Tracing-App: Sieg der Datenschützer
Portugals Ministerpräsident António Costa hatte vor, die Tracing-App "StayAway Covid" verpflichtend zu machen. Datenschützer gingen auf die Barrikaden - mit Erfolg
"Ich hasse es, in diesem Punkt autoritär zu sein; ich will nicht autoritär sein, aber wir müssen diese Pandemie unter Kontrolle bringen", verteidigte sich António Costa noch vor einer Woche.
Er wollte Wogen glätten und erreichte doch nur das Gegenteil. Eine große Welle der Entrüstung über den Vorschlag, die Covid-19-Tracing-App verpflichtend zu machen, brach in den folgenden Tagen erbarmungslos über Costa und seiner Partei Partido Socialista (PS) herein.
Sowohl der Download der App als auch das aktive Benutzen hätten laut Gesetz verpflichtend gemacht werden sollen. Bei Nichteinhaltung sollten laut Gesetzesvorlage Strafen in Höhe von 100 bis 500 Euro geltend gemacht werden können — überwacht von der Polizei.
"Ein undemokratischer Eingriff in die Privatsphäre"
Gleich mehrere Datenschutz-Organisationen im Land fanden klare Worte für das Vorhaben: Es bestünden Probleme hinsichtlich des "Respekts der Privatsphäre" sowie "in ethischer Hinsicht", sagte die Sprecherin Clara Guerra der Datenschutzbehörde CNPD der Nachrichtenagentur AFP.
Auch die Organisation "D3 - Defesa dos direitos digitais" veröffentlichte ein offizielles Statement und nannte das Vorhaben einen beispiellosen und undemokratischen Eingriff in die Privatsphäre der Portugiesen und drohte, den Fall vor Gericht zu bringen, sollte das Gesetz wirklich verabschiedet werden.
Danach sieht es erstmal nicht aus. Costa ruderte zurück und nahm die Gesetzesvorlage von der Agenda der Parlamentssitzung am Freitag. Was bleibt, ist der Beschluss über das verpflichtende Tragen einer Maske auf öffentlichen Plätzen. "Beim Thema Masken scheinen wir uns alle mehr einig zu sein, dann beschließen wir eben diesen Vorschlag", so Costa. Das Parlament beschloss gestern denn auch, dass Maskentragen nun Pflicht auf allen belebten öffentlichen Plätzen und Straßen für alle über 10 Jahren ist. Wird man ohne Maske angehalten, drohen Strafen zwischen 100 und 500 Euro. Der Beschluss gilt für 70 Tage, danach wird geprüft, ob er so bestehen bleibt.
Wie fast alle europäischen Länder verzeichnete auch Portugal ein rapides Ansteigen der Infektionszahlen. Vergangene Woche wurde der "Katastrophenfall" ausgerufen und die portugiesische Regierung sieht sich nach eigenen Angaben gezwungen, verschärfte Maßnahmen zu ergreifen: "Wenn wir es jetzt nicht unter Kontrolle bekommen, wird es in ein paar Wochen nur noch schlimmer", so Costa.
Ganz gestrichen ist die Gesetzesvorlage zur App-Pflicht noch nicht, nur vertagt. Es sei "gut, eine tiefer gehende Diskussion zu führen, damit alle Zweifel beseitigt werden und die Portugiesen die App weiter herunterladen".
Corona-Apps und ihre digitalethischen Fragen
Portugal würde das erste europäische Land werden, das gegen die Empfehlung der EU eine Corona-App zur Pflicht macht.
Die Nutzung von mobilen Daten zur Nachverfolgung des Virus ist in vielen betroffenen Ländern als vielversprechendes Mittel gegen die Pandemie diskutiert und eingesetzt worden. Der Erfolg und das Nutzungsverhalten im jeweiligen Land unterscheiden sich je nach Kultur- und Politiksystem drastisch. In jedem Fall stellen sich digitalethische und moralische Fragen, die je nach Land diskutiert und berücksichtigt werden oder aber schlichtweg übergangen werden, wie in Südkorea.
Nicht eine, sondern gleich zwei App-Varianten gibt es in Südkorea. Zum einen die App "Corona 100m", die Nutzer warnt, wenn sich im Radius von 100 Metern ein positiv getesteter Corona-Patient aufgehalten hat. Die App liefert dann detaillierte Infos: das Datum der bestätigten Corona-Infektion des Gefährders, das Geschlecht sowie die Nationalität, sodass der Nutzer der App die Person einfach und bequem per "racial profiling" selbst ausfindig machen und dieser aus dem Weg gehen kann.
Eigentlich müsste diese App jedoch gar nicht nötig sein, denn es existiert zusätzlich eine Technologie, die offiziell Infizierte auf ihrem Handy installieren müssen. Mit ihr wird überwacht, dass sie ihre gesetzlich verpflichtende Quarantäne nicht verlassen, keinem anderen Menschen näher als zwei Meter kommen, auch nicht Familienangehörigen. Zusätzlich ruft zwei Mal am Tag jemand vom Staat an und erkundigt sich nach den Symptomen des Patienten.
Was klingt wie Brave-New-World-Dystopie, wird in Südkorea gerechtfertigt mit "Patient 31" - der Fall einer 61-Jährigen, die Symptome von COVID-19 zeigte, sich aber nicht testen lassen wollte, ihrer gewohnten Routine nachging und so zum Superspreader in ihrer Stadt Daegu wurde. 70 % aller Corona-Fälle wurden nach Ausbruch des Virus auf die Region um Daegu zurückgeführt.
Den vorläufigen Erfolg der Eindämmung des Virus führt Südkorea vor allem auch auf die Nutzung dieser Überwachungstechnologien zurück, räumt aber ein, dass sie "vermutlich nicht für Nationen mit anderen Kultur- und IT-Systemen passend sein könnte".
Präventives Werkzeug oder Gefahr für Datenschutz?
Wer erhält meine Daten und was macht er damit? Das sind die zentralen Fragen, die Datenschützer weltweit umtreiben, wenn es um die Nutzung von Apps geht, die sowohl sensible Gesundheitsdaten als auch GPS-Daten sammeln. Es geht um den schnellen und effizienten Schutz der Bevölkerung, sagt die eine Seite. Es geht nicht ohne eine vertrauenswürdige Software, deren Datennutzung den Nutzern transparent gemacht wird, kontert die andere.
Und dann gibt es noch die Silicon-Valley-Seite, die beides wittert — das große Potenzial, mit mobilen Daten und Software eine Pandemie und das unnötige Sterben von Menschen einzudämmen, und auf der anderen Seite die unfassbar lukrative Möglichkeit, viele aktive Nutzer zu akquirieren, der Traum eines jeden Technologieunternehmens. Was könnte den Heiligen Gral, die "retention", also Kundenbindung, mehr steigern als die ständige Sorge, sich anzustecken mit einem tödlichen Virus?
Und so verwundert es nicht, dass sowohl Google als auch Apple an Möglichkeiten basteln, die es Nutzern und Staaten weltweit ermöglichen sollen, die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren. Der sogenannte "Exposure Notifications Express" soll bald sowohl für OS- als auch Androidgeräte gelauncht werden.
Was bleibt, sind die steigenden Infektionszahlen und die Frage, ob Corona-Apps ein schnelles und effektives Werkzeug im Kampf gegen die Pandemie sein könnten - ohne dabei eine Gefahr für den Datenschutz darzustellen. Und wie man es schafft, genügend freiwillige und aktive Nutzer zu finden, damit Apps wie auch die deutsche Version vom Robert Koch-Institut erfolgreich eingesetzt werden könnten.