Tierschützer, Kriminelle oder Abgeordnete?

Nach monatelanger, umstrittener Untersuchungshaft kam jetzt eine Gruppe österreichischer Tierrechts-Aktivisten frei

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Auf Anordnung der Oberstaatsanwaltschaft wurde die Untersuchungshaft gegen einige österreichische Tierschützer nach 110 Tagen aufgehoben. Sie waren aufgrund des so genannten Anti-Mafia-Paragrafen 278a des österreichischen Strafgesetzbuchs festgesetzt worden, was von etlichen Politikern, NGOs, Juristen und einigen Medien scharf kritisiert wurde. Denn der Sache haftet der Geruch der Polizei- und Justiz-Willkür an. Zwei Betroffene könnten nach der bevorstehenden Nationalratswahl in anderer Funktion wieder aufhorchen lassen und vielleicht eine Diskussion um den eigentlichen Sinn des Paragrafen und dessen korrekte Anwendung aufrecht erhalten - denn die Grünen stellten sie als unabhängige Kandidaten auf.

Ende Mai, also vor rund drei Monaten, wurden zehn österreichische Tierschützer in Untersuchungshaft genommen. Eine Nacht- und Nebelaktion, wie Betroffene berichteten. Vereinslokale und Wohnungen wurden durchwühlt, Computer beschlagnahmt. Der Vorwurf: Verdacht der Bildung einer kriminellen Organisation nach dem 278a StGB. Was den Tierschützern konkret vorgeworfen wurde, blieb dagegen weitgehend unklar.

Genau an dieser Undurchsichtigkeit und dem Geruch der staatliche Willkür entzündete sich eine öffentliche und politische Debatte. Denn wie die Anwälte der Inhaftierten betonten, gab es zunächst überhaupt keine eindeutigen Angaben zu konkreten Tatbeständen. Irgendwann 2006 wurden Fensterscheiben eines Bekleidungsgeschäftes zertrümmert und irgendwer sprühte „Pelz ist Mord“. Und es gab einige Buttersäureattentate. Aber wer dafür verantwortlich war, ist bis dato nicht eindeutig geklärt.

Von behördlicher Seite wurde ein Bezug zu ALF hergestellt. ALF bedeutet Animal Liberation Front, gegründet Mitte der 1970er-Jahre von dem Tierschutzaktivisten Ronnie Lee. Das Ziel: Tierversuche und die Tötung von Tieren zu verhindern. Es gibt auch eine deutschsprachige Website. Die „Tierbefreier“ veröffentlichen regelmäßig Bekennerschreiben zu diversen Aktionen. Mal wird ein Hochstand angesägt, mal werden Nerze "befreit", mal Tierquäler zur Anzeige gebracht. Mehrheitlich wird jedoch über Sachbeschädigungen berichtet, die sicher nicht gesetzeskonform sind – weder in Deutschland noch in Österreich.

Rechtswidrige "Aktionen" sind nun eine Sache, die Bildung einer kriminellen - ja "mafiaähnlichen" - Organisation eine andere - meinen Politiker, Journalisten und viele Juristen zu dem Fall in Österreich. Die Beschuldigten gehören unterschiedlichsten Tierschutzorganisationen an, die untereinander zerstritten, teilweise sogar verfeindet sind. Auch das passt nicht so wirklich ins Bild einer "mafiaähnlichen" Struktur. Und 110 Tage Untersuchungshaft sind eine sehr lange Zeit, die unweigerlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit aufwirft.

Einer der prominentesten Inhaftierten, Martin Balluch, Wiener Doppeldoktor in Physik und Philosophie, trat in Haft sogar in einen Hungerstreik. Der Aktivist der Organisation "Verein gegen Tierfabriken" hängte einst eine vielversprechende akademische Karriere an den Nagel und verschrieb sein Leben dem Schutz von Tieren. Der Verein kämpft gegen Massentierhaltung, Legebatterien, Pelzindustrie etc. „Die Untersuchungshaft dient scheinbar dazu, Menschen zu zermürben“, meinte seine Freundin Elisabeth Sablik vor wenigen Tagen noch gegenüber den Medien. Bei seiner Entlassung wirkte Balluch angeschlagen – abgemagert und blass. Er könne das alles „nicht in Worte fassen“, so der Aktivist kurz und knapp nach seiner Enthaftung.

