Tsipras sucht Verbündete

Seite 2: Der taktische Schachzug

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Sollte die Nea Dimokratia nach den Wahlen keine absolute Mehrheit im Parlament gewinnen und eine Koalition mit der KinAl, der Pasok-Nachfolgepartei, eingehen, dann wird es für Tsipras existenziell, beide Parteien zusammen unterhalb einer zwei Drittel Mehrheit im Parlament zu halten.

Denn so hat der Premier auch nach einer Wahlniederlage den Trumpf in der Hand, eine schnelle Revanche zu bekommen. Anfang 2020 muss ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Dies ist mit den geltenden Verfassungsartikeln nur mit einer zwei-Drittel Mehrheit im Parlament möglich. Kommt diese nicht zustande, dann werden zwangsweise Neuwahlen ausgerufen. Mit der gleichen Methode löste Tsipras im Dezember 2014, damals als Oppositionsführer, Neuwahlen aus.

Es ist für Tsipras günstig, die "bürgerfreundlichen Gesetze", wie er Sozialleistungen und einmalige Beihilfen für verarmte Bevölkerungsschichten nennt, jetzt ins Parlament zu bringen, und die von den Kreditgebern verlangten Reformen zunächst einmal auf Eis zu legen. Diese Taktik ist nicht neu. Sie wurde bislang von allen Regierungen praktiziert.

Im vorliegenden Fall würde die nächste Finanzkrise in Griechenland dann unter einer Regierung Mitsotakis ausbrechen. Dieser müsste, lehrt die Erfahrung der letzten Krisen, auf Druck der Kreditgeber eine Reihe von sozial einschneidenden Maßnahmen ergreifen und dabei wie ein Damokles-Schwert, wegen der Wahl des Staatspräsidenten, vorgezogene Neuwahlen des Parlamentes fürchten.

Mit der Öffnung seiner Partei zur politischen Mitte und zu den gemäßigten Konservativen der bürgerlichen Rechten möchte Tsipras Syriza als Gegenpol zur Nea Dimokratia manifestieren. Er möchte damit die Rolle der PASOK vor 2009 übernehmen. Dabei hilfreich ist ihm zudem der letzte Regierungssprecher der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis, Evangelos Antonaros.

Dieser wird nicht müde, öffentlich darauf zu verweisen, dass in der Nea Dimokratia Rechtsradikale auf Führungspositionen aufgestiegen sind. Antonaros zielt damit unter anderen auf Parteivize Adonis Georgiadis und Fraktionssprecher Makis Voridis ab. Beide kamen von der rechtspopulitischen Partei Laos zur Nea Dimokratia.

Das Duo bestimmt einen großen Teil der oppositionellen Strategie der Nea Dimokratia. Es ist mitverantwortlich für rechtsnationale Rhetorik und für Positionen, die unter Karamanlis durchaus auch von der Nea Dimokratia als rechtsextrem bezeichnet wurden.

Tsipras "Brücken" werden als Mittel zur Schaffung eines "Bollwerks gegen den Faschismus" beworben. Xenogiannakopoulou betonte, dass "wenn neoliberale und rechtsextreme Führungen in ganz Europa an die Macht kommen, es keine Alternative zur Einigung [der demokratischen Kräfte unter dem Primat von Syriza] gibt". Sprachlich passt sich die "Brückenbewegung" den Neoliberalen durchaus an. Auch sie bewertet ihre Handlungen als alternativlos.

Das politische Sekretariat von Syriza hat heute einstimmig beschlossen, dem Zentralkomitee zu empfehlen, sich bei der Sitzung am kommenden Sonntag für einen erweiterten Aufruf an ein breites Spektrum der Kooperation an alle progressiven Kräfte, Parteien, Gruppierungen aber auch Bürger, die sich als progressiv ansehen, zu entscheiden.

Diese Kooperation soll verhindern, dass es bei den kommenden, kritischen europäischen Wahlen in drei Monaten zu einem Aufstieg, zur Invasion der Rechtsradikalen kommt, mit all den Konsequenzen, die so etwas für unsere Gesellschaften, für unsere Demokratie und für Europa selbst haben kann. Die Kooperation soll auch den heute vorherrschenden, neoliberalen Positionen in der Wirtschaft und deren Folgen auf europäischer Ebene entgegenstehen.

Es handelt sich um einen erweiterten Aufruf, wie ich wiederholen möchte, an alle Kräfte, die sich selbst im Lager des Fortschritts sehen und welche angesichts der Entwicklung in Europa, die heutige, große Notwendigkeit sehen, sich diesen beiden Gefahren entgegenzustellen.

Alexis Tsipras

Tsipras sagte dies am Dienstag nach einer Sitzung des Parteisekretariats. Die angesprochenen Parteien und Kräfte lehnen Tsipras Angebot in der Mehrheit ab. Die KinAl und To Potami reagieren ihrerseits mit der Anschuldigung, dass Tsipras ihre Parteien spalten wolle.

Dass Tsipras in seiner Argumentation Europa und die Entwicklung auf dem Kontinent hervorhebt, passt ins allgemeine Bild. Denn hinsichtlich der Parlamentswahlen wird seitens Syriza immer noch mit dem genauen Zeitpunkt taktiert. Es könnte durchaus zu vierfachen Wahlen im Mai kommen. Diesbezüglich wurde am Mittwoch seitens des Innenministeriums mitgeteilt, dass die Infrastruktur auch für fünffache Wahlen bereit stünde.

Wer darf wählen?

Es ist aber immer noch nicht bekannt, ob die erste, oder die zweite Runde der Kommunal- und Regionalwahlen gleichzeitig mit den Europawahlen stattfinden. Das ist insofern wichtig, weil es die mögliche Zahl der Wähler beeinflusst.

In Griechenland, einem Land, das kein mit Deutschland vergleichbares Meldesystem hat, werden die Wähler in der Regel im Geburtsort des Vaters registriert. So kommt es, dass Familien, die in Athen leben, in Thessaloniki den Bürgermeister wählen. Es herrscht Wahlpflicht, von der es nur eine Befreiung gibt, wenn der Wähler eine unzumutbare Entfernung zum Wahllokal nachweisen kann.

Viele Wähler haben sich in Listen als "Eterodimotes" eintragen lassen. Dies berechtigt sie, wenn es am Wohnort genügend Personen aus der gleichen Ursprungsgegend gibt, am Wohnort der Wahlpflicht im fernen Heimatort nachzugehen. Diese Möglichkeit gibt es aber nur für Parlaments- und Europawahlen.

Wenn diese zeitgleich mit den Regional- und Kommunalwahlen stattfinden, dann muss der "Eterodimotis" wählen, welcher Wahlpflicht er nachkommen möchte. Auslandsgriechen können nur dann wählen, wenn sie extra ins Heimatland reisen. Eine Briefwahl oder eine Wahlurnen in Botschaften des Landes sind im griechischen Wahlrecht nicht vorgesehen.

Unklar ist zudem immer noch, ob bei den Europawahlen wie beim letzten Mal die einzelnen Kandidaten oder aber nur von den Parteien hinsichtlich der Reihenfolge der Kandidaten vorgegebene Wahllisten gewählt werden dürfen.

Nicht geklärt ist zudem, wie viele Kandidaten bei den Kommunal- und Regionalwahlen auf den einzelnen Wahllisten gestellt werden dürfen. Zudem wurden jetzt noch auf die Schnelle drei Kommunen, auf Korfu, auf Lesbos und im Norden Griechenlands geteilt, so dass an ihrer Stelle zehn neue Kommunen entstanden.