Tikrit: Massengräber mit 1.700 Leichen gefunden
Streit zwischen sunnitischen und jesidischen Kurden
Letzte Woche gelang es der vom Iran unterstützten schiitischen Hashid-Shaabi-Miliz und der irakischen Armee, die vorher neun Monate lang von der Terrorgruppe islamischer Staat (IS) beherrschte Stadt nach einer gut einmonatigen Offensive unter ihre gemeinsame Kontrolle zu bringen. Nun entdeckten die Soldaten in mehreren Massengräbern die Beweise dafür, dass die Terrorgruppe so grausam ist, wie sie sich in ihrer Propaganda selbst gibt.
In den Massengräbern sollen die Überreste von bis zu 1.700 schiitischen Soldaten liegen, die der IS bei seinem Vormarsch im letzten Jahr gefangen genommen, nach ihrer Konfession befragt und danach gezielt getötet hatte. Die Terrorgruppe verbreitete anschließend Fotos und Videos der Ermordung dieser Soldaten im Internet, deren Echtheit von Verschwörungstheoretikern bezweifelt wurde. Sie störten sich unter anderem daran, dass ihnen die Soldaten auf den Bildern nicht ängstlich genug aussahen.
Inzwischen versuchen irakische Forensiker, die einzelnen Leichen zu identifizieren, um den Angehörigen der Ermordeten Gewissheit zu gewähren. Dafür vergleicht man die DNA der Leichen mit der von Blutsverwandten, was vielen Familien zu langsam geht.
Im Norden des Irak gibt es währenddessen Streit zwischen der herrschenden (sunnitisch dominierten) Kurdenpartei KDP und der Jesidenmiliz Hêza Parastina Şingal ("Verteidigungskraft Sindschar"). Die Jesiden sprechen - wie die Mehrheit der irakischen Kurden - Kurmandschi, sind aber keine Sunniten, sondern hängen einer nichtislamischen Volksreligion an, aus der man nicht austreten kann.
Heydar Şeşo, der bis letzten Sommer in Bad Oeynhausen wohnhafte Anführer der Hêza Parastina Şingal, soll nun dem jesidischen Portal Ezidipress nach am Sonntagabend von den Behörden der autonomen Kurdenregion festgenommen worden sein. Şeşos Onkel Qasim formuliert auf Facebook etwas vorsichtiger, man habe seinen Neffen "eingeladen", einige Fragen zu beantworten.
Was der Hintergrund der Festnahme (oder "Einladung") ist, ist noch nicht ganz klar: Şeşo hatte der KDP in der Vergangenheit mehrfach vorgeworfen, die Jesiden im Sindschar-Gebiet im Stich gelassen zu haben. Seine 3.000 Mann starke Truppe finanzierte er nicht über die Regionalregierung, sondern bezog direkt Geld und Waffen aus Bagdad, was eine mögliche Ursache für Meinungsverschiedenheiten sein könnte.
Ein anderer Anlass wären Meinungsverschiedenheiten über das militärische Vorgehen: Jesiden forderten in den letzten Wochen auf Demonstrationen, dass vordringlich ihre verschleppten Frauen und Kinder befreit werden. Bei der Auflösung dieser Demonstrationen soll es zu etwa 150 Festnahmen gekommen sein. Möglich ist auch, dass ein Streit über den Status des Sindschar-Gebiets eskalierte: Das könnte zum Kurdengebiet gehören - oder (eventuell um andere Areale vergrößert) eine eigene autonome Jesidenregion werden.
Die im letzten Jahr angekündigten Pläne einer vollständigen Unabhängigkeit der irakischen Kurdenregion verfolgt die im Autonomiegebiet herrschende Barzani-Familie derzeit offenbar nicht weiter. Ein Grund dafür dürfte sein, dass der umstrittene ehemalige irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki von Haider al-Abadi abgelöst wurde. Al-Maliki galt vor allem als Vertreter seiner eigenen Volksgruppe, der arabischen Schiiten, und brachte sowohl Vertreter der arabischen Sunniten als auch der Kurden gegen sich auf.
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