Tod eines Politikers

Seite 3: Geheimer Waffenhandel

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Der Journalist Peter F. Müller stellte Wille ein Video-Interview zur Verfügung, in dem der bereits erwähnte südafrikanische Agent Stoffberg behauptet, Barschel sei in Waffengeschäfte mit Irak und dem Iran verwickelt. Beim Iran sei es u.a. um Nukleartechnologie gegangen. Der spätere CIA-Chef Robert Gates habe Barschel nach Genf zu einer Unterredung bestellt, in der sich Barschel, der mit Enthüllungen drohte, als Sicherheitsrisiko erwiesen habe. Ein gewisser Ross Wood ("Tom Sunde"), der ein Hitman in Diensten von CIA und NSA etc. sei, habe den Job erledigt.

Stoffberg war selbst ein "Mann fürs Grobe" und brüstete sich gemeinsamer vergangener Operationen mit Wood. Der Südafrikaner, der auch als Waffenhändler definitiv ein Insider war und einen glaubwürdigen Eindruck machte, berichtete allerdings nicht aus erster Hand. Sein Motiv für seine Redseligkeit soll seine Empörung über amerikanische Dienste sein, welche deutsche Politiker kontrollierten. Nicht alle Details hielten einer Überprüfung stand, allerdings verblüffte er mit seinem Insiderwissen, dass Barschel einen Neuanfang in Kanada erwogen hatte. Über Müller gelang es, Kontakt zu einem Gesprächspartner Stoffbergs in Australien herzustellen. Eine Vernehmung kam jedoch nie zustande, was nicht zuletzt mit einer Indiskretion zusammenhing, die aus einem obskuren Kleinkrieg zwischen Wille und dem Generalstaatsanwalt resultierten sollte.

Untersuchung politisch unerwünscht

Die Spannungen zwischen dem Ministerium und den Lübecker Staatsanwälten erhöhten sich im März 1996, als der Generalstaatsanwalt anwies, die Ermittlungen bis zum Sommer abzuschließen - ein bemerkenswerter Umgang mit dem Legalitätsprinzip, der im geltenden Recht keine Grundlage hat. Wille wurde klar signalisiert, es müsse sich um einen Suizid gehandelt haben. Nach der anstehenden Landtagswahl ließ der neue Justizminister die Ermittler jedoch gewähren. Dann allerdings lief ein zwielichtiger Journalist, dem Wille für sein gescheitertes Buchprojekt nicht gefällig genug gewesen war, Amok, indem er gegenüber Medien und auch Willes Vorgesetzten vermeintliche Verfehlungen lancierte. Von der Beantragung eines Disziplinarverfahrens (was an sich ein dienstinterner und denkbar vertraulicher Vorgang ist) erfuhr Wille erstmals von einem Journalisten, von der Einleitung sogar aus der Presse, die vorab informiert war. Obwohl an diesen Anschuldigung nichts dran war, wurde das Verfahren rechtswidrig in die Länge gezogen. Eigentlicher Hintergrund war der Unmut über Willes aufwändige Untersuchungen, die kein greifbares Ergebnis versprachen, aber vielen auf die Füße traten.

Nun meldete sich Geiger, mit dem Wille in der Gauck-Behörde aneinander geraten war. Geiger war inzwischen zum Präsidenten des BND aufgestiegen und beschwerte sich in einem Brief an den Generalstaatsanwalt darüber, dass Wille mehrfach den BND kritisiert habe. Der Generalstaatsanwalt setzte Wille im Januar 1997 eine Frist von drei Monaten, um das leidige Verfahren zu beenden, ansonsten werde er es an sich ziehen. Da dies Wille nicht ausreichte, zog der Generalstaatsanwalt die Ermittlungen an sich und wies an, keinerlei Ermittlungen durchzuführen. Die Weisung wurde bald darauf jedoch zurückgenommen - der Justizminister hatte aus den Reihen der SPD Proteste bekommen.

