Tom Cruise: Sieg im Kampf gegen die Weltherrschaft des Computers

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins. Bild: © Paramount Pictures

Die Wahrheit in der Welt der Lügen: Was uns "Mission: Impossible 7" über das Kino und über unsere Welt verrät.

"You stepped into a world of lies." Mission: Impossible 7

Wie im Kalten Krieg geht es los: Ein russisches Atom-U-Boot macht unter dem Arktis-Eis seine Torpedos scharf. Es heißt "Sevastopol" wie der Krim-Hafen; das Logbuch vermutlich des Kapitäns ist der Text aus dem Off, man denkt: Selbstbewusstsein, Härte, Spartanertum, Disziplin und was dergleichen Russen-Klischees mehr sind

Und man glaubt schon, in den Russen den neuen alten, zeitgemäß-zeitlosen Gegenspieler dieses Films zu erkennen, bevor klar wird: Die Russen sind nur das erste Opfer.

Das Opfer in einem Kampf, der die ganze Menschheit bedroht, weil der Gegner so unfassbar ist wie nie zuvor. Denn es handelt sich nicht mehr um Menschen allein – diesmal kämpfen Ethan Hunt und sein "IMF"-Team gegen eine böse, übermächtige Künstliche Intelligenz: "The Entity".

Dieses Wesen ist ihnen dank seiner algorithmischen Vorhersagekraft immer mindestens einen Schritt voraus. Die Regierungen auf der ganzen Welt wollen es nicht zerstören, sondern in ihren Besitz bringen, um die Welt zu kontrollieren.

Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil eins (17 Bilder)

Bild: © Paramount Pictures

Es ist Ethan Hunts Aufgabe, nun das Anliegen der Menschheit mit den Interessen der Regierungen zu harmonisieren. Diese Mission wird dadurch behindert, dass er auf mehreren Ebenen mit Mittelsmännern, Geheimagenten und Ermittlern konfrontiert ist, die alle auf der Suche nach dem georgskreuzförmigen Schlüssel sind, der ihnen hilft, das Geheimnis zu enthüllen.

Die wichtigsten Debatten unserer Gegenwart

Es stimmt, dass dies die wichtigsten Debatten unserer Gegenwart aufnimmt. Aber wirklich weiter führt er sie nicht. Eher spielt der Film mit den Ängsten des Publikums. Aber er will nicht wirklich "relevant" sein, ist es auch nicht auf dieser Ebene, und das ist gut so.

Nach der U-Boot-Szene geht allein die Exposition noch knappe 20 Minuten weiter. Wir sind dann in der Wüste, irgendwo in Arabien. Kopfgeldjäger sind Ilsa "You get her out of trouble she always finds her way in" Faust auf den Fersen. Ethan Hunt, der entweder jagt oder gejagt wird, ist hier wiederum diesen auf den Fersen; allein.

Wir sehen, wie er sich vor ihnen hinter einer Sanddüne verbirgt, sein Pferd liegt ganz flach und ruhig auf dem Boden: ein bekannter Trick, für den arabische Hengste trainiert sind, und den Karl-May-Leser längst aus den Bänden um Kara Ben Nemsi kennen. "Ri", der großartige Rappenhengst des Deutschen in der Wüste konnte das auch. Aber woher kennt ihn Tom Cruise?

Dann kommt ein Sandsturm. Ri und Kara Ben Nemsi galoppieren in letzter Sekunde zu Ilsa Faust, retten sie im Chaos des Unwetters, und wir denken einmal mehr, dass "Mission: Impossible" sowieso eine Wiederholung der Wiederholungen ist.

Verschachtelte Dimensionen

Regisseur Christopher McQuarrie setzt in seinem dritten Filmbeitrag zur bislang siebenteiligen "Mission Impossible"-Reihe auf eine schnelle, abwechslungsreiche Mischung aus ausgeklügeltem Suspense, Action mit so halsbrecherischen, wie kaum computergenerierten Stunts und dem eleganten Humor klassischer Hollywoodfilme, mit denen schon ein Alfred Hitchcock in seinen Thrillern für Entspannung sorgte.

Mal liegt dieser in schlagfertigem Dialog-Pingpong zwischen Mann und Frau, mal in dem so alten wie wirkungsvollen Einfall, zwei Menschen, die sich immer wieder entkommen wollen, mit Handschellen aneinander zu ketten.

