. Eine Übersetzung sei nicht nötig. Solokov könne sich die Inhalte bei Bedarf durch dessen Anwälte vorlesen lassen. Der Vorsitzende will nun über die vorgetragenen Argumente zunächst "nachdenken" und dann über den Antrag entscheiden.
Was geschah im Vorfeld der Tat?
Der Beschuldigte soll gemäß 67-seitiger Anklageschrift, aus der nur vier Blatt verlesen wurden, "einen Menschen heimtückisch und aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen getötet haben". Dazu hätte er illegal "eine halbautomatische Waffe zum Verschießen von Patronenmunition bei sich geführt" ("Tiergartenmord": Putins "Killer" war's. War er's?).
Staatliche Stellen der Zentralregierung der russischen Föderation hätten ihn zur "Liquidierung" des georgischen Staatsangehörigen angewiesen. Vorgetragen wurden dazu keine Details. Anfragen beantwortete die Bundesanwaltschaft dazu nicht. Hintergrund sei allerdings die Gegnerschaft des Georgiers "zum russischen Zentralstaat und zu Regierungen der kaukasischen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien". Wohl deshalb ist er im Krieg jahrelang von 2000-2004 Anführer einer tschetschenischen Miliz gewesen.
Mit einem gefälschten russischen Pass ohne biometrische Merkmale sei der Angeklagte am Vortag vor dem Mord via Paris und Warschau nach Berlin gereist. Zuvor habe er sich dort einige Tage zur Besichtigung von Sehenswürdigkeiten aufgehalten. Das Schengen-Visum war vom französischen Konsulat in Moskau ausgestellt worden. Insider sagen allerdings, dass diese Art Pässe seit 2009 nicht mehr ausgegeben wurden. Dennoch weist der Pass das Datum 18. Juli 2019 aus.
Das könnte im weiteren Verlauf zur Frage führen, warum "zentrale Stellen der russischen Regierung" den "Auftragskiller Putins" (Bild) durch die Lande schicken, der auf veraltete Formulare zurückgreifen muss? Dem französischen Visum stand das erstaunlicherweise nicht entgegen. Die Anklageschrift ist hierzu völlig intransparent. Zugespielt wurde sie immerhin einigen Redaktionen, die als russlandkritisch eingeschätzt werden. Gericht und Bundesanwaltschaft bestreiten, es gewesen zu sein.
Nur knapp 24 Stunden nach Ankunft in Berlin soll Vadim Krasikov im Tiergarten also den Mord verübt haben. Mit dem Fahrrad fuhr er von hinten an das Opfer heran, das wohl auf dem Weg zur Moschee war, und schoss. Dabei fiel der Schütze selbst vom Rad, mit dem er sich nach der Tat dann auch wieder entfernte. Ohne Helfer wäre dies aber sicher nicht zu realisieren. Denn wie sollte selbst ein professioneller Killer innerhalb weniger Stunden herausfinden, dass das Opfer just um die Mittagszeit des nächsten Tages und entsprechend seiner sonstigen Gewohnheiten durch den Tiergarten spaziert? Unklar ist bisher, ob die Bundesanwaltschaft hierzu noch vorträgt. Mehr will und muss sie derzeit nicht sagen.
Die Zeugenaussagen von Gästen eines nahegelegenen Restaurants zum Tatgeschehen wirken vor Gericht eher konfus und wenig hilfreich. Ein Zeuge erinnerte sich beispielsweise an die "auffällige Waffe", ein Jahr zuvor bei der ersten polizeilichen Vernehmung noch nicht. Mal sah man auffällig blonde Haare des Täters, mal eine Kopfbedeckung, einen Rucksack, doch keinen Rucksack und so weiter. Wesentlich dürfte das rein prozessual allerdings nicht sein.
Denn man hat einen bekannten Zeugen, auf den sich die die gesamte Anklage stützt: Das investigative und geheimdienstnahe Portal Bellingcat, schon aus dem Fall Skripal in England als Ankläger gegen Russland bestens bekannt. Bellingcat wollte damals herausgefunden haben, dass russische Geheimdienstler für die Vergiftung des Ex- Spions und seiner Tochter im britischen Salisbury verantwortlich seien.
Die "Rechercheplattform" hätte in Russland illegal tausend Datenbanken mit Melderegistern gekauft. Sie führte Fotovergleiche durch und lieferte laut Bundesanwaltschaft so den Beweis, dass Solokov eben nicht Solokov, sondern Krasikov sei. Dieser hätte demnach auch Kontakte zum russischen Geheimdienst FSB gehabt und sei in dessen "Trainingslagern" gesehen worden.
Bellingcat selbst soll zwischenzeitlich seine herausragende Rolle für die Anklage jedoch als "peinlich für deutsche Sicherheitsbehörden" und als "Risiko für das Verfahren" bezeichnet haben. Denn eigenen Ermittlungen und denen von BND und Bundeskriminalamt traut die Bundesanwaltschaft offensichtlich nicht. Man sei daher dankbar, dass Bellingcat die Arbeit abgenommen hätte, munkelt man in deren Kreisen.
