"Tod im Kreuzfeuer"

Ein Tribut an den englischen Journalisten Robert Fisk und seine mutige Nahost-Berichterstattung gegen den Strom

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wann immer es im Nahen Osten brennt, lohnt es einen Blick in die englische Tageszeitung The Independent zu werfen. Denn diese hat den Journalisten Robert Fisk als Nahost-Korrespondenten unter Vertrag. Wie kaum ein anderer versteht er es, die Dinge beim Namen zu nennen. Diesmal hat die weitläufig verwendete Formulierung vom "Tod im Kreuzfeuer" den Zorn des Schreibers zu einem Artikel inspiriert.

Der spätestens mit dem Golfkrieg international bekannt gewordene Fisk eröffnet seinen Artikel mit einer Anspielung an ein berühmtes Zitat: "Wann immer ich die Worte "vom Kreuzfeuer erwischt" lese, greife ich zur Feder". Laut Fisk bedeutet diese Phrase bezogen auf den Nahen Osten praktisch immer, dass die Israelis einen Unschuldigen getötet haben. Im Zentrum seines Artikels steht die Empörung über die Berichterstattung durch die Nachrichtenagentur AP und anderer führender westlicher Medien wie BBC World Service über den Tod des zwölfjährigen Mohammed al-Durah im Gaza-Streifen. Er sei "im Kreuzfeuer" gestorben, gerade so, als hätte ihn eine verirrte Kugel getroffen, während die ganze Welt im Fernsehen sehen konnte, wie Vater und Sohn hinter einer Mauer Schutz suchten, welchen diese vor den schweren Geschoßen der israelischen Armee offensichtlich nicht bieten konnte. Fisk benennt die Ungleichheit zwischen Aufständischen, die mit Molotow-Cocktails und Steinen "schießen", während die andere Seite mit Panzerabwehrgranaten zurückschießt.

Im Anschluss daran verweist Fisk darauf, wie sich plötzlich der Fokus der Berichterstattung verschob. Nach der Eskalation am Sonntag ginge es in den westlichen Medien nun darum, dass sich Palästinenser und Israelis gegenseitig für die "Eskalation der Gewalt" verantwortlich machen. Er kritisiert, wie die Signifikanz des Besuchs von Ariel Sharon am Tempelberg heruntergespielt wurde und erinnert an die verheerende Rolle Sharons in der Vergangenheit, z.B. bei der Beschießung einer UN-Schutzzone im südlichen Libanon 1996, als 106 Zivilisten "im Kreuzfeuer" starben. Die westlichen Medien mögen das vergessen haben, nicht so die Palästinenser. Während Agenturreporter die rhetorische Frage stellen, ob die Ereignisse nun den "Friedensprozess" ins Wanken bringen, erinnert Fisk daran, dass die Gewalt exakt eine Folge des Fehlens eines echten Friedensprozesses ist. Umso leerer klingen die Worte unserer Politiker, die nun "beide Seiten" zu Besonnenheit und einem Ende der Gewalt auffordern.

Schließlich kommt Fisk zu der Frage, warum Journalisten führender Nachrichtenmedien die Dinge nicht beim Namen nennen können. Agieren sie nur wie eine Schafsherde oder steckt vielleicht das tiefsitzende Vorurteil dahinter, dass die Palästinenser von Natur aus gewaltbereite Fanatiker seien, die sich als selbstmörderische Unruhestifter quasi freiwillig in den israelischen Kugelhagel werfen? Fisk versteht es, seinen Artikel nicht als fingerzeigender Moralapostel zu beenden, sondern mit einer großen Frage. Damit macht er den zwischen Besatzern und Besetzten klaffenden Abgrund sichtbar, vor allem aber die irritierende Gedankenlosigkeit im Sprachgebrauch führender Medien, denen die westlichen Industrienationen vertrauen.

Seine Kritik englischsprachiger Medien läßt sich mühelos auch auf deutsche Nachrichtenorgane ausdehnen. Auch hier regiert die Formel vom "Tod eines zwölfjährigen Palästinenserjungen [...] der mit seinem Vater ins Kreuzfeuer geriet" (Spiegel Online). Von "um sich greifender" und "eskalierender Gewalt" ist die Rede (SZ), der Menschen zum Opfer fallen, ganz so, als gäbe es keine benennbaren Gründe dafür. Weitere Beispiele ließen sich mühelos finden. Doch im Kern geht es darum, dass die angeblich "objektive Berichterstattung" der etablierten Medien exakt nur beim Leichenzählen ist, während ausgeklammert wird, dass dem palästinensischen Volk fortwährend Unrecht zugefügt wird.

Solche selektiven Auslassungen erfolgen nicht nur bei der Nahost-Berichterstattung. Sie sind so zahlreich, dass man sie leider schon zum "business as usual" zählen muss. Sicherlich, niemand ist fehlerfrei, schon gar nicht Journalisten. Und man könnte selbstkritisch anmerken, dass auch Telepolis Fehler unterlaufen, so dass wir nicht mit Steinen werfen sollten, da wir doch selbst im (Medien)Glashaus sitzen. Doch geht es hier nicht um individuelle, sondern systemische Fehlleistungen, die zu einer Verbiegung der Nachrichtenrealität führen. Gerade bezüglich der fortwährenden Tragödie im "Gelobten Land", mit all dem historischen Ballast und drohenden globalen Auswirkungen, ist das besonders inakzeptabel. Aber zumindest gibt es einen Robert Fisk, der die Dinge beim Namen zu nennen weiß. Deshalb, was den Nahen Osten betrifft, lesen Sie Fisk im Independent.