Trügerische Sicherheit

Seite 3: Pestizidvigilanz: Weltweites Monitoring-Programm für Pestizide gesucht

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Bei Pestiziden verläuft der Weg von der Entdeckung des Wirkstoffes bis zum Markteintritt ähnlich wie bei Medikamenten, auch hier gibt es Tests zu Wirksamkeit, Toxikologie, Verbleib und Verhalten in der Umwelt. Wird die Substanz zugelassen, ist ihre Nutzung in der EU je nach Lizenz beispielsweise für die nächsten 10-15 Jahre möglich.

Für die Phase nach dem Inverkehrbringen gibt es für Pestizide jedoch keine mit der Situation bei Medikamenten vergleichbaren Überwachungsmechanismen, abgesehen von unmittelbaren Maßnahmen, die dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen, wie etwa der Überwachung von Rückstandsgehalten in Nahrungsmitteln. Doch deren Grenzwerte, die Rückstandshöchstgehalte, variieren auf internationaler Ebene. Werden sie in einem Land überschritten, können sie immer noch in andere Länder exportiert werden, wo Standards weniger rigoros oder Praktiken der Probenahme unzulänglich sind.

Eine Entsprechung als Maß zur Umweltbelastung, etwa maximal zulässige Rückstandsgehalte für die Umwelt, gibt es nicht. Sichere Pestizidgrenzwerte sind nicht Gegenstand von Betrachtungen, wenn in einer Größenordnung der Anwendung gedacht wird, die ganze Landstriche betrifft. Das Fehlen einer Grenze für die Gesamtmenge der verwendeten Pestizide und die praktische Abwesenheit der Überwachung ihrer Auswirkungen in der Umwelt bedeutet, dass es Jahre dauern kann, bis vorher eventuell übersehene Schadwirkungen bemerkt werden.

Die Standardtests zur Umwelttoxizität von Pestiziden werden an einzelnen Testarten durchgeführt - ihre Aussagekraft zu Folgen eines flächendeckenden Einsatzes ist begrenzt. Zunächst diffuse und schwer messbare Effekte auf die Umwelt können über die Verwobenheit der Ökosysteme zu deutlichen Schadwirkungen führen. Auch das Maß an Vertrauen in aktuelle Toxikologie-Test-Prozeduren ist beschränkt, wenn es um die Abschätzung der gesamten Palette von möglichen toxischen Effekten geht, die bei der Pestizidanwendung im Grossmaßstab auftreten können. Zur Wirkung von Mehrfachbelastungen durch Pestizid-Cocktails oder dem Zusammenspiel von einzelnen Pestiziden mit anderen umweltrelevanten Chemikalien ist so gut wie nichts bekannt.

Ohne die Kenntnis sicherer Höchstwerte wird die Menge der eingesetzten Pestizide vielmehr von den Anforderungen des Marktes diktiert und nicht etwa davon, was die Umwelt verkraften kann. Dafür wird auch ein Beispiel angeführt: So wurden in Grossbritannien 2014 rund viermal mehr Neonicotinoide eingesetzt als noch 15 Jahren zuvor.

Die Autoren sehen für künftige Ansätze zur Pestizidregulierung die Ausweitung des Monitoring über die Phasen bis zur Markteinführung hinaus als wesentlich an - ähnlich wie bei Medikamenten bereits praktiziert. Die Verantwortung dafür läge bei Herstellern und Landwirten. Das Vorsorgeprinzip ließe sich in Abhängigkeit von der Entwicklung des Wissensstands über die Auswirkungen der Pestizide stufenweise und zeitnah anpassen. Das wiederum gestatte ein echtes risikobasiertes Herangehen, das die Kompromisse zwischen den Umweltkosten und der Nahrungsmittelproduktion klarer heraustreten ließe. Unter bestimmten Umständen, in denen es triftige Gründe für den Schutz einer lebenswichtigen Ernte gibt, halten die Autoren dann sogar die zeitweise Verwendung von Chemikalien für denkbar, die unter den derzeitigen Regulierungssystemen verboten sind.