Totgesagte leben länger
Während Venezuelas Präsident Hugo Chávez anhaltenden Putschgerüchten trotzt, beeinflusst Ex-Geheimdienstagent Montesinos weiter die peruanische Politik
Kritik kostet Image, besonders in Bezug auf Afghanistan. Wenn diese dann auch noch von dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez geäußert wird, kommt man im Fall Venezuela schnell auf die Liste der Länder, die laut US-Präsident Bush "gegen uns" sind.
So diplomatisch der meist etwas plump auftretende Chávez seinen Bedenken zu den Luftangriffen auf Afghanistan Ausdruck geben wollte, so undiplomatisch reagierte die US-Botschaft in Caracas. Die internationale Glaubwürdigkeit Venezuelas habe unter den Aussagen des Präsidenten gelitten, so die Botschafterin Donna Hrinak. "Wir müssen unsere Botschafterin nach Washington rufen, um unsere Beziehungen mit Venezuela zu analysieren", erklärte das State Department.
In einer Radio- und Fernsehansprache Ende Oktober gab Chávez bekannt, dass Venezuela zwar den Antiterrorkampf der USA unterstütze, aber man dürfe "nicht Terror mit noch mehr Terror beantworten." Dabei machte er lediglich auf die zivilen Opfer aufmerksam, die durch die Bomben bisher ums Leben gekommen sind. Offenbar Anlass genug, seitens der USA eine diplomatische Krise auszulösen. US-Politiker sahen durch Chávez ein Abkommen verletzt, das kürzlich innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten OAS unterzeichnet wurde, in der außer Kuba alle lateinamerikanischen Länder und die USA vertreten sind. Demnach unterstützen alle Mitglieder den proklamierten Antiterrorkampf. Und nicht nur das: Laut einem Abkommen der OAS von 1947 zur "gegenseitigen Unterstützung" gibt es das amerikanische Pendant des Bündnisfalls. Ein Anschlag gegen eines der Mitgliedsländer sei ein Anschlag gegen die OAS, sprich ganz Lateinamerika.
Die Kritik von Chávez, der in Washingtoner Kreisen als ausgesprochener Castro-Freund gilt und gute Beziehungen zum Iran und Libyen pflegt, hat seine Person in Washington weiter in Verruf gebracht. Laut der venezolanischen Zeitung El Universal sehen Analysten und Berater im Umkreis von US-Präsident Bush nach der verbalen Kritik ein Putsch gegen Chávez heranwachsen. "Spätestens in einem Jahr", so ließ die private Geheimdienstagentur Stratfor verlauten, seien die militärischen Spannungen so hoch, dass ein Putsch folgen würde. Und weiter: Die US-Regierung würde nicht sonderlich gegen diese undemokratische Vorgehensweise protestieren, so der Stratfor-Bericht. Soll heißen, man hätte gegen einen Putsch in der jetzigen Situation nichts auszusetzen.
Der Armeekommandant und Ex-Putschist Chávez gilt mit seiner linksorientierten bolivarianischen Revolution seit seiner Wahl im Februar 1999 für US-Strategen als unkalkulierbares Risiko und laut State Department mit Fidel Castro und dem Ex-Präsidenten Nicaraguas Daniel Ortega als Teil eines "eisernen kommunistischen Dreiecks".
Auf der UN-Vollversammlung am 10. November versuchte Chávez an diplomatischen Boden zu gewinnen, indem er versicherte, dass "niemand die Worte Venezuelas als Bedrohung verstehen soll". Er verurteilte in seiner Rede den Terrorismus, wies zugleich aber darauf hin, das "das wichtigste ist, nun eine neue Weltordnung innerhalb der Vereinten Nationen zu schaffen", und dass die UN ihre Kräfte auf die Bekämpfung von Armut und Hunger konzentrieren solle, wie sie es auf der Millenniumssitzung vor gut einem Jahr beschlossen habe. Ein nicht zu übersehender Seitenhieb gegen den NATO-Alleingang in Afghanistan und die Nichtbeachtung der UNO.
Ein weiteres Pulverfass hatte allerdings kurz zuvor die Vizepräsidentin Venezuelas Adina Bestidas aufgemacht. Auf einer internationalen Versammlung des venezolanischen Außenamtes sagte sie, der "Terrorismus der Unterdrückten ist ein perverses Ergebnis der Herrschaft der wasp (weiße angelsächsische Protestanten)". Abgeordnete der Opposition forderten ihren Rücktritt. "Rassistisch" und "unzivilisiert" nannte der Ex-Außenminister Consalvi die Aussagen. Ein Professor der Bolívar-Universität steigerte sich in die Aussage, bei der Regierung handele es sich um "mentale Taliban". Nun spielt auch noch die Religion in der Chávez-Diskussion mit, die man sich im Umgang mit den USA sparen sollte. Schon jetzt hat der venezolanische Präsident bei vielen US-Amerikanern den Ruf eines Terroristen.
Umso gereizter reagierte Chávez und warnte in Richtung seiner Kritiker vor allzu großen Hoffnungen auf ein baldiges Ende seiner Amtszeit durch gestreute Putschgerüchte.
