Trojanische Technologien

Wie "nicht-tödliche Waffen" die Demokratie unterwandern

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Mit zwei Büchern, einem Theaterstück, einem Hörstück sowie einer mobilen Ausstellung illustriert der Autor und Kurator Olaf Arndt gemeinsam mit Künstlern aus ganz Europa, in welche Richtung sich die so genannten Technologien zur politischen Kontrolle entwickeln.

Waffen, die den Gegner nicht töten, sondern unter Kontrolle bringen, sind groß im Kommen. Mit einer bizarren Mischung aus archaischen Techniken und Hightech bereiten sich Polizei und Militär weltweit auf die Herausforderungen der Zukunft vor: Fangnetze, Laserkanonen, Plasmastrahlen, klebriger Schaum, bestialischer Gestank, Nanopartikel, Gedankenkontrolle und künstlich herbeigeführter Schlaf sind nur ein paar Beispiele dafür, mit welchen Mitteln künftig Ruhe und Ordnung geschaffen werden soll. Doch damit nicht genug: mithilfe neuartiger Technologien soll die stetig wachsende Weltbevölkerung von vornherein gezähmt werden. Getarnt als neumodische Konsumprodukte halten Technologien zur politischen Kontrolle unmerklich Einzug in unseren Alltag.

Die Aufrüstung hat durchaus nicht erst am 11. September 2001 begonnen, sondern reicht zurück ins Altertum. Den Durchbruch für die so genannten „nicht-tödlichen Waffen“ brachte der so genannte CNN-Effekt: als 1995 US-Soldaten in Somalia auf Zivilisten schossen und dabei mehrere Kinder töteten, kippte in den USA die öffentliche Meinung. Seither läuft die Produktion von Waffen für einen unblutigen Krieg auf Hochtouren und Vordenker wie der Vietnam-Veteran John B. Alexander zerbrechen sich den Kopf darüber, wie man den Gegner aus dem Weg räumen kann, ohne ihn zu töten. Laut John B. Alexander wäre der künstliche Schlaf die ideale Waffe. Sein Credo lautet: „Wenn ihr aufwacht und merkt, dass ihr nicht tot seid, werdet ihr uns dankbar sein.“

Weapons of mass protection

Für ihre Befürworter sind „nicht-tödliche“ Waffen – kurz: NLW, wie in „nicht-lethale Waffen“ oder „Non Lethal Weapons“ – wahre Friedensstifter. Für Kritiker wie Olaf Arndt jedoch sind sie eine Gefahr für die Demokratie. Die zentrale These seines Buches „Demonen“ lautet: die neuartigen, scheinbar humanen „weapons of mass protection“ unterlaufen das Wesen der Demokratie, weil sie die kritische Öffentlichkeit demobilisieren. Sie lähmen nicht nur vor Ort, sondern verbreiten bereits im Vorfeld Angst und Schrecken. Außerdem unterliegt ihr Einsatz, anders als herkömmliche Waffen, nicht denselben internationalen Regeln und Kontrollen. Man denke nur an das Betäubungsgas, das die Russen im Oktober 2002 gegen die tschetschenischen Geiselnehmer im Moskauer Musical Theater einsetzten. Für Robin Michael Coupland vom Internationalen Roten Kreuz steht fest: „Wäre dies in einem bewaffneten Konflikt geschehen, es wäre eine Verletzung der Chemiewaffenkonvention gewesen. Ich unterstreiche: in einem bewaffneten Konflikt.“ [zit. nach „Demonen“]. Im Krieg gegen Terror gelten jedoch andere Gesetze. Genau das macht NLWs so gefährlich.

Als nicht tödlich gilt eine Waffe, so lange weniger als ein Viertel der Opfer stirbt. Mit anderen Worten: „nicht-tödliche“ Waffen können durchaus töten. Kritiker bevorzugen deshalb den Begriff weniger-tödliche Waffen (Less Lethal Weapons, LLW), oder schlichtweg „Waffen“. Schließlich zählen Messer und Pistolen ohne Wenn und Aber zu den tödlichen Waffen. Für den Chirurgen Robin Michael Coupland ist die Bezeichnung NLW deshalb nichts anderes als ein „Marketing-Begriff“. Als medizinischer Berater des IKRK sprach er am 10. November 2004 vor dem Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestags bei der Anhörung zu "Möglichkeiten der Kontrolle von nichttödlichen Waffen". Im Hinblick auf die Abgrenzung von „tödlichen“ vs. „nicht-tödlichen“ Waffen gab er zu bedenken, dass „tödliche“ Waffen wie Handgranaten eine Mortalitätsrate von unter zehn Prozent haben. Als weitere Experten waren übrigens der bereits zitierte John B. Alexander, der Bonner Physik-Professor Jürgen Altmann und Klaus-Dieter Thiel vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie geladen.