Der Film mischt dabei geschickt die Wiederholung ikonischer "Mission: Impossible"-Elemente – die Kunststoff-Gesichts-Masken, die perfekt falsche Identitäten vorgaukeln; die obligatorische Verfolgungsjagd durch enge Gassen; Ethan Hunt auf dem Motorrad; ein Sandsturm (wie in "M:I IV") – und den Auftritt altbekannter Gefährten – Luther, Benji, die von Rebecca Ferguson gespielte Ilsa Faust, aber auch die zwielichtige und noch lange nicht zu Ende erzählte "White Widow" Vanessa Kirbys – mit Neuem, wie die zwielichtige Taschendiebin Grace (Haley Attwell ist "die" große Schauspiel-Überraschung des Films) und eine atemberaubende Sequenz, die in einem stürzenden Zug geschieht, und am ehesten an die verschachtelten Dimensionen von "Inception" erinnert.

Das "echte" analoge Kino gegen das digitale

Vor allem ist dies einmal mehr der Film von Tom Cruise. Der Weltstar, der bislang der großen Kinoleinwand absolut treu bleibt, alle Streaming-Versuchungen ausschlug, und 2022 mit seinem "Top Gun II: Maverick"-Erfolg von vielen gar zum "Retter des Kinos" ausgerufen wurde, beweist auch mit nunmehr 61 Jahren, dass er den Gang ins Kino nach wie vor wert ist und den "Marvel"-Superhelden locker die Stirn bieten kann.

Genau wie seine Figur tritt auch Cruise mit dem ganzen Film gegen ein Computerprogramm an: Er verkörpert das "echte" analoge Kino gegen das am Bildschirm entstehende digitale. Mitunter wirkt er hier zwar etwas angespannt, ungefähr wie ein Top-Manager, dessen Assistentin ausgefallen ist, aber auch diesmal führte Cruise viele der gewagten Stunts selber aus.

So auch die Sequenz, in der man einen Fallschirm- und Motorradsprung von einer hohen Klippe sieht, und der bereits im Vorfeld im Internet für Furore sorgte.

Die Story spiegelt diesen Kampf gegen die Vergänglichkeit adäquat wider, denn Ethan Hunt und sein Team müssen hier auch gegen ihre eigene Vergangenheit kämpfen.

Wiedergänger und ein digitales Pepetuum Mobile

Es bleiben Wünsche offen: Von Kirbys "White Widow" möchte man nicht nur wegen der Hauptdarstellerin viel mehr sehen. Wem ist schon bewusst, dass diese Figur eine Wiedergängerin aus Brian DePalmas furiosem Auftaktfilm von 1996 ist?

Nämlich die Tochter der seinerzeit von Vanessa Redgrave gespielten Figur "Max". Und dass auch der von Henry Czerny gespielte Kittridge den Kreis zu diesem Film schließt?

Auch aus Rebecca Fergusons Ilsa Faust hätten die drei Filme mit ihrem Auftritt viel mehr machen müssen. Dass geliebte Figuren in "Mission: Impossible" sterben müssen, gehört zur Reihe. Aber warum immer die Frauenfiguren? Warum nicht mal wie bei DePalma auch längere IMF-Teammitglieder?

Auch die Entity könnte noch für Überraschungen sorgen. Diese perfekte Maschine, ein digitales, quasigöttliches Pepetuum Mobile kann in einem so prometheisch-technikorientierten Format wie "Mission: Impossible" nicht derart negativ konnotiert bleiben, wie im ersten Teil.

Bereit, für das Kino zu sterben

Es gibt nicht viele Filmemacher, die bereit sind, für das Kino zu sterben. Tom Cruise ist einer von ihnen. In jedem "Mission: Impossible" riskiert er sein Leben. Mal mehr, mal weniger, in Actionszenen, bei denen keiner von uns die Stunts selber ausführen wollte, selbst wenn die Stunts so unwesentlich für den Film sind, sie in diesem Fall.

Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und noch mehr des Glaubens. Tom Cruise glaubt, dass wir Bildern ansehen, anspüren können, wenn sie echt sind, photographiert, nicht am Computerbildschirm "generiert", also erschaffen, gemalt.

Tom Cruise glaubt an das Kino – mit einer Intensität und Unschuld wie nur die wenigsten, die im Film arbeiten. Er ist der Autor dieses Kinowerks, in jeder seiner Fasern, auch wenn unter dem Regiecredit "Christopher McQuarrie" zu lesen ist.

