Tod von Abdelhamid Abaaoud bestätigt
Abaaoud, der als Drahtzieher der Pariser Terroranschläge bezeichnet wird, spielte Katz und Maus mit den Geheimdiensten; Landesgrenzen waren kein Hindernis
Der Pariser Staatsanwalt François Molins bestätigte heute Mittag, dass einer der Toten in Saint Denis als Abdelhamid Abaaoud identifiziert wurde. Der Vergleich "papillärer Spuren" habe Gewissheit erbracht.
Der Tod des gesuchten Terroristen infolge des Polizeizugriffs im Pariser Vorort war gestern Abend bereits von der Washington Post mit Berufung auf Ermittlerkreise gemeldet worden (vgl. Tote bei der Fahndung nach den Attentätern), doch warteten die französischen Medien die Bestätigung durch den Staatsanwalt ab. Als Premierminister Valls heute Mittag dessen Nachricht vor dem Parlament, wo über neue Sicherheitsgesetze beraten wird, bekannt gab, applaudierten die Abgeordneten.
Der belgische IS-Dschihadist wurde in den letzten Tagen als Planer der Anschläge vom 13. November porträtiert. Dass ihm die französischen Anti-Terroreinheiten der Polizei, RAID und BRI, so schnell auf die Spur kamen und ihn unschädlich machten, ist zu allererst ein großer Erfolg, der der Regierung unter Präsident Hollande Rückendeckung für den ausgerufenen "unerbittlichen Kampf" gegen den Terror verschaffen wird: für die Verlängerung des Ausnahmezustands, für die neuen gesetzlichen Regelungen zur Bewaffnung der Polizei, deren Waffeneinsatz, das Herabsenken der Schwellen für Hausdurchsuchungen und Hausarreste u.a..
"Syrien verlassen und dorthin reisen, ganz wie ich wollte"
Die Erfolgsmeldung vom Tod des "Terror-Mastermind" wird allerdings von einigen unangenehmen Kollateralerkenntnissen begleitet. Von vergleichsweise harmlosen Fragen: Wie es sein kann, dass eine angemietete Wohnung in Saint Denis von einer gepanzerten Tür gesichert wird, die die Spezialkräfte der Polizei derart vor Probleme stellt, dass das Überraschungsmoment perdu war? Es folgten heftige Schusswechsel - 5.000 Schuss verfeuerten allein die Polizisten -, Granatenwürfe, eine stundenlanger Belagerung, der Einsturz der Decke. Unter dem Schutt fand sich dann die bis zur Unkenntlichkeit zerschossene Leiche von Abdelhamid Abaaoud.
Dass er sich überhaupt dort aufhalten konnte, in einem Pariser Vorort, nach allem, womit er schon vor den Terroranschlägen am vergangenen Freitag in Verbindung gebracht worden war, stellt die brenzligeren Fragen. Sein Gesicht war seit mehr als einem Jahr sämtlichen Geheimdiensten bekannt, den französischen allemal.
Trotzdem konnte er in Europa umherreisen. Auch in Deutschland, laut Spiegel. Im IS-Magazin Dabiq vom Februar dieses Jahres brüstet sich Abaaoud, aka Abu Umar der Belgier, damit, dass er Katz und Maus mit den Geheimdiensten spielen konnte:
Alhamdulillāh, Allah hat ihr Sichtfeld getrübt und so war es mir möglich, Syrien zu verlassen und nach Syrien zu kommen, ganz wie ich wollte, obwohl ich von so vielen Geheimdiensten gejagt wurde.
"Früher fuhr ich Jet-Ski"
Im März 2014 brachte Paris Match eine Reportage über die französischen IS-Schwadrone, darin findet sich das berüchtigte Angeber-Video, in dem Abaaoud einen Pick-up fährt, der die Leichen der Gegner hinterherzieht - mit Gesichtsgroßaufnahmen von Abdelhamid Abaaoud. Abu Umar (oder Omar) wird darin gleich zu Anfang mit den Worten zitiert:
Früher betrieben wir Jet-Ski, vergnügten uns mit Quads, mit Motocross, hatten Anhänger mit Gepäck und Geschenken, um in die Ferien zu fahren.
Jetzt habe man anderes als Anhänger, man könne ihn gerne filmen…
Sein Gesicht prangte seit 2014 auf den einschlägigen Social-Network-Seiten, sagen französische Terrorexperten, er war eine Art "Posterboy" des IS. An den europäischen Grenzen spielte das keine Rolle.
Das geht über Erstaunen und einer Sicherheitslücke hinaus. Man muss sich das vergegenwärtigen und verstehen. Das Gesicht dieses Mannes ist das bekannteste Gesicht des französisch-sprachigen Dschihad. Es prangte im letzten Jahr mehrere Tage lang permanent über allen Newskanälen in Frankreich. das ist jemand, der 2013 und 2014 auf seiner eigenen Facebook-Seite unter seiner echten Identität Videos postete aus Syrien mit der Panzerfaust im Arm, um andere dazu zu bewegen, sich dem Kampf anzuschließen.
David Thompson
Spätestens nach den vereitelten Anschlägen in Belgien, in Verviers, im Januar dieses Jahres, wurde er als Führer einer IS-Terrorzelle einer größeren internationalen Öffentlichkeit bekannt wurde. Abaaoud steht zudem mit terroristischen Akten in Verbindung, die mit Frankreich und Belgien zu tun hatten, z.B. mit dem Thalys-Attentäter Link auf 45789 und mit Mehdi Nemmouche, dem Attentäter und Syrienheimkehrer , der im Juni 2014 im Eingang des Jüdischen Museum in Brüssel um sich geschossen hatte.
Unheimliche Verhältnisse
Ob er sich schon länger in Frankreich aufhielt, ist derzeit nicht bekannt. Für die französischen Fahnder war es eine Überraschung, als sie die Information erhielten, wonach er in Saint Denis sein soll (vgl. Weggeworfenes Handy führte die Polizei zu einem Terrorunterschlupf). Im Pariser Vorort sind die Verhältnisse in "unheimlicher Weise" so wie im algerischen Oran der 1990er-Jahre, wie kritische Bewohner es darstellen. Dass dort ein IS-Posterboy so leicht Unterschlupf findet, ist beunruhigend und ein weiteres Zeichen für Lücken in der Sicherheit.
Die belgisch-französische Dschihad-Schwadrone in Syrien sind groß, sagen Kenner der Szene. Die Frankophonen wohnen dort zusammen, das Verhältnis sei eng. Auf Videos waren seit Jahren zum Teil fröhlich vorgetragene Drohungen zu hören, wonach man in Frankreich zuschlagen werde. Mit Abdelhamid Abaaoud wurde nicht der Planer getötet, sagt Wassim Nassr, einer der Experten.
Abaaoud habe über sehr gute Verbindungen verfügt, er kannte die Netzwerke, wusste, wie man an Waffen kommt (vorzugsweise in Belgien), an Wohnungen, er war bestens mit der Logistik vertraut, aber nicht der Kopf der Operation, so Nassr. Laut David Thomson dürfte es Dutzende operationeller Dschihadisten in Frankreich geben, die mit Kampferfahrung aus Syrien zurückgekehrt sind.