Für den Grünen-Abgeordneten Peter Pilz wurde die Causa von der konservativen Volkspartei (ÖVP) forciert und ist ein Akt gegen kritische Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Gegenüber der Tageszeitung „Österreich“ sagte Pilz:

„Es handelt sich um eine ÖVP-Aktion gegen alle Umweltaktivisten. Es gibt gegen Balluch keine Beweise, allerdings hat sich der seinerzeitige Innenminister Günther Platter vom ersten Tag an über alle Aktionen berichten lassen. Mit genau denselben Argumenten könnte die Führungsetage von Greenpeace, attac oder Global 2000 verhaftet werden.“

Genau so sehen das etliche NGOs in Österreich. Die breite Solidarität aus diesen Kreisen für die Tierschützer ist auch von daher erklärbar. Der Vorwurf des „vorsorglichen Wegsperrens“ war während der letzten Monate des öfteren laut vernehmbar. Anfang Juni äußerte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einer mehrseitigen Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft eine ganze Reihe von Bedenken im Zusammenhang mit der Verhaftung der Tierschützer.

Hauptkritikpunkt sei, dass der Strafgesetz-Paragraf zur Organisierten Kriminalität den Tierschützer zum Vorwurf gemacht wird, sagte AI-Generalsekretär Heinz Patzelt. Diese Bestimmungen seien damals nach dem Anschlag vom 11. September 2001 im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eingeführt worden. Österreich habe da einen "sehr weitrechende Gummiparagrafen“ formuliert – und die würden immer die Gefahr bergen, „missbraucht zu werden“, so Patzelt sinngemäß. Er forderte deshalb "ganz dringend Transparenz".

Alexander Van der Bellen, Bundessprecher der Grünen, betonte ebenfalls, dass der Anti-Mafia-Paragraf gegen Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, also organisierte Kriminalität geschaffen wurde und deshalb nicht gegen die Arbeit von NGOs eingesetzt werden sollte. "Dieser Spuk muss ein Ende haben, durch Novellierung des Anti-Mafia-Paragrafen", forderte Van der Bellen anlässlich der Freilassung der Aktivisten.

Verschiedene Kommentatoren österreichischer Medien haben ebenfalls ein Problem mit der Rechtsauslegung in diesem Fall. Sehr treffend formulierte Michael Möseneder im österreichischen Standard vom 3. September 2008 sein Unbehagen. Zitat:

„Polizei und Justiz also vorbildlich im Einsatz für den Rechtsstaat? Nicht wirklich. Ein Jahr arbeitet eine Sonderkommission an dem Fall. Sie muss Verdachtsmomente haben, sonst wären die Hausdurchsuchungen von der Justiz kaum genehmigt worden - und dann sind 110 Tage nötig, um weitere Beweise zu sichern? Die Verdunkelungsgefahr war nämlich einer der Hauptgründe für die lange U-Haft. Mit Verlaub: Entweder hätte man schon vorher wissen sollen, wonach man sucht - oder schneller arbeiten müssen. Aber über drei Monate Menschen in Haft zu nehmen, um sie dann mit einer halbherzigen Argumentation wieder freizulassen, riecht verdächtig nach böser Absicht.“

Immerhin - die Tierschützer sind vorerst wieder auf freiem Fuß. Eine längere Untersuchungshaft wäre nicht verhältnismäßig, begründete die Staatsanwaltschaft die Entlassung, betonte aber, dass nach wie vor „Tatbegehungsgefahr“ bestünde. Wie die Staatsanwaltschaft weiter vorgehen will und ob Anklage erhoben wird, ist noch unklar.

Martin Balluch und eine weitere Tierschützerin könnten dann aber schon einen Abgeordneten-Status haben. Denn die Grünen luden zwei Aktivisten ein, als unabhängige Kandidaten auf ihren Listen für die bevorstehende Nationalratswahl zu kandieren. Eine „symbolische Kandidatur“, wie ein Grün-Mandatar sagte. Martin Balluch hat sich dem Vernehmen nach über die Einladung gefreut.