Trump: Frankreich braucht die NATO wie niemand sonst
Der US-Präsident erinnert seinen französischen Amtskollegen zu Beginn des Londoner Jubiläumsgipfels an den Verlauf der beiden Weltkriege
Heute hat in London der Jubiläumsgipfel der am 4. April 1949 gegründeten NATO begonnen. Zu diesen Treffen des von ursprünglich zwölf auf aktuell 29 Mitglieder angewachsenen Militärbündnisses reiste unter anderem der amerikanische Präsident Donald Trump an. Er hatte sich für dieses Ereignis anscheinend eine Entgegnung auf eine Bemerkung seines französischen Amtskollegen Emmanuel Macron aufgehoben, die dieser bereits Anfang November in einem Interview mit dem Economist machte.
Man erlebe gegenwärtig, so Macron damals, "den Hirntod der NATO". Deshalb müsse Europa "erwachen" und sich selbst strategisch als geopolitische Macht begreifen. Diese Äußerungen waren zwar schärfer formuliert, passten aber inhaltlich recht gut zu Macrons bereits früher offenbarten Absichten des Umbaus der EU zu einer "Verteidigungsunion", als deren Waffenschmiede er Frankreich sieht (vgl. Deutsch-französisch-spanisches "Luftkampfsystem der Zukunft"), wie er unter anderem bei der Gestaltung der neuen EU-Kommission durchblicken ließ (vgl. Frankreich bekommt Binnenmarkt, Verteidigungsindustrie und Raumfahrt).
Stoltenberg führt Steigerung der Verteidigungsausgaben um 130 Milliarden Dollar auf Trumps Mahnungen zurück
Die NATO als hirntot zu bezeichnen, so Trump heute, sei nicht nur beleidigend und respektlos, sondern auch gefährlich. Gerade für Frankreich. Denn während die USA von allen Mitgliedländern am wenigsten von diesem Bündnis profitieren würden, brauche es Macrons Land wie kein anderes. Eine Anspielung auf den Verlauf der beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert, bei denen Frankreich in beiden Fällen sehr wahrscheinlich nur durch das Eingreifen der USA auf der Siegerseite stand.
Für den Verlierer dieser Weltkriege - Deutschland - hatte Trump ebenfalls gleich zu Beginn des Gipfels eine Ermahnung parat: Die Erinnerung daran, dass die Bundesrepublik mit 1,36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Frank-Walter Steinmeiers zugesagtem Zwei-Prozent-Verteidigungsausgabenziel immer noch weit entfernt ist.
Davor hatte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg Trumps Drängen auf eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben explizit gelobt. Sie hätten echte Auswirkungen gehabt, wie die seit 2016 gemessene Steigerung der Verteidigungsausgaben der außeramerikanischen Mitgliedsländer um 130 Milliarden Dollar zeige. Das mache die NATO stärker und zeige, dass sich das Bündnis an eine veränderte Welt anpasse.
Erdoğan will Beschlüsse blockieren, wenn sich das Bündnis nicht seiner Definition von Terroristen anschließt
Als eine der Grundlagen für seine Einschätzung, die NATO sei auf dem Weg zum Hirntod, hatte Macron in seinem Interview mit dem Economist außer einer seiner Ansicht nach mangelnden "Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten" ein "unkoordiniertes, aggressives" Vorgehen der türkischen Staatsführung in Syrien genannt. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hatte ihm daraufhin vorgehalten, nicht die NATO, sondern Macron sei hirntot.
Vor seinem Abflug nach London kündigte Erdoğan nun an, die geplanten Beschlüsse zu schnelleren NATO-Verstärkungen in Polen und den baltischen Ländern zu blockieren, "wenn unsere Freunde bei der NATO nicht jene als Terrororganisationen betrachten, die wir als Terrororganisationen betrachten" - also die mit den Amerikanern verbündete kurdisch-syrische YPG. Darüber will er heute in einer Vierergruppe mit Macron, dem britischen Premierminister Boris Johnson und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sprechen.
Russland, das der Hintergrund für die geplanten NATO-Beschlüsse zu Polen und den baltischen Ländern ist, sieht Erdoğan anscheinend als keine so große Bedrohung für sein Land an als die YPG. Das zeigte auch sein Kauf des russischen Luftabwehrsystems S-400 (vgl. S-400: Erdogan trotzt den USA und der NATO). Die US-Administration befürchtet, dass ein mit viel IT ausgestattetes System wie S-400 Informationen über Kampfflugzeuge sammelt, von denen man nicht möchte, dass sie in russische Hände gelangen.
Um Washington zu beruhigen, hatte Ankara angeboten, S-400 nur dort einzusetzen, wo keine F-35 fliegen. Den Amerikanern reichte das jedoch nicht. Sie argumentierten, das russische Raketenabwehrsystem könne die Verteidigungsfähigkeit des Militärbündnisses aus dem Kalten Krieg schon alleine dadurch beeinträchtigen, dass es mit der IT eines NATO-Landes verbunden wird. Das US-Kompromissangebot, von Sanktionen abzusehen, wenn sich die Türkei verpflichtet, S-400 nach der Lieferung gar nicht zu verwenden, war wiederum dem türkischen Staatspräsidenten zu schlecht.