Tod eines Politikers
Seite 2: Gauck und Geiger
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Sowohl die verhaltene Bereitschaft zur Kooperation, als auch weitere Hinweise brachten die Gauck-Behörde in den Verdacht, Informationen zurückzuhalten. Die Lübecker erwirkten daher einen Hausdurchsuchungsbeschluss für die Gauck-Behörde und wurden damit überraschend in der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde vorstellig - ein bis dahin beispielloser Vorgang. Behördenchef Joachim Gauck und insbesondere sein Stellvertreter Hansjörg Geiger reagierten zunächst ungehalten, kooperierten jedoch, sodass eine förmliche Vollstreckung nicht erforderlich war.
Eigentlich hätte die Durchsuchungsaktion diskret bleiben sollen - schon aus kriminaltaktischen Gründen. Doch der gedemütigte Gauck ging an die Presse und beschwerte sich auch bei der Generalstaatsanwaltschaft über die angeblich rechtswidrige Aktion. Gaucks Wort hatte anscheinend politisch ein höheres Gewicht als der Anspruch des Rechtsstaats, beim Verdacht eines Verbrechens auch gegenüber Geheimdienst-Behörden ermitteln zu dürfen. Die Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls stellte sich überraschend nicht vor ihre Behörde. Dies markierte den Beginn einer Kontroverse zwischen dem Justizministerium in Kiel und Wille, die zum Großteil über die Presse ausgetragen wurde. Die Uneinigkeit der Behörden war für Informanten alle andere als einladend.
Wille ließ 70 ehemalige Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit wie etwa DDR-Abhörspezialisten sowie 100 weitere Personen vernehmen, doch die Spuren in Richtung DDR, in die Schäuble und der BND gewiesen hatten, blieben unergiebig. Der Devisen-Beschaffer Alexander Schalck-Golodkowski und Spionagechef Markus Wolf wurden nicht gehört, da sie erklärt hatten, nichts zu wissen. Wolf allerdings hatte auf die Frage eines Journalisten zum Fall Barschel geantwortet: "Wollen Sie das wirklich wissen?" Skurril jedenfalls wirkte ein angeblicher "Barschel-Brief", den die Fälscher des MfS deutschen Medien zugespielt hatten, um Politiker in Misskredit zu bringen, was jedoch Wolfs Nachfolger Großmann zu verantworten hatte. Der BND, dem die diskreten Grenzübertritte von Barschel kaum verborgen geblieben sein sollten, wollte von nichts gewusst haben.
Medien
Nicht nur von oben erhielt Wille Druck, auch mit den Medien machte er eigenartige Erfahrungen. Journalisten hielten sich nicht an Absprachen oder bauschten Berichte auf. Den einen gingen die Untersuchungen nicht weit genug, den anderen erschienen sie lächerlich. Immer wieder wurden Dokumente zur Presse durchgestochen. Da Wille aufgrund der Spannungen mit seinen Vorgesetzten zwischenzeitlich einen "Maulkorb" erhalten hatte, durfte er sich gegen Anwürfe kaum wehren. Der im nördlichsten Bundesland dominierende Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ) fiel durch seine Nähe zu Politikern der Landesregierung auf, deren Ergebnisse aus der Schubladen-Affäre nicht mit denen von Wille harmonierten. Die Lokaljournalisten stilisierten Wille zu einem Besessenen, der sich in etwas verrannt habe, es handele sich eindeutig um Selbstmord.
Die zahlreichen Ungereimtheiten am Tatort wurden tapfer ignoriert, obwohl nicht einmal die ominöse Freitod-Methode in der Badewanne zutraf. So sieht jene Anleitung vor, dass der durch Betäubungsmittel Bewusstlose mit dem Kopf unter die Wasseroberfläche gleitet und schmerzfrei ertrinkt, was bei Barschel gar nicht der Fall war. In Barschels Körper waren vier Substanzen nachgewiesen worden, zu denen keine Verpackungen gefunden wurden, eine davon war nur noch in Dänemark oder der DDR im Handel.
Reste einer Substanz fanden sich in einem seltsamerweise ausgewaschenen Whisky-Fläschchen, auch fanden sich an den Wasserhähnen keine Fingerabdrücke. Rätsel gab insbesondere ein ausgerissener Hemdknopf auf, der in dieser Weise schwerlich vom Hemdträger ausgerissen werden konnte - wozu auch? Völlig unerklärlich erwies sich ein schließlich nachgewiesenes Lösungsmittel, das einen Vorleger verfärbt hatte und dort einfach nicht hingehörte. Das Mittel wird in der Veterinärmedizin verwendet, um Haut durchlässig für Salben zu machen, also den Transport von Substanzen in den Körper, ohne eine Einstichwunde erkennen zu lassen.
Die originellste "Erklärung" für die eigenartige Spurenlage bietet nach wie vor der vormalige SPIEGEL-Journalist Hans Leyendecker, der eine Verschwörungstheorie mit einem geheimen Sterbehelfer ausgab. Warum ein Sterbehelfer Barschel an der Stirn ein Hämatom zugefügt haben sollte, erschließt sich jedoch nicht. Anzeichen für einen bevorstehenden oder gar organisierten Freitod waren in Barschels letzten Tagen nicht auszumachen, vielmehr erwog er ein Auswandern nach Kanada. Angesichts der Ergebnisse des Schubladen-Ausschusses, die den Rivalen Engholm des Meineids überführten, hätte Barschel durchaus Aussicht auf wenigstens teilweise Rehabilitation gehabt, auch standen ihm Chancen außerhalb der Politik offen. Skandale hatten schon ganz andere ausgesessen. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass der für Eitelkeit und Inszenierung bekannte Barschel diese Welt mit einem so jämmerlichen Bild verlassen hätte, das ähnlich demütigend wirkte wie ein hingerichteter Mafia-Verräter, dem man zur Abschreckung einen Geldschein in den Mund steckt. Nachdem Barschel, der sich auch von seinen Parteifreunden verraten fühlte, kurz zuvor damit gedroht hatte, "auszupacken", wäre wenigstens ein geharnischter Abschiedsbrief zu erwarten gewesen.
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