Träumen Maschinenmenschen von Menschen?

Bild: © Sony Pictures / Warner Bros. Pictures

Denis Villeneuves "Blade Runner 2049" setzt Ridley Scotts philosophischen Kultfilm der 1980er fort

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"It's too bad, she won't live. But then again, who does?

Blade Runner, 1982

Orangenes, in goldgelbe Nebelschwaden getauchtes Licht: Taghelle, nicht das Blaugrau der ewigen Nacht des atmosphärisch an den "Metal Hurlant"-Comics von Moebius orientierten ersten "Blade Runner". Ridley Scott hatte seinerzeit für die Zukunft einen neuen Kino-Look erfunden, der sich als bemerkenswert haltbar erwiesen hat: Kühl und düster, am Cyberpunk-Look und architektonisch an Fritz Langs "Metropolis" orientiert. Sein Biograph Paul M. Sammon nannte den Stil "Future Noir".

Blade Runner 2049 ist der Replikant dieses Films. Er sieht ihm ähnlich, ist aber komplett neu. Alles spielt wieder in Kalifornien, das vom Klimawandel und Umweltverschmutzung geschädigt - ein Zukunftsportrait, das heute auf sich hält und nicht politisch-inkorrekt sein will, hat jetzt von den bösen Folgen des Climate Change zu handeln, von Energieknappheit, and so it is... -, inzwischen halb zur Wüste geworden ist, halb von Schneefall und Stürmen heimgesucht wird. Die Sonne ist hinter einem undurchdringlichen Vorhang aus Smog und Regenwolken verschwunden.

San Diego und das Border-County um es herum ist die riesige graue staubige Müllkippe dieser perversen Neuen Welt geworden, die ihre innere Zeitrechnung in "Pre-" und "Post-Blackout" unterscheidet. Los Angeles ist eine Megalopolis aus Wolkenkratzern und unter ihnen die klaustrophobisch engen slummigen Straßen, die zu einem einzigen Schwarzmarkt geworden sind und aussehen wie ein chinesischer "Wet-Market".

Träumen Maschinenmenschen von Menschen? (35 Bilder)

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Es ist eine fesselnd vielfältige Zukunftswelt. Das Internet und Mobiltelefone spielen in dieser Zukunft eine angenehme, geringe Rolle. Stattdessen sind Telefonzellen wieder in Mode, auch weil man hier die Anrufe nicht persönlich zurückverfolgen kann. Und wieder geht es, wie 1982 im ersten "Blade Runner", auch in der im Jahr 2049 angesiedelten Fortsetzung um einen Detektiv, der Replikanten jagt.

Das Maschine-Sein bestimmt das Bewusstsein

"Replicants are like any other machine - they are either a benefit or a hazard. If they are a benefit, it's not my problem" - Replikanten, das sind Maschinen, die Menschen zum Verwechseln ähnlich sind, so sehr, dass sie sich selbst mit ihnen verwechseln können. Denn Replikanten haben künstliche Erinnerungen, Träume, Sex, auch mit Menschen. Sie sind perfekte Arbeitssklaven - ein Traum- und Albtraumbild zugleich seit den ersten Ideen zu Maschinenmenschen vor über zweihundert Jahren.

Träumen solche Maschinenmenschen nun von Menschen oder von Maschinen? Das war die Frage in der Literaturvorlage des Science-Fiction-Kultautors Philip K. Dick, die sowohl dem alten "Blade Runner" wie auch der jetzigen Fortsetzung zugrunde liegt.

Die Frage ob der Held, der Detektiv Rick Deckard, der die Replikanten jagt, wenn sie nicht mehr funktionieren, ob dieser Jäger selbst eine Maschine ist oder doch ein Mensch, sie treibt die Fans von "Blade Runner" seit dessen Premiere vor 35 Jahren um.

