Til Schweiger: Sturz des Imperators

Seite 2: Alternative Einschätzung der Sachlage?

So fehlt beim Spiegel jegliche alternative Einschätzung der Sachlage. Kaum zu glauben, dass von Hunderten Menschen, die mit Schweiger zusammengearbeitet haben, niemand die vorgetragenen Vorwürfe anders einordnen wollte denn als Skandal.

Wer akzeptiert, dass sich Zeugen nicht äußern wollen, weil sie Nachteile für ihre weitere berufliche Laufbahn befürchten, muss dieses Argument als unparteiischer Berichterstatter selbstredend allen Parteien zugestehen - also z.B. auch denen, die Schweigers Verhalten nicht groß problematisieren wollen. Möglicherweise erachten es auch Menschen als karriereschädigend, jetzt "das war doch nicht so schlimm" zu äußern.

Die Produktionsfirma Constantin hatte die Spiegel-Vorwürfe zunächst dementiert, später in Teilen eingeräumt. Beide Positionen können von Eigeninteressen beeinflusst sein. Die Frage könnte also jeweils sein: Wie kommen wir besser aus der Sacher heraus? Schützen wir unsere "Cashcow" (anonymes Zitat im Spiegel) oder schießen wir sie besser ab, damit die Wölfe sich an ihr gütlich tun können und uns in Frieden lassen?

Diese Ambiguität zeigte sich sehr schön bei der Enthüllung privater Nachrichten Döpfners in der Zeit. Ganz nebenbei entlasten die Journalisten Cathrin Gilbert und Holger Stark darin nämlich ausgerechnet Julian Reichelt vom Vorwurf des Machtmissbrauchs für sexuelle Gefügigkeiten, wenn sie schreiben:

>Der Chat zwischen der Frau [die Reichelt bezichtigt, "Sex auf Abruf" verlangt zu haben] und Reichelt zeichnet allerdings auch ein davon abweichendes Bild. Oft ist es die Frau, die von sich aus über Sex spricht und Reichelt fragt, ob er noch vorbeikommen wolle.

Die Zeit

Wenn die naheliegende Vermutung richtig sein sollte, dass die Zeit die Döpfner kompromittierenden Nachrichten von Reichelt bekommen hat, könnte diese sehr vorsichtige Verteidigung Reichelts zum Deal gehören, ob ausgesprochen oder unausgesprochen. In jedem Fall hat jeder Informant Interessen - und auch jeder Nicht-Informant, jeder schweigende Zeuge.

Womit wir beim Qualitätskriterium der Transparenz im Journalismus sind. Dass alle Medien wirtschaftliche Interessen verfolgen und dies Auswirkungen auf ihre Berichterstattung haben kann, sollte selbstverständlich sein. Über das Allgegenwärtige hinausreichende Konflikte sollten in der Berichterstattung und Kommentierung allerdings deutlich gemacht werden.

Hatte der Spiegel spezielle Interessen?

Interessen und Recherche

Julia Encke berichtet in der FAZ, die Schweiger-Story sei zunächst der Süddeutschen Zeitung (SZ) angeboten und dort auch weiter recherchiert worden.

Doch am Ende habe die Chefredaktion erklärt, "die Recherche könne in der Form nicht erscheinen" – und nun "waren vor allem auch die Filmschaffenden, die sich bereit erklärt hatten, Auskunft zu geben, aufgebracht".

Neben Eigeninteressen der Informanten gab es hier nach den Andeutungen Enckes auch Interessen der SZ, die mit der Filmproduktion Constantin eine Medienpartnerschaft verbinde, "die vorsieht, dass Redakteure und Autoren der SZ die Produzenten und Drehbuchautoren von Constantin bei TV- und Filmprojekten exklusiv beraten und Recherchen aus der Süddeutschen dabei in die neuen Projekte einfließen könnten".

Und auch weitere externe Interessen mögen eine Rolle bei der Investigation gespielt haben. So berichtet Alexander Wallasch, mit einem für den Filmbereich zuständigen Vertreter der Gewerkschaft Verdi gesprochen zu haben, der bekannt habe, "den Kontakt zwischen diesen ehemaligen Mitarbeitern der Schweiger-Produktion und der Spiegel-Journalistin hergestellt" zu haben. "Das hätte dann dazu geführt, dass Vertrauen aufgebaut wurde."

Wallasch vermutet hier Eigeninteressen der Gewerkschaft, konkret um neue Mitglieder zu werben. In jedem Fall war, wenn die Angaben stimmen, ein weiterer Player im Spiel - wovon die Leser beim Spiegel nichts erfahren haben.

Derweil läuft die Verwertungsmaschinerie der Medien auf vollen Touren. Ob Tageszeitung oder Blog: alle erzählen die Spiegel-Geschichte nach und machen aus jedem dazu auffindbaren Statement eigene Geschichten (Bsp: Nora Tschirner äußert sich auf Instagram, Nora Tschirner widerspricht dem Constantin-Chef) und erzählen alles nach (z.B. der Spiegel über seine eigene Berichterstattung).

Möglicherweise selbst mit produzierend, was sie angeblich nur berichtet, schrieb die Bild am Sonntag:

Noch am Donnerstagabend [27. April] hielt Til Schweiger beim Jupiter Award in Hamburg die Laudatio auf seinen "Manta Manta - Zwoter Teil"-Co-Star Tim Oliver Schultz. Nur wenige Stunden später veröffentlicht "Der Spiegel" die Geschichte "Der Imperator" - und Til Schweiger steht vor den Scherben seines Lebenswerks.

Dabei hat ausgerechnet der Spiegel schon vor Jahren bekannt, dass da etwas in der Chemie zwischen einigen Medien und Til Schweiger nicht stimmt - und die Verstimmung könnte in gekränkten Journalistenseelen zu finden sein:

Das Verhältnis zwischen Til Schweiger und Film- und Fernsehkritikern ist angespannt. Der Regisseur und Schauspieler verzichtet oft darauf, seine Filme zu regulären Pressevorführungen vor dem Start zugänglich zu machen.

Spiegel.de, 4. Januar 2016