Kurz darauf fanden vertrauliche Informationen ihren Weg in die Schleswig-Holsteiner Presse, die Willes Arbeit ins Lächerliche zog, sogar Klarnamen von Informanten wurden preisgegeben. Ein Zeuge aus dem Bereich der Mafia bekam daraufhin eine Todesdrohung, die das BKA außerordentlich ernst nahm. Der entsprechende Journalist räumte ein, dass die Informationen von oben durchgestochen waren. Auch Willes einstiger Rivale Nešković nutzte die Gelegenheit, die Lübecker Staatsanwälte als Verschwörungstheoretiker zu denunzieren. In die gleiche Kerbe schlug Hans Leyendecker im SPIEGEL, wo er beharrlich seine Selbstmord-These verteidigte. Das vergiftete Klima zwischen dem Generalstaatsanwalt und dem Lübecker Behördenleiter war irreparabel beschädigt. Im April 1997 nahm der Vorgesetzte schließlich seinen Hut.

Runder Tisch der Toxikologen

Nach drei Jahren Vorbereitung konnte Wille endlich den "Runden Tisch" der Toxikologen organisieren, der jedoch kein eindeutiges Ergebnis förderte. Eine natürliche Erklärung für die tödlichen Substanzen in Barschels Körper wurde jedenfalls nicht gefunden. Prof. Brandenberger zufolge indizieren die chemischen Befunde einen professionell durchgeführten Mord. Er geht davon aus, dass die tödliche Substanz erst im betäubten Zustand nach den drei anderen Mitteln verabreicht wurde, was Suizid ausschließt. Irritiert zeigte sich Brandenberger vom Insistieren seiner Kollegen auf einer mögliche Selbsttötung mit Beihelfer. Eine solche Sterbehilfe hält er schon wegen des offenbar rektal eingeführten Giftes für unwahrscheinlich.

10. Jahrestag

Nach langwierigen Vorbereitungen gelang es Wille endlich, den vormaligen iranischen Staatspräsidenten Bani-Sadr im französischen Exil vernehmen zu lassen (siehe hierzu Teil 2), der bereits im Mykonos-Prozess ein wichtiger Zeuge gewesen war. Zum 10. Jahrestag resümierte der Republik oberster Deuter Leyendecker, der unter geheimnisvollen Umständen zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gewechselt war, alles andere als Selbstmord sei absurd. Leyendeckers vormaliges Blatt DER SPIEGEL allerdings war sich inzwischen nicht mehr so sicher. Auch die TV-Magazine tendierten nun zur Mordvariante.

Abū l-Hasan Banīsadr (2010). Bild: Peter Weis, Public Domain

1998 legte Wille einen 250 Seiten starken Gesamtbericht vor und stellte das ausermittelte Verfahren ein. Obwohl die Ermittler eine eindeutige Meinung hatten, verkniffen sie sich im Bericht die ausdrückliche Schlussfolgerung "Mord". Ein Täter war nicht gefunden worden, dafür jedoch etliche Parteien, die ein Mordmotiv gehabt hätten. Mit den Mitteln des Rechtsstaats war der Fall nicht mehr aufzuklären. Das 14.000 Seiten umfassende Ermittlungsverfahren wurde im Juni 1998 eingestellt.

Unerwünschtes Buch

Zum 20. Jahrestag des Barschel-Falles wollte Wille 2007 seine Ermittlungen in Buchform veröffentlichen und darin auch Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Druckrecht hatte sich DER SPIEGEL gesichert. In seinem Manuskript rätselte Wille über die Motive seiner diversen Vorgesetzten, welche die Arbeit der Lübecker Staatsanwälte auf diversen Ebenen behindert hatten. Ob die Gesamtheit der Widerstände Zufall war, oder ob System dahinter steckte, mochte er nicht entscheiden.

Die hierzu beantragte Nebentätigkeitsgenehmigung wurde Wille jedoch vom Generalstaatsanwalt mit dem interessanten Argument versagt, dieser würde sich der Untreue schuldig machen, gestattete er den "privaten Verkauf wesentlicher Inhalte der Dienstleistung durch einen Beamten". Eine solche Buchveröffentlichung verstoße gegen die "Pflicht des Beamten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen" - was Unsinn war, da das Buch ja schon geschrieben war und vergleichbare Buchprojekte nie beanstandet wurden. Ein gegen die Versagung geführtes Eilverfahren scheiterte und wurde auch vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Beschwerde angenommen. In der Hauptsacheklage gab das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein Wille 2008 Recht, jedoch verhinderte die hiergegen eingelegte Berufung weiterhin das Erscheinen des Buches.

In Teil 2: Barschels Mörder?

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