Der Unterschied unserer Revolution zu der Salvador Allendes (Chile, 1970) liegt nicht im pazifistischen Charakter. Aber sie hat einen großen Unterschied, sie ist bei uns nicht unbewaffnet.
Was Chávez meint, ist die Organisation der Bevölkerung unter seiner Regie. Wie weit man dies tatsächlich ernst nehmen muss, ist jedoch unklar. Nur eines ist sicher: in den letzten Wochen hat der Präsident deutlich an Beliebtheit in der Bevölkerung eingebüsst. Bestes Anzeichen für die angespannte Situation im Land.
Dass aber Totgesagte meist doch länger leben, beweist gerade der peruanische Ex-Geheimdienstchef Vladimir Montesinos. Was ihn und Chávez verbindet, sind mysteriöse Umstände bei der Festnahme des im letzten Jahr meistgesuchten Kriminellen auf dem Kontinent. Nachdem bereits im Juni in Ermittlerkreisen fest stand, dass Montesinos sich in Venezuela aufhält, ließ ihn die dortige Polizei erst einen Monat später auf dem Weg zum peruanischen Konsulat verhaften. Offenbar wollte man sich in Caracas dann doch nicht die Blöße geben, dass Montesinos unbehelligt in Venezuela weilen konnte. Seitdem wird Chávez nicht den Verdacht der Mitwisserschaft los und Montesinos sagt in seiner Isolationshaft im peruanischen Marinegefängnis Callao, das er damals selbst entworfen hatte, nichts darüber aus.
Wie viele Asse Montesinos noch verbirgt, lässt sich nur erahnen. Erst diese Woche hatte er für Wirbel mit seiner Ankündigung gesorgt, ein weiteres "Vladivideo" aus seiner aus mehreren tausend Bändern bestehenden Videobibliothek zu veröffentlichen. Diese hat er im Laufe seiner zehnjährigen Machtteilung mit Fujimori aufnehmen lassen, um fast jeden damals bekannten Politiker nach Bestechungsaktionen erpressbar zu machen. Auf der Neuerscheinung soll kein geringerer zu erkennen sein als der Ex-Präsident Alberto Fujimori, der bei einem "klaren Akt der Bestechung" gefilmt wurde. Dieser ist im November letzten Jahres nach dem Zusammenbruch des Fujimori-Montesinos-Regimes nach Japan geflüchtet. Der peruanische Gerichtshof kündigte nun an, einen Haftbefehl bei Interpol gegen Fujimori zu beantragen. Auf Grund seiner japanischen Abstammung gibt es bei der japanischen Gesetzeslage allerdings keine Möglichkeit, Staatsbürger unmittelbar ausliefern zu lassen. Doch nach der Ankündigung des Ex-Geheimdienstchefs könnte der Druck auf die japanische Regierung so stark werden, dass sie einer Auslieferung zustimmt.
Nur gibt es ein Hindernis: Montesinos verbindet die Herausgabe des Videos mit Bedingungen, auf die die Justiz nicht eingehen will. Demnach fordert er ein Ende der Isolationshaft, freien Zugang zu Medien und die Erlaubnis von Familienbesuchen. Das lehnt die Justiz allerdings ab, da Montesinos Strafregister mit Folter, Geldwäsche und Drogenhandel nur einige Punkte umfasst. Offenbar kann ihm dieses Anliegen auch nicht so sehr am Herzen liegen, da von Isolationshaft keine Rede sein kann. Denn Montesinos scheint weiterhin mächtige Beziehungen nach Außen zu haben. Um einen Prozess gegen José Cavassa, dem Ex-Leiter der peruanischen Wahlbehörde, zu beeinflussen, ließ Montesinos kurzerhand dessen Anwalt Luis Echaiz im Oktober im Kofferraum eines Autos verschleppen und zu sich in die Zelle bringen. Dort bot er Echaiz 700.000 US-Dollar für Cavassa zum Schmieren an, damit dieser ihn nicht bei der Verhandlung wegen Unterschriftenfälschung verpfeife.
Für die kürzlich gewählte Regierung unter Alejandro Toledo ein denkbar unangenehmer Start mit einem solchen Skandal, den seine Ministerriege zu verantworten hat. Dort befindet sich bereits ein Loch, nachdem Anfang November der Kommunikationsminister Santos Esparza wegen Internet-Betrugs gehen musste. Ihm wurde vorgeworfen, illegal die Frequenz der Internetseite einer Schule manipuliert zu haben. Als Leiter des "Zentrums für Informationsbereitstellung" wäre Esparza 1998 laut Justiz für die Entwicklung der Homepage und den Zugang zum Internet verantwortlich gewesen. Was er tatsächlich tat: er stellte nur die Hälfte der Internet-Ressourcen für die Schule zur Verfügung, indem er die öffentliche Leistung von 128 Kilobyte pro Sekunde auf nur 64 drosselte, und statt 64 Netzwerkadressen nur 32 angab. Die andere Hälfte hatte Esparza selbst genutzt und damit Geschäfte mit verschiedenen Firmen betrieben.