Tod durch Blutkonserven: Was der Skandal in Großbritannien für Deutschland bedeutet

Blutprodukte werden in Deutschland inzwischen streng überwacht. Bild: Peter Porrini, Shutterstrock.com

Premier Sunak spricht von "Schande für den britischen Staat". Tausende Tote und Vertuschung. Wie Verantwortliche in Deutschland das Thema handhaben.

Eine von der britischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission hat erschütternde Ergebnisse über einen der größten Skandale im Gesundheitssystem des Landes veröffentlicht. Der "Infected Blood Scandal" betrifft bis zu 30.000 Menschen, die in den 1970er- bis Anfang der 1990er-Jahre durch kontaminiertes Blut und Blutprodukte mit HIV oder Hepatitis infiziert worden waren.

Grundsätzlich war es damals zu solchen Fällen auch in anderen Teilen Europas gekommen, vorwiegend in der Frühphase der HIV-Pandemie. In Großbritannien sorgt vor allem aber der Umgang mit den Fehlern für Debatten.

Ein Katalog des Scheiterns

Der frühere Richter Brian Langstaff, Vorsitzender der Untersuchungskommission, beschrieb das Desaster als "Katalog des Scheiterns". Er kritisierte scharf, dass aufeinanderfolgende Regierungen und medizinisches Fachpersonal die Patientensicherheit gefährdet haben.

Das öffentliche Gesundheitswesen und die Behörden hätten wissentlich Zehntausende Patienten gefährlichen Infektionen ausgesetzt und die Wahrheit darüber Jahrzehnte hinweg verborgen gehalten.

Zahl der Opfer und Folgen

Geschätzte 3.000 Menschen sind in Großbritannien im Zuge des Skandals gestorben und viele weitere leben mit chronischen Erkrankungen. Besonders betroffen waren Menschen mit Hämophilie, die eine Behandlung erhielten, die aus den USA importiert wurde und deren Plasma teilweise von Hochrisikospendern, wie Gefängnisinsassen, stammte, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

Reaktion der Regierung

In einer Sitzung des Unterhauses sprach Premierminister Rishi Sunak eine Entschuldigung für die tödlichen Fehler au. Er bezeichnete den Tag der Veröffentlichung des Berichts vor einer Woche als "Tag der Schande für den britischen Staat".

Sunak versprach auch, das historische Unrecht zu korrigieren und kündigte an, dass Details zu einem Entschädigungspaket, das derzeit eingerichtet wird. Doch auch über die Wiedergutmachung des Staates ist eine Kontroverse entbrannt.

Kritik von Betroffenen

Nigel Hamilton, der sich als Betroffener für Aufklärung und Entschädigung einsetzt, äußert Kritik an dem Entschädigungsplan für Opfer des Blutskandals. Das Vorhaben sei ungenügend, um den Betroffenen nachhaltig zu helfen.

Die Regierung in London hat einen Entschädigungsplan angekündigt, nach dem die Opfer jeweils etwa zwei Millionen Pfund erhalten könnten. Hamilton äußerte sich jedoch besorgt über zu viele Hürden in einem Entschädigungssystem.

Infektion durch Bluttransfusion im Alter von 16 Jahren

Hamilton, heute 63 Jahre alt, war erst 16, als er 1976 eine Bluttransfusion für eine Augenoperation erhielt. Sein Zwillingsbruder Simon, der am Weihnachtstag des vergangenen Jahres verstarb, hatte die Krankheit ebenfalls durch Bluttransfusionen erworben.

Der in London vorgelegte Bericht legt dar, dass viele Todesfälle und Erkrankungen hätten vermieden werden können, wenn die Regierung früher Maßnahmen gegen die Risiken von Bluttransfusionen oder der Verwendung von Blutprodukten ergriffen hätte. Bereits seit den 1940er-Jahren war bekannt, dass Hepatitis auf diese Weise übertragen werden können; gleiches galt für den HI-Virus Anfang der 1980er-Jahre. Die Behörden in Großbritannien hatten die Blutspender und -Konserven schlichtweg nicht hinreichend überprüft.

Forderungen nach Gerechtigkeit

Opferverbände wie "Tainted Blood" fordern nun Gerechtigkeit für die Betroffenen. Die Abgeordnete Diana Johnson, die sich lange für die Opfer eingesetzt hat, äußerte die Hoffnung, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich möglicher Strafverfolgung.

Der Abschlussbericht der Untersuchung basiert auf der Auswertung von Aussagen von über 5.000 Zeugen und mehr als 100.000 Dokumenten. Die Untersuchung wurde 2017 genehmigt und hat vier Jahre lang Beweise gesammelt und geprüft.

Skandale auch in Bundesrepublik

Auch in Westdeutschland hatten in den 1980er-Jahren Infektionen durch kontaminierte Blutkonserven das Vertrauen in Blutspenden erschüttert. Auch hier hatten Infektionen mit HIV und Hepatitis C zu Erkrankungen geführt.

Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 1993 gab es bis Ende der 1980er-Jahre etwa 1.500 Fälle von HIV-Infektionen durch Blutprodukte. Hepatitis C stellte ein weiteres großes Problem dar: Schätzungen zufolge infizierten sich in dieser Zeit mehrere Tausend Menschen durch Bluttransfusionen mit HCV.

Einführung strenger Sicherheitsprotokolle

Um solche Tragödien in Zukunft zu verhindern, wurden in Deutschland Maßnahmen zur Überprüfung und Sicherstellung der Sicherheit von Blutkonserven eingeführt.

Strikte Spenderauswahl: Durch detaillierte Fragebögen werden potenzielle Risikofaktoren identifiziert und ausgeschlossen. Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass nur gesunde und sichere Spender zugelassen werden.

Sicherheitsmaßnahmen heute

Laboruntersuchungen: Jede Blutspende wird auf Infektionserreger getestet. Dazu gehören Tests auf HIV, Hepatitis B (HBV), Hepatitis C (HCV) und Syphilis. Laut dem Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung von Blutprodukten zuständig ist, müssen alle Blutspenden auf diese Erreger untersucht werden.

Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAT): Diese hochsensitiven Tests können virale Nukleinsäuren direkt nachweisen und ermöglichen die Erkennung von Infektionen in einem sehr frühen Stadium. Diese Tests haben die Sicherheit von Blutkonserven signifikant erhöht. Eine Studie des RKI aus dem Jahr 2019 zeigt, dass durch die Einführung von NAT das Risiko einer Infektion mit HIV oder HCV auf weniger als 1 pro Million Bluttransfusionen gesenkt wurde.

Pathogen-Inaktivierung: Bestimmte Blutprodukte, wie Plasmakonserven, können durch spezielle Verfahren behandelt werden, um pathogene Mikroorganismen zu inaktivieren.

Regelmäßige Audits und Kontrollen: Blutbanken und Transfusionszentren unterliegen strengen Inspektionen und müssen umfassende Qualitätskontrollmaßnahmen erfüllen. Das Paul-Ehrlich-Institut führt regelmäßige Überprüfungen durch, um die Einhaltung dieser Standards sicherzustellen.