Hier wird sie beantwortet. Der Detektiv ist eine Maschine - aber das macht nichts mehr. Oder doch: Denn weil er Replikanten jagt, hinfällige menschengleiche Nicht-Menschen, wird er zum Paria wie einst der Henker in europäischen Städten. Die Replikanten sind die Flüchtlinge der Zukunft, Futur-Migranten.

Was sie fliehen ist ihr Sein, das ein Maschine-Sein ist, wozu gehört, dass sie zwar Erinnerungen haben, aber künstlich erzeugte. Diese Erinnerungslosigkeit könnte man natürlich auch rechtsnationalistisch deuten, als Verlust von Blut und Boden. Der Replikant wäre in dieser Lesart ein heimatloser Mensch, der genau darum auszurotten ist.

Katholische Schicksalsgeschichten

Ridley Scotts "Blade Runner" ist einer der wichtigsten Filme der Filmgeschichte der letzten Jahrzehnte. Er begründete den Neo-Film-Noir, in dem die Stilmittel des düsteren Hard-Boiled-Kriminalfilms unserer Gegenwart anverwandelt wurden, er verband sie mit dem Science-Fiction und zusammen mit Scotts "Alien" löste Anfang der 1980er der dystopische und melancholisch-illusionslose Science Fiction dessen optimistischere Phase ab.

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Der Film ist auch insofern eine Lehre, als er ziemlich erfolglos war, als er vor 37 Jahren in die Kinos kam. Aber schon nach kurzer Zeit etablierte er sich durch seine Bildgewalt zu einem der prägendsten Science-Fiction-Filme, ein Kultfilm, der unzählige Kinowerke vor allem visuell und durch sein Production Design beeinflusste. Sieht man SF-Meilensteine wie "Terminator" und "A.I.", "Wall-E" und "Her", wird einem klar, wie unendlich viel sie "Blade Runner" verdanken.

Regisseur ist diesmal Denis Villeneuve, der Franco-Kanadier, der bereits mit seinen bisherigen Filmen fast jedes Mal ein klein bisschen Filmgeschichte geschrieben hat - zuletzt mit "Arrival" einem atemberaubenden Science-Fiction über die mögliche Ankunft Außerirdischer.

Die ganz großen Dinge im Kino

Es geht eigentlich immer um die ganz großen Dinge im Kino von Denis Villeneuve, um Momente, in denen sich für die Figuren das Leben entscheidet, plötzlich alles in Frage steht. Und er findet für seine Schicksalsgeschichten zumeist kräftige, fast nie kraftmeierische, überzeugende, fast nie überredende Bilder.

Aber es liegt in dieser Bildkraft ihrer Überdrehtheit und der Liebe zur Form auch eine generell erhitzte Erzählweise, etwas Hysterisches, das nicht jedermanns Sache ist und in vielem an die surreale Romantik des Basken Julio Medem erinnert.

Wenn es ein protestantisches - asketisch sparsames, wortkarges - und ein katholisches - bildkräftiges, buntes, barock verspieltes und auch wortreiches - Kino geben sollte, so gehört Denis Villeneuve unbedingt zur letzteren Gruppe.

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Dabei sind Villeneuves Filme von bemerkenswerten stilististischen wie thematischen Kontinuitäten geprägt: "Der 32. August auf Erden", "Maelström", "Polytechnique" und "Incendies" stellen jeweils junge, unter 30-jährige Frauen ins Zentrum. Junge Frauen, die durch einen unvorhergesehenen Schicksalsschlag erschüttert werden. Dieser wirkt zugleich als traumatische Belastung, wie als Befreiung. Es befreit sie aus einem Leben, das keineswegs heiter, sondern von einer bleiernen Schwere bestimmt wirkt.

Das Genre verändern

Wer diese Werke auf Gemeinsamkeiten untersucht wird auch abseits verwandter Themen und offenkundiger Einflüsse - Hitchcock, Lynch, von Trier, Cronenberg, Fincher - schnell fündig: Villeneuves Bilder sind expressiv, oft eingefärbt, um die emotionalen Atmosphären zu unterstreichen: gleißendes Gelb, kühles Blau-Grün, sieches Ocker, wütendes Rot. Die Kamera verdeutlicht Geisteszustände: Immer wieder arbeitet Villeneuve mit Jumpcuts wie mit langen Einstellungen, weitläufigen Totalen, dann wieder Großaufnahmen. Abwechslung dominiert.