In glücklicheren Zeiten nicht nur des Kinos schrieb McQuarrie Bryan Singers "Die üblichen Verdächtigen" (1995) und gab mit dem kaum weniger excellenten "The Way of the Gun" im Jahr 2000 sein Regiedebüt. Jetzt liefert er seit Jahren fortwährend brillante und immer bessere Cruise-Action, und müsste doch eher "Spielleiter" heißen, "ausführender Regisseur" oder "Regiekoordinator".

Denn wenn der Begriff "Autorenfilm" oder "Autorenkino" Sinn macht, dann um klarzustellen, dass sich in einem Film die Persönlichkeit und Handschrift eines Machers, meist des Regisseurs oder Drehbuchautors, auf unverwechselbare Weise widerspiegelt oder ausdrückt.

Wessen Handschrift könnte das hier sein, wenn nicht die von Tom Cruise?

Der Souverän der Verweigerung

Es ist zunächst einmal eine Handschrift der Verweigerung. Cruise hat Macht; nur wenige haben als Einzelne noch soviel Macht und Privilegien, wie sie Cruise hat, und er nutzt diese Macht ohne Skrupel für das Gute des Kinos – auch das macht ihn zum Autor, zum Künstler-Souverän in einem Zeitalter der Business-Zwerge.

Cruise will nicht, dass seine Filme nicht in die Kinos kommen, sondern direkt auf irgendeinem Streaming-Kanal abgespult werden. Jeder CEO wäre bereit, viel dafür zu bezahlen. Aber Cruise will nicht, und darum wird, wird es nicht gemacht. Cruise will auch nicht, dass seine Filme in 3D gedreht werden, also wird das nicht geschehen.

Kürzlich hat Tom Cruise angekündigt, dass er den Dauerläufer Ethan Hunt spielen wolle, bis er so alt ist, wie Harrison Ford es in seinem neuesten Indiana Jones getan hat. Ein Vergleich, der eher für Ford schmeichelhaft ist, als für Cruise angesichts des verhältnismäßigen Misserfolgs von Mangolds Film. Aber es gibt keinen Grund, es Cruise nicht zuzutrauen.

Seit McQuarrie mit "M:I V Rogue Nation" die Reihe neu erfand, geht es kaum noch um eine Handlung, sondern es geht um die Geschichte der Hauptfigur und der an Zahl zunehmenden, zugleich gelegentlich wechselnden Frauen um ihn herum. Die Filme wirken aber vor allem so, als seien bestimmte "große" und jedenfalls ungesehene Actionsequenzen geplant, und dann eine Handlung um sie herum gebaut worden.

Wie kommt es, dass dies immer noch und so großartig funktioniert?

Vermutlich, weil Cruise Glaubwürdigkeit und handwerkliche Substanz, klassische analoge Wertarbeit und persönlichen Mut liefert, in einer Zeit, in der auch Filme aus dem 3-D-Drucker kommen. Und in der sie vorher durch Dutzende von Testscreenings abgesichert und auf Zuschauerempfindlichkeiten hin glattgeschmirgelt und umgeschrieben wurden.

Das Ergebnis spricht für sich – und bis auf den "Spiegel" und die linksalternative "tageszeitung" sind auch weltweit alle davon überzeugt.

Tom Cruise widerlegt die These vom Ende des Kinos. Er widerlegt die These vom Ende des Künstlergenies, vom Ende des alten weißen Mannes, vom Ende, in dem ein Einzelner souverän entscheidet und einem ganzen System seinen Willen aufzwingt. Cruise beweist, dass das Ende zu Ende ist.

Kein Patriotismus, kein Gutes, sondern das Ende des Endes

Drei philosophisch-politische Leitmotive durchziehen die Story von Anfang an: Die "Wahl" und die Freiheit zur Wahl, die jeder hat, und die den Menschen von aller Computerintelligenz absolut trennt. Die Abwesenheit von jedem "absolut Guten", selbst allem Patriotismus. Es gehe nur darum, sich auf eine Seite zu schlagen, heißt es mehrfach in diesem Film. Die "Mission Impossible" ist damit auch das Ende aller Illusionen.

Ansonsten ist kein Ende. Dass "Mission: Impossible - Dead Reckoning" in zwei Teile unterteilt ist, mag kommerzielle Gründe haben, es liegt aber in seinem immer weiteren Aufschieben des Finales in der Logik der Franchise. Sie zelebriert das Ende des Endes, und zeigt, dass stattdessen alles immer weitergeht: die Bedrohung, das Heldentum, die Weltgeschichte und das Kino.