Til Schweiger: Sturz des Imperators

Til Schweiger, Toronto International Film Festival 2009. Foto: Gordon Correll / CC BY-SA 2.0

Verwertungsmaschinerie der Medien läuft auf vollen Touren. Schweiger werden Gewaltexzesse, Alkoholsucht und Mobbing vorgeworfen. Warum die Öffentlichkeit schlecht informiert ist.

Die konkreten Vorwürfe, die der Spiegel in seiner Investigativ-Story "Er war der Gott" (Online-Titel: "Sie nennen ihn den 'Imperator'") gegen Til Schweiger erhebt, sind übersichtlich.

Er trinke während der Dreharbeiten Alkohol oder komme schon mal betrunken ans Set, pöbele Mitarbeiter an und sei einmal handgreiflich gegen einen Mann geworden. Claudius Seidl, bis 2020 Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, fasst es entsprechend so zusammen:

Er trinkt zu viel, dann benimmt er sich schlecht: Sehr viel mehr hat der "Spiegel" gegen Til Schweiger nicht in der Hand. Was soll also die Aufregung?

Claudius Seidl, Faz

In der Spiegel-Geschichte stehen viele anekdotische Details, sämtlich von anonymisierten Schweiger-Kollegen, über Monate zusammengetragen. Für eine Bewertung dieser Ausgangsgeschichte muss man sie lesen, doch damit beginnt das Medienproblem.

Das Medienproblem

Alle sprechen über einen "Fall Schweiger", doch nur die Spiegel-Abonnenten oder Einzelheft-Käufer haben dies möglicherweise getan. Alle anderen bedienen sich aus den Versatzstücken, die andere Medien überwiegend aus dem Spiegel kolportieren. Und müssen mit den Kommentierungen und Framings zurechtkommen.

Die Bild am Sonntag bringt "das Schweiger-Drama" vermutlich unfreiwillig auf den Punkt: "Jetzt die Schlagzeilen über Alkohol- und Gewaltexzesse." Als seien diese Schlagzeilen eine Zwangsläufigkeit. Wobei schon die Behauptung der "Gewaltexzesse" falsch ist. Denn die Spiegel-Schilderung des einzigen Falls lautet so:

Schweiger sei auf die Fabrikhalle zugetorkelt, den Drehort für diesen Tag. Unter anderem ein hochrangiger Mitarbeiter habe sich ihm in den Weg gestellt. [...] Es sei ein Gerangel entstanden, Schweiger habe sich Zugang zur Fabrikhalle verschaffen wollen. Doch der Constantin-Mitarbeiter habe ihn nicht durchgelassen.

Schweiger sei ausgeflippt: Er habe getobt, gebrüllt, er werde den Angestellten "kaputt" hauen. Dann soll Til Schweiger dem Mann ins Gesicht geschlagen haben. Crew-Mitglieder seien laut Zeugen dazwischen gegangen und hätten Schweiger festgehalten.

Spiegel

Wer ab und an Nachrichten verfolgt - ob nun im Springer-Boulevard, irgendwo online oder in einer noch existierenden papiernen Regionalzeitung -, wird unter "Gewaltexzess" etwas anderes verstehen. Und es ist laut Bericht auch nur dieser eine Fall bezeugt - kein Plural. Im Nachrichtenmagazin heißt es:

Während des Filmdrehs von "Manta Manta 2" hätten sich die Crew-Mitglieder bereits an einiges gewöhnt, sagen Zeugen. An Schweigers Trunkenheit und sein Geschrei. Daran, dass er Mitarbeiter beschimpfe und schikaniere. Aber Gewalt, so mehrere Set-Mitglieder, hätten sie von ihm noch nicht erlebt.

Spiegel

Die Enthüllungs-Story des Spiegel macht Til Schweiger für vieles verantwortlich, gelegentlich auch nur indirekt. Schlechte Stimmung, ein Klima der Angst ("gefühlt hat sich niemand getraut zu atmen" wird jemand anonym zitiert), Fehler und zwei Unfälle am Set, weil die Crew so übermüdet war. Was Schweiger damit zu tun hat?

Wenn er [Til Schweiger] an seinen Sets Alkohol trinke, so Menschen, die mit ihm gedreht haben, werde er nicht nur ausfällig. Er schlafe auch weniger. Stattdessen schneide er in seinem Trailer - von Mitarbeitern und ihm selbst "Todesstern" genannt - seine Filme oder schreibe das Drehbuch um.

Spiegel

So kämen spontan neue Szenen hinzu, die in einem ohnehin engen Drehplan realisiert werden müssten.

Insgesamt hätten mehr als "50 Filmschaffende, ehemalige und aktuelle Vertraute von Til Schweiger" mit dem Hamburger Magazin gesprochen. Niemand von diesen 50 war jedoch zuvor zu den nun behaupteten Problemen öffentlich zu vernehmen, niemand von diesen 50 vertritt seine Vorwürfe mit offenem Visier, niemand hat sich laut Martin Moszkowicz bei der Produktionsfirma Constantin Film gemeldet, welche die beiden letzten Schweiger Filme verantwortet.

