Träumen Maschinenmenschen von Menschen?
Seite 2: Die ganz großen Dinge im Kino
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Es geht eigentlich immer um die ganz großen Dinge im Kino von Denis Villeneuve, um Momente, in denen sich für die Figuren das Leben entscheidet, plötzlich alles in Frage steht. Und er findet für seine Schicksalsgeschichten zumeist kräftige, fast nie kraftmeierische, überzeugende, fast nie überredende Bilder.
Aber es liegt in dieser Bildkraft ihrer Überdrehtheit und der Liebe zur Form auch eine generell erhitzte Erzählweise, etwas Hysterisches, das nicht jedermanns Sache ist und in vielem an die surreale Romantik des Basken Julio Medem erinnert.
Wenn es ein protestantisches - asketisch sparsames, wortkarges - und ein katholisches - bildkräftiges, buntes, barock verspieltes und auch wortreiches - Kino geben sollte, so gehört Denis Villeneuve unbedingt zur letzteren Gruppe.
Dabei sind Villeneuves Filme von bemerkenswerten stilististischen wie thematischen Kontinuitäten geprägt: "Der 32. August auf Erden", "Maelström", "Polytechnique" und "Incendies" stellen jeweils junge, unter 30-jährige Frauen ins Zentrum. Junge Frauen, die durch einen unvorhergesehenen Schicksalsschlag erschüttert werden. Dieser wirkt zugleich als traumatische Belastung, wie als Befreiung. Es befreit sie aus einem Leben, das keineswegs heiter, sondern von einer bleiernen Schwere bestimmt wirkt.
Das Genre verändern
Wer diese Werke auf Gemeinsamkeiten untersucht wird auch abseits verwandter Themen und offenkundiger Einflüsse - Hitchcock, Lynch, von Trier, Cronenberg, Fincher - schnell fündig: Villeneuves Bilder sind expressiv, oft eingefärbt, um die emotionalen Atmosphären zu unterstreichen: gleißendes Gelb, kühles Blau-Grün, sieches Ocker, wütendes Rot. Die Kamera verdeutlicht Geisteszustände: Immer wieder arbeitet Villeneuve mit Jumpcuts wie mit langen Einstellungen, weitläufigen Totalen, dann wieder Großaufnahmen. Abwechslung dominiert.
Das auffälligste visuelle wie narrative Stilmittel ist aber der Loop. Erzählschleifen verbinden Handlungsebenen und Zeiten a-chronologisch und verschachtelt, Enden münden in bekannte Anfänge; die Kamera betont Ähnlichkeiten, Serielles und Repetitives. In "Maelström" wie "Polytechniques" wiederholt die Kamera bestimmte Momente aus verschiedenen Blickwinkeln; in "Incendies" springt sie zwischen Zeiten hin und her, um sie zu verbinden, und auch sonst dominieren Kreisbewegungen.
Die Menschen sind gefangen in einem unsichtbaren Karussell, von dem sie nicht abzuspringen vermögen. Der Loop wird Villeneuve gleichermaßen zum Ausdrucksmittel der Unerbittlichkeit des Schicksals wie der inneren Orientierungslosigkeit der Figuren. In Letzterem ist Villeneuve auch präziser Darsteller (s)einer Generation, die ihr Glück sucht, aber allzu gut ahnt, dass sie es nicht bekommt, die spürt, dass ihr Leben auf der Strecke bleibt, aber nicht weiß, was sie will.
Es hat schon seinen guten Grund, dass der erste Kurzfilm dieses Regisseurs den Titel "REW - FFWD" trägt. "Rewind, forward" - das steht nicht nur fürs Hin und Her eines indifferenten Betrachters, sondern für eine endlose loop-hafte Kreisbewegung, die ewige, zyklische Wiederkehr des Beinahe-Gleichen. Nur wenige Regisseure verstehen es, ihr Publikum gleichermaßen in Taumel zu versetzen, einen surrealen Taumel, in dem Traum und Trauma zeitweise ineinanderfallen, dann getrennt werden, um diese Bewegung endlos zu wiederholen.
Dieser trancehafte Taumel definiert auch "Blade Runner 2049". Villeneuve belegt hier, dass er ein hochbegabter Regisseur mit eigener Handschrift ist, ein Bildkünstler - und es ist gut möglich, dass es ihm und seinem Kameramann, dem Hollywood-Veteranen Roger Deakins auch mit "Blade Runner 2049" gelingt, das Genre und die Art und Weise, wie wir unsere Zukunft wahrnehmen, unsere Erinnerungen an die Zukunft entscheidend zu verändern.
"Things were simpler then"
Der Replikanten-Jäger der nächsten Generation wird gespielt von Ryan Gosling. Aber auch Harrison Ford spielt in der Fortsetzung eine wichtige Rolle. Beide treffen sich. Denn die Handlung schließt an die des ersten Teils an: 30 Jahre später muss der neue Detektiv seinen untergetauchten Vorgänger finden. Dabei stößt er noch auf ganz andere Geheimnisse.
Die haben mit der unerhörten Möglichkeit zu tun, dass den Maschinen nun auch noch das eine möglich sein soll, was bisher das Privileg der Menschen war: Können Maschinen sich fortpflanzen?
Bezeichnenderweise trägt der neue Held den Namen "K", wie einst der Held in Kafkas "Der Prozess". Deckard erinnerte mindestens lautmalerisch an Descartes, den Begründer der Moderne. So werden wir vom Anfang nun ans Ende geführt.
Die Frage, was das Menschliche eigentlich ausmacht, wird damit beantwortet, dass wir die Frage stellen können. Auch "Blade Runner 2049" ist letzten Endes eine existentialistische Fabel, in der es darum geht, was den Menschen eigentlich ausmacht: Fortpflanzungsfähigkeit, Erinnerungen oder Freiheit.
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