Beobachter der Bediener von Maschinen

Olaf Arndt hat John B. Alexander, Klaus-Dieter Thiel sowie zahlreiche weitere Experten zum Thema interviewt, an einschlägigen Tagungen teilgenommen und mehrere tausend Seiten Hintergrundliteratur durchforstet, darunter den STOA-Bericht des EU-Parlaments aus dem Jahr 2000, der sich eingehend mit NLW befasst. Das Ergebnis ist eine kleine Kulturgeschichte „nicht-tödlicher“ Waffen. Außerdem sind entstanden: ein Materialband, ein Hörstück, ein Theaterstück sowie eine mobile Ausstellung.

Das alles hat Arndt nicht im Alleingang geschaffen, sondern in Zusammenarbeit mit Künstlern aus ganz Europa sowie mithilfe der Künstlergruppe BBM (Beobachter der Bediener von Maschinen), die er 1989 mitgegründet hat. Die Truppe wurde durch ihre pyrotechnischen Maschinen-Performances bekannt. Für die Expo 2000 schufen sie den Themenpark „Wissen“ (EXPO-Themenpark als kultureller Hyperorganismus?). Seit Mai 2002 arbeitet BBM am Projekt „Troia“, das den Rahmen für „Demonen“ liefert.

Das Trojanische Pferd

Der Titel „Demonen“ ist abgeleitet von „Demons“, der Abkürzung für „Directed Energy Munitions“. Ursprünglich ein Sammelbegriff für akustische und optische Waffen, bezeichnet „Demons“ inzwischen die Munition von NLW. Namenspatron und zentrales Motiv des „TROIA-Projekts“ widerum ist das Trojanische Pferd, das den Tod durch die Hintertür brachte. Das Akronym „TROIA“ steht für „Temporary Residence Of Intelligent Agents“. Zentraler Baustein ist ein modernes Trojanisches Pferd, ein Hightech-Kubus auf Stelzen, der in Innenstädten aufgestellt werden kann. Mit seinen blinkenden Wänden, vorüberflimmernden Bild- und Textbotschaften erinnert das Gebilde an eine Diskothek, könnte aber auch ein Kunstobjekt sein. Ganz bewusst haben sich die Macher gegen eine didaktische Ausstellung entschieden, in der man allerlei über NLW erfahren kann. Stattdessen geht es um das Raumerlebnis vor Ort. In das Hintergrundmaterial kann man sich zuhause vertiefen.

Das Buch „Demonen - Zur Mythologie der Inneren Sicherheit“ von Olaf Arndt ist Anfang Juli 2005 bei Edition Nautilus erschienen. Grundlage des Buches sind Artikel, die in der SZ, WOZ sowie in Lettre International gedruckt wurden.

Das Theaterstück „Demonen“ ist noch bis zum 10. Juli auf dem Festival Theater der Welt in Stuttgart zu sehen. Vom 5. bis 13. August wird es in Bremen Überseestadt aufgeführt. Weitere Stationen: Budapest (voraussichtlich April 2006), Wiener Festwochen (voraussichtlich Mai 2006).

Den Ausstellungskubus „Troia“ kann man aktuell in Stuttgart besichtigen, im August in Bremen.

Das Hörstück „Demonen – Nicht-letale Waffen“ von Olaf Arndt und Michael Farin wird am 15. Juli um 22.05 Uhr auf Radio Bremen ausgestrahlt .

Der Materialband „TROIA Technologien politischer Kontrolle“ (herausgegeben von Olaf Arndt) ist Anfang Juli 2005 im Verlag Belleville erschienen.

Eine 60-minütige Dokumentation des Projektes TROIA von Agnieszka Jurek und Carsten Aschmann/hula-offline erscheint im Oktober 2005 als DVD. Infos unter www.bbm.de und www.hula-offline.de.