Tschetschenien, ein Land im Chaos
Ein Fotobericht aus dem zerstörten Land, das in die Vergessenheit rutscht
Die Welt hat Tschetschenien vergessen. Nur selten findet es noch Gehör. Auch nach fast fünf Jahren Waffenruhe herrschen in dem Land und in seiner Hauptstadt Grosny katastrophale Zustände. Noch immer ist Militär allgegenwärtig und bestimmt den Alltag. Hinein gelangen nur selten Ausländer. Und wer der kaukasischen Hölle entflohen ist, nimmt viele quälende Eindrücke mit.
Die Liste dessen, was wieder aufgebaut werden müsste, ist riesig und betrifft nicht nur die fehlende Infrastruktur, die reparabel wäre. Die Schäden an der Zivilbevölkerung sind hingegen für lange Zeit unheilbar. Zu viel Leid und Grausamkeit ist über sie gekommen. Besonders schwierig haben es die Kinder und Jugendlichen. Der Blick in ihren Augen verrät, dass sie mit ihrem nackten Leben davon gekommen sind. Während ihre westeuropäischen Altersgenossen in der Disko abtanzen und Taschengeld zum Konsum erhalten, zerbricht der Nachwuchs in dem kaukasischen Land an ihrer und des Landes ungewisser Zukunft.
Nicht selten haben die Jungen und Mädchen nur noch ein Bein oder einen Arm. Die Gesichter und Rücken sind entstellt, von den Fingern sind nur noch Stümpfe übrig. Minen und Bomben haben das Erbe ihrer zerstörerischen Kraft nicht nur in der Landschaft hinterlassen, sie haben auch oft noch das Leben eines Elternteils, wenn nicht sogar beider Eltern geraubt und sie zu (Halb-)Waisen degradiert.
500 000 Minen, so schätzen Beobachter, liegen in der tschetschenischen Erde. Die Krankenhäuser in Grosny sind überfüllt und gleichen improvisierten Lazaretten. Mangel herrscht bei Medikamenten und medizinischen Gerätschaften. Operationen können nur mit unzureichender Betäubung durchgeführt werden. Personenaufzüge funktionieren nicht, Plastikplanen, Decken und Kartons ersetzen die Fensterscheiben in den Patientenzimmern. Trinkwasser muss vom Krankhauspersonal und den Patienten per Eimer oder Kanister über das Treppenhaus in die einzelnen Stationen geschleppt werden.
Viele Schulen und Universitäten in der Hauptstadt sind zerstört und personell unterbesetzt. Ein Großteil der Lehrer und Professoren ist ins Ausland geflüchtet. Jahrgangsstufen haben Glück, wenn sie am Tag wenigstens eine Stunde lang unterrichtet werden. Das private Dasein unterscheidet sich kaum vom öffentlichen Leben der Menschen. Wohnblocks und die typischen Plattenbauten aus UdSSR-Zeiten gleichen Ruinen. Kaum ein Gebäude, das nicht beschädigt ist. Nicht 100, nicht 1.000 und auch nicht 10.000 Schuss haben sich in den Mauern verewigt, vielmehr gleichen die Wände einem großen Sieb. Dass sie nicht zusammen stürzen, haben sie dem verbauten Stahl zu verdanken, der sie noch zusammenhält.
In einem solchen Morast kann keiner auf eine Müllabfuhr hoffen, alles muss selbst weggeschafft und irgendwie entsorgt werden - Hauptsache weg. Manche werfen ihren Müll auf die Abfallhalden, die sich im Laufe der Zeit an den Straßenrändern gebildet haben, wiederum andere verbrennen ihn in irgendwelchen Hinterhöfen, dort brennen unentwegt Feuer, genährt vom zivilisatorischen Unrat einer Stadtbevölkerung.
Was wird aus Tschetschenien werden? Keiner weiß das so genau, der Konflikt hat sich festgefahren. Ob sich das Land mit eigener Kraft von Russland lösen kann, ist fraglich. Gibt es doch Erdöl, das sich Moskau nicht nehmen lassen möchte. Es wird wohl noch viel Wasser den Fluss Terek passieren, bis eine Lösung in Sicht ist.