Das auffälligste visuelle wie narrative Stilmittel ist aber der Loop. Erzählschleifen verbinden Handlungsebenen und Zeiten a-chronologisch und verschachtelt, Enden münden in bekannte Anfänge; die Kamera betont Ähnlichkeiten, Serielles und Repetitives. In "Maelström" wie "Polytechniques" wiederholt die Kamera bestimmte Momente aus verschiedenen Blickwinkeln; in "Incendies" springt sie zwischen Zeiten hin und her, um sie zu verbinden, und auch sonst dominieren Kreisbewegungen.

Die Menschen sind gefangen in einem unsichtbaren Karussell, von dem sie nicht abzuspringen vermögen. Der Loop wird Villeneuve gleichermaßen zum Ausdrucksmittel der Unerbittlichkeit des Schicksals wie der inneren Orientierungslosigkeit der Figuren. In Letzterem ist Villeneuve auch präziser Darsteller (s)einer Generation, die ihr Glück sucht, aber allzu gut ahnt, dass sie es nicht bekommt, die spürt, dass ihr Leben auf der Strecke bleibt, aber nicht weiß, was sie will.

Es hat schon seinen guten Grund, dass der erste Kurzfilm dieses Regisseurs den Titel "REW - FFWD" trägt. "Rewind, forward" - das steht nicht nur fürs Hin und Her eines indifferenten Betrachters, sondern für eine endlose loop-hafte Kreisbewegung, die ewige, zyklische Wiederkehr des Beinahe-Gleichen. Nur wenige Regisseure verstehen es, ihr Publikum gleichermaßen in Taumel zu versetzen, einen surrealen Taumel, in dem Traum und Trauma zeitweise ineinanderfallen, dann getrennt werden, um diese Bewegung endlos zu wiederholen.

Bild: © Sony Pictures / Warner Bros. Pictures

Dieser trancehafte Taumel definiert auch "Blade Runner 2049". Villeneuve belegt hier, dass er ein hochbegabter Regisseur mit eigener Handschrift ist, ein Bildkünstler - und es ist gut möglich, dass es ihm und seinem Kameramann, dem Hollywood-Veteranen Roger Deakins auch mit "Blade Runner 2049" gelingt, das Genre und die Art und Weise, wie wir unsere Zukunft wahrnehmen, unsere Erinnerungen an die Zukunft entscheidend zu verändern.

"Things were simpler then"

Der Replikanten-Jäger der nächsten Generation wird gespielt von Ryan Gosling. Aber auch Harrison Ford spielt in der Fortsetzung eine wichtige Rolle. Beide treffen sich. Denn die Handlung schließt an die des ersten Teils an: 30 Jahre später muss der neue Detektiv seinen untergetauchten Vorgänger finden. Dabei stößt er noch auf ganz andere Geheimnisse.

Die haben mit der unerhörten Möglichkeit zu tun, dass den Maschinen nun auch noch das eine möglich sein soll, was bisher das Privileg der Menschen war: Können Maschinen sich fortpflanzen?

Bezeichnenderweise trägt der neue Held den Namen "K", wie einst der Held in Kafkas "Der Prozess". Deckard erinnerte mindestens lautmalerisch an Descartes, den Begründer der Moderne. So werden wir vom Anfang nun ans Ende geführt.

Die Frage, was das Menschliche eigentlich ausmacht, wird damit beantwortet, dass wir die Frage stellen können. Auch "Blade Runner 2049" ist letzten Endes eine existentialistische Fabel, in der es darum geht, was den Menschen eigentlich ausmacht: Fortpflanzungsfähigkeit, Erinnerungen oder Freiheit.

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