Die Spiegel-Autorinnen Maike Backhaus und Alexandra Rojkov erwähnen zwar auch, ihnen lägen "Nachrichten vor, in denen sich Schweiger bei Betroffenen für Beschimpfungen entschuldigt" und Schweiger habe sich nach einer nicht näher beschriebene Demütigung einer Schauspielerin "vor seine Crew gestellt und unter Tränen gesagt, er könne sich an nichts erinnern, es tue ihm leid".

Und sie schreiben: "Fast alle Personen, die mit dem Spiegel gesprochen haben, betonen, dass Til Schweiger auch gute Seiten habe."

Doch an den Artikel und seine Rezeption im Journalismus insgesamt sind einige kritische Fragen zu stellen.

Relevanz?

Da ist zunächst die nach der Relevanz, wie sie der eingangs zitierte Claudius Seidl implizit schon aufgeworfen hat. Dass ein Mensch in verantwortlicher Position ein Problem mit seinem Alkoholkonsum hat, kann an sich wohl kein Thema für die Massenmedien sein. Backhaus und Roikov schreiben dazu:

Der Spiegel hat lange abgewogen, ob es vertretbar ist, über Schweigers mutmaßlichen Alkoholkonsum zu berichten. Suchtkranke sind ihrer Droge ausgeliefert und leiden oft unter ihrer Abhängigkeit. Doch Schweiger, so sagen es Mitarbeiter, habe auch bei der Arbeit so viel und so häufig getrunken, dass er nicht nur sich selbst gefährde. Sondern auch seine Crew.

Spiegel

Beim Magazin Übermedien liest sich das im aktuellen Newsletter so:

Über den Schauspieler und Regisseur Til Schweiger war kürzlich im "Spiegel" zu lesen, dass er angeblich doch kein knuffeliger Keinohrhase ist, sondern an seinen Filmsets öfter mal ausfällig und auch übergriffig wird – und dass er ein Problem mit Alkohol habe. Was Schweiger alles per Anwältin dementiert. [...]

Mich hat diese Sache an eine alte Geschichte erinnert, an der Schweiger auch beteiligt war, und in der es ebenfalls um Alkohol und Übergriffe ging.

2018 erzählte Schweiger der "Bild am Sonntag" ausführlich von seinem Freund und Nachbarn auf Mallorca, dem ehemaligen Radprofi Jan Ullrich, der ihn auf seinem, also: Schweigers Grundstück angegriffen habe, angeblich vollgepumpt mit Alkohol und Drogen. [...]

Schweiger sagte damals auch, er sei ihm nicht darum gegangen, seinen Kumpel "zu verpetzen", er habe das nur öffentlich gemacht, damit sich etwas ändere. Und das erlebt nun Schweiger selbst: 50 Film-Kollegen, die laut "Spiegel" über Schweigers mutmaßliche Probleme ausgepackt haben, wollen auch, dass sich etwas ändert. Bei Schweiger. Und in der Branche insgesamt.

Boris Rosenkranz, Übermedien Newsletter vom 6. Mai 2023

Doch wie soll die Öffentlichkeit helfen, wenn tatsächlich jemand ein Alkoholproblem hat? Im Spiegel-Text heißt es dazu von einer anonymen "Filmmitarbeiterin": "Ich möchte verhindern, dass er weiterdrehen kann."

Dass eine solche Berichterstattung jeder Karriere einen ordentlichen Dämpfer versetzen kann, zeigt die Mediengeschichte mannigfach. Aus der Branche waren es zuletzt vor allem der Springer-Chef Mathias Döpfner und dessen ehemaliger Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, die mit Aussagen anonymer Quellen zur öffentlichen Verhandlung ausgeschrieben wurden.

Ein Comeback versucht gerade Fynn Kliemann, der nach Vorwürfen eines "Masken-Betrugs" und vielen Gehässigkeiten in Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale aus der Öffentlichkeit verschwunden war.

Zur journalistischen Relevanz ist in all diesen Fällen zu diskutieren, woran es liegt, wenn juristisches Urteil der Justiz und moralisches Urteil der Medien so weit auseinanderliegen. Denn natürlich ist Journalismus nicht vom Votum der Judikative abhängig.

Recht und Moralvorstellungen von Journalisten

Vieles wird sicherlich zu Recht problematisiert, auch wenn oder gerade weil es laut Rechtsordnung okay ist. Schließlich ist es politisches Tagesgeschäft, hier stets zu prüfen, ob die Grenzen stimmen, ob zum Beispiel derzeit strafbewehrtes straffrei werden sollte (Stichwort: Cannabis) oder umgekehrt bisher für normal oder akzeptabel gehaltenes Verhalten gesellschaftliche Sanktionierung verlangt.

Andererseits ist es nicht unproblematisch, wenn die Rechtsordnung permanent allein ausgehend von persönlichen Moralvorstellungen einzelner Journalisten infrage gestellt wird und mithin legales Verhalten oder eine für zu gering erachtet Ahndung von Verfehlungen Delinquenten an den Pranger führen.

Denn regelmäßig bekommt zumindest das Publikum nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Leben einer öffentlich verhandelten Person mit. Von Til Schweiger mag man Filme kennen (oder sich auch ohne Kenntnis dieser ein Bild von seinem Schaffen machen zu können glauben), ein paar Schnipsel von Instagram oder Facebook, Zitate aus der Rubrik "Vermischtes" in der Tageszeitung oder eben wie aktuell eine Spiegel-Story - ein auch nur annähernd repräsentatives Bild kann dabei nicht entstehen.