Trotz Corona-Pandemie wird Syrien ausgehungert

Seite 2: Wer bekommt die Hilfen in Nordost-Syrien?

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Immerhin mit 1 Million Euro an Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie will die Bundesregierung mehreren im Gesundheitsbereich tätigen Nichtregierungsorganisationen auf dem Gebiet der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien zur Verfügung stellen.

Zur Stärkung der Covid-19-Präventions- und Versorgungskapazitäten plant die Bundesregierung Vorhaben in zwei Gesundheitseinrichtungen in den Distrikten Raqqa und Deir Ezzor sowie ein weiteres Projekt zur Stabilisierung der gesundheitlichen Basisversorgung der Zivilgesellschaft. Wer diese Vorhaben konkret umsetzen soll, konnte Telepolis nicht in Erfahrung bringen.

Derzeit sollen angeblich schon "kampflinienüberschreitende" Hilfslieferungen insbesondere nach Nordostsyrien stattfinden. Das geht aus einer Kleinen Anfrage der Linkspartei hervor. Wobei unklar ist, welches Gebiet in Nordsyrien mit "kampflinienüberschreitend" gemeint ist. Damit solle das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) monatlich 957.000 Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreichen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Mai 2020 zwei Hilfsgütertransporte mit insgesamt 55 Tonnen medizinischen Gütern und Material nach Qamishli durchgeführt, so die Antwort der parlamentarischen Staatssekretärin. Ob dies allerdings bei den Einrichtungen der Selbstverwaltung angekommen ist, bleibt unklar, denn es gibt darüber keine Verlautbarungen aus den kurdisch-nahen Medien. Es ist durchaus möglich, dass diese Hilfe der Opposition in der Region zugutekam, um diese gegen die Selbstverwaltung zu stärken und um Erdogan nicht zu verärgern.

Nach wie vor scheut die Internationale Gemeinschaft davor zurück, offizielle Kontakte zur Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien aufzunehmen. Stattdessen wird das türkisch besetzte Gebiet im Nordwesten Syriens mit Bundesmitteln u.a. an die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) zur Resilienzförderung unterstützt.

Das Auswärtige Amt unterstützte nach Angaben der Bundesregierung die materielle Ausstattung von "Gesundheitseinrichtungen zur Behandlung von Opfern von Luftangriffen, zum Schutz von medizinischem Personal und zur Beweissammlung über Angriffe auf medizinische Infrastruktur und medizinisches Personal" (Frage 10 der Kleinen Anfrage). Bei letzterem sind mit ziemlicher Sicherheit die umstrittenen Weißhelme gemeint, die im Einklang und mit Unterstützung der Islamisten vor Ort Fake-News mittels inszenierter Videos über Giftgasangriffe der Assad-Regierung in Umlauf brachten.

Rund 8,3 Mio. Euro soll die Bundesregierung 2020 im Rahmen der humanitären Hilfe grenzüberschreitend in Nordost-Syrien tätigen humanitären Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für Gesundheitsversorgung, Ernährung, Hygiene und Schutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt haben. Das geht aus Frage 15 der Kleinen Anfrage im Bundestag hervor.

Welche NGOs die Hilfe erhalten - diese Antwort bleibt die Bundesregierung schuldig. Zwar wird in der Antwort darüber berichtet, dass die Basisgesundheitsversorgung in den Camps insbesondere von Nichtregierungsorganisationen und der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung angeboten wird.

Deutschland: Kein entwicklungspolitisches Engagement in Syrien

Auch der Einsatz von Mobilen Kliniken wird erwähnt. Keine Erwähnung findet allerdings, dass diese Mobilen Kliniken von deutschen NGOs und Vereinen, wie z.B. die "Städtefreundschaft Frankfurt - Kobane e.V." oder die "Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg e.V." überwiegend durch Spendensammlungen realisiert werden.

Von Unterstützung durch die Bundesregierung kann hier keine Rede sein. Auch die weltweit tätige NGO "Medico International", die u.a. die in der Antwort erwähnten Gesundheitseinrichtungen unterstützt, wartet bisher vergeblich auf finanzielle Unterstützung. Denn offiziell gilt nach wie vor, dass es kein entwicklungspolitisches Engagement in Syrien gibt.

Der Wiesbadener Arzt Dr. Michael Wilk, der wiederholt für einige Zeit in Nordost-Syrien als Notarzt tätig war und mit eigenen Spendenkampagnen den kurdischen Roten Halbmond "Heyva Sor a Kurd" unterstützt, bekommt bei der Frage um Unterstützung in der Covid-19 Pandemie allenfalls ein freundliches "Dankeschön für Ihr Engagement" von offizieller Seite.

Dabei benötigt gerade der kurdische Rote Halbmond dringend medizinisches Gerät, Medikamente und finanzielle Hilfen für die Betreibung der Gesundheitseinrichtungen in Nordost-Syrien. Er ist es, der die in der Antwort Nr. 15 erwähnten separierten Bereiche "zur Isolation von Covid-19-Verdachtsfällen und bestätigten Fällen mit mildem Verlauf innerhalb der Camps" schafft und bei Fällen mit moderatem und schwerem Verlauf spezielle Gesundheitseinrichtungen in der Region betreibt.

Alles in allem kann man feststellen, dass sich die Ankündigungen und Ausführungen der Bundesregierung, des BMZ oder Auswärtigen Amtes zwar oberflächlich betrachtet gut anhören und vielleicht einige besorgte Bürger in unserem Land beruhigen können. Kenner der Situation vor Ort schätzen diese Verlautbarungen allerdings als "Nebelkerzen" ein und bezweifeln, dass die angekündigte Hilfe wirklich dort ankommt, wo sie dringend benötigt wird.