Die Rolle der Tagesschau
Nicht erst seit Beginn des Prozesses fällt vor allem die ARD- Tagesschau Journalistin Silvia Stöber mit Versuchen einer eifrigen Reinwaschung des Opfers vom Vorwurf des Terrorismus auf. Terror gibt es für sie offensichtlich stets nur auf der Gegenseite.
Als Beleg hierfür wird selbst der in Georgien steckbrieflich gesuchte dubiose Ex- Präsident Georgiens angeführt, mit dem der Ermordete nicht nur im Heimatland, sondern zuletzt auch in der Ukraine engen Umgang pflegte. Saakaschwili und seine Gattin sollen sich auch um die Diaspora der Tschetschenen in Berlin bemüht haben. Putin, so bedauert der heutige ukrainische "Präsidentenberater", habe mit dem Mord im Tiergarten der "tschetschenischen Diaspora die Hoffnung auf ein friedliches Leben in Europa nehmen wollen". Mag sein, mag nicht sein.
Saakaschwili war es übrigens, der 2008 im vergeblichen Hoffen auf militärische amerikanische Unterstützung im Land einen 5-Tage-Krieg entfachte und in Südossietien die Hauptstadt Zchinwali beschießen ließ.
Wie der kläglich gescheiterte und aus dem Land getriebene Warlord gilt die genannte "Diaspora" in Berlin allerdings auch nicht als wirklich friedlich. Den bis jetzt vorletzten Tiergartenmord gab es schon 2018, als dort ein Tschetschene äußerst brutal eine ältere Berliner Kunsthistorikerin ermordete, um sie zu berauben.
Auch sonst fällt diese Friedlichkeit von Herren aus dem Kaukasus bestenfalls einer ARD- Redaktion auf, sobald es gegen Russland geht. Die Berliner Sicherheitsbehörden sind da schon weniger begeistert. 80-100 Tschetschenen bilden demnach den Mittelpunkt des kriminellen Berliner Milieus. Tschetschenische Banden fallen laut eines Senatsberichts "durch Waffenhandel, Drogen, Gewalt, Geldwäsche und Schutzgelderpressung" auf - und agieren sehr abgeschottet. Besonders unter Tschetschenen, die in Berlin operieren, gibt es Überschneidungen zum Islamismus.
Ermittler stellen einen "ungewöhnlichen Zusammenhalt", ein "rigoroses Sanktionierungssystem" und "eine bemerkenswert formelle wie informelle transregionale Vernetzung" fest. Und schließlich "einen ausgeprägten Ehrbegriff und eine geringe Akzeptanz staatlicher Autorität".
All dieses rechtfertigt natürlich keinen Mord. Aber es lässt weitere Fragen zum Opfer zu. Beispielsweise, wie er sich unter dem falschen Namen Tornike K. seinen Aufenthalt in Deutschland finanziert hat? Ebenfalls durch einen Handel mit Honig und Käse? Der abgelehnte Asylbewerber soll mit seiner Familie in einem Hotel gelebt haben. Sehr unwahrscheinlich ist aber, dass der Ex- Milizführer in Berlin keinen Kontakt zur geschilderten Szene ehemaliger militärischer und islamistischer Freunde unterhalten hat.
Und es lässt die Frage aufkommen, ob es nicht andere Mordmotive geben könnte als jene des russischen Präsidenten, der ansonsten natürlich wieder persönlich für alles und jedes bei diesem Geschehen verantwortlich sein soll. Russland selbst lässt umgekehrt am Getöteten kein gutes Haar und listet via "Sputnik" die Vergehen auf, die er begangen haben soll. Im Wesentlichen betrifft dies die vermutete Beteiligung an Terroranschlägen, beispielsweise auf die Moskauer Metro 2010.
Befragt man umgekehrt Frau Stöber nach Erkenntnissen zum unterstellten "russischen Staatsterror im Tiergarten" braucht man bei deren Antwort schon Grundkenntnisse der französischen Sprache: "..foutez-moi paix" ( ….lass" mich in Ruhe).
Den Gefallen sollte man ihr und der Tagesschau allerdings nicht erweisen. Denn der schwammige und wenig justiziable Begriff "Staatsterror" wird oft als unmittelbare Schwelle unterhalb eines Krieges definiert. An keiner Stelle sprach daher die Karlsruher Bundesanwaltschaft von "Staatsterror". Sollte daher nicht auch die russophobe öffentlich-rechtliche ARD gewisse Darstellungen und Begriffe zum Thema Tiergarten propagandistisch etwas tiefer hängen?
Der Prozess wird am 27. Oktober mit weiteren Zeugenvernehmungen